RTL-Reporter ermitteln, was dahinter steckt
Ungeheuerliche Zuschauerpost: Freikirche soll eine 16-Jährige an einen 50-Jährigen in Paraguay zwangsverheiratet haben
von Max Fassbender und Philipp Cerfontaine
Über die Zuschauerpost erhalten wir eine alarmierende Nachricht: Eine erst 16-Jährige aus einer Freikirche in Deutschland sei an einen 50-Jährigen Mann aus Paraguay zwangsverheiratet worden. Die Quelle ist in Sorge, dass ein ähnliches Schicksal auch einer jüngeren Schwester drohe. Unsere Reporter Philipp Cerfontaine und Max Fassbender sind der Geschichte nachgegangen.
Unfassbar: Unser Reporter wird nach Paraguay eingeladen
„Das ist für mich persönlich unvorstellbar! Ein Kind mit 16 Jahren an einen Mann in meinem Alter zu verheiraten.“ So beginnt unsere Quelle unserem Reporter Max Fassbender zu erzählen; ihre Identität halten wir auch Sicherheitsgründen geheim. Sie schreibt RTL eine Zuschauerpost, indem sie von einem Mädchen aus seinem Dorf erzählt, dass mit 16 Jahren an einen Fremden in Paraguay verheiratet wurde.
Die Tochter unserer Quelle sei damals gut mit ihr befreundet gewesen, das Mädchen stamme aus einer streng religiösen Familie. Ihre Vermutung: Es handele sich um eine Sekte. Da das Mädchen noch eine kleinere Schwester habe, ist unsere Quelle um deren Sicherheit besorgt. „Der hat man die Jugend ja quasi schon genommen“, sagt sie.
Während Reporter Max Fassbender hier in Deutschland recherchiert, begibt sich sein Kollege in der Zwischenzeit nach Paraguay. Philipp Cerfontaine kann tatsächlich Kontakt mit dem verheirateten Mädchen und dessen Ehemann aufnehmen und will herausfinden:
Was steckt wirklich hinter den Vorwürfen aus Deutschland? 300 Kilometer reist er durch das Land, sein stetiger Begleiter: Unbehagen. „Das Mädchen erzählte mir am Telefon, dass ihr Ehemann mich anrufen würde“, so Philipp Cerfontaine. „Da war ich davon ausgegangen, dass, wenn er mich anruft, mir garantiert eine Ansage machen würde, ich solle sie gefälligst in Ruhe lassen.“ Doch das Gegenteil passiert. Philipp Cerfontaine wird zu den beiden eingeladen. Zuvor legt er jedoch einen Zwischenstopp bei der deutschen Botschaft in Asunción ein, um von seinen Recherchen zu erzählen. Denn wenn das Mädchen tatsächlich in Gefahr sei, könne die Botschaft eingreifen.
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"Ich habe mich ehrlich gesagt geschämt"
Philipp Cerfontaines erster Eindruck vom Ehemann und seiner Farm: warm und einladend. Der Mann führt ihn über sein Anwesen, erzählt ihm, wieso er vor über 25 Jahren nach Parguay ausgewandert ist und dass er sich im Herzen vollkommen als Paraguayer sehe. Er erzählt auch, dass er Mennonit sei, ein Anhänger einer evangelischen Freikirche, die auf die Täuferbewegungen zurückgeht, die Gemeinde jedoch verlassen habe. Es haben ihm dort zu viele Freiheiten gefehlt, sagt er. Doch wie kam es nun zu der Heirat mit einem damals 16-jährigen Mädchen?
Ganz offen erzählt der Mann Philipp, wie er zu Besuch in Deutschland gewesen sei, das Mädchen dort gesehen und sich verliebt habe. Eigentlich kenne er sie schon, seit sie ein Baby war, doch damals habe er nie daran gedacht, dass sie mal seine Frau werden könnte. „Aber ich hatte Angst gehabt! Die ist jetzt 17, die ist sehr viel jünger als ich“, sagt er. Genau genommen 34 Jahre jünger. „Und ich wusste auch, dass sehr viele mich vielleicht dafür ächten würden, und ich habe mich ehrlich gesagt geschämt, meinen Schwiegervater daraufhin anzusprechen.“
Eigentlich habe er eine Ablehnung von ihm erwartet, doch dann: „Er hat mich ganz ernst angeschaut und gesagt: Wenn der Herr dahinter steht, wer bin ich, dass ich mich in den Weg stelle? Und er hat mir sein Wort gegeben.“ In Deutschland ist eine solche Hochzeit verboten, in Paraguay wiederum sei die Ehe legal.
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Aus Deutschland seien ihm das Bundeskriminalamt und das Jugendamt auf den Hals gehetzt worden, doch das nehme er niemandem übel. Er habe die Leute zu sich nach Hause eingeladen, um ihnen zu zeigen, dass alles gut und richtig sei. Ob er dem Mädchen mit der Heirat nicht die Jugend geraubt habe, fragt unser Reporter. Nein, sagt er, sie habe etwas Heimweh gehabt, aber kurze Zeit später habe sie bereits gesagt, nie wieder zurückzuwollen. Er selbst habe vor der Ehe keinen Kontakt zu Frauen gehabt und sei sehr froh gewesen, sich für seine Ehefrau aufgespart zu haben.
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Weiß eine 17-Jährige, was sie da tut?
Das Mädchen selbst ist zurzeit hochschwanger. Sie berichtet Philipp Cerfontaine persönlich, dass die Hochzeit ihre Entscheidung gewesen sei, genauso wie der Umzug nach Südamerika. Ein Schwager von ihr habe jedoch auch gesagt, dass die Heirat innerhalb der Familie sehr kontrovers diskutiert worden sei. Trotzdem: „Das Mädchen scheint hier glücklich zu sein, deshalb gibt es für mich keine Notwendigkeit, die Botschaft zu informieren“, sagt Philipp Cerfontaine. „Aber ich frage mich, ob man wirklich von einem 16-jährigen Mädchen verlangen kann, dass sie weiß, was sie da gerade macht.“
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Aus diesem Grund fährt Max Fassbender in Deutschland zu der Familie des Mädchens und hakt noch einmal nach. Die Familie gehört einer Gruppe religiöser Fundamentalisten an; dass ihre Tochter einen Mann heiratet, der ihr Vater sein könnte, scheint ihnen lieber zu sein, als dass sie Sex vor der Ehe hat. Der Vater erklärt es Max Fassbender: „Der Mann hat einen so guten Eindruck auf mich gemacht, da ist dieser Altersunterschied irgendwann in den Hintergrund getreten. Schau dir die Jugendlichen von heute an! Die gehen in die Disco, da saufen sie, da huren sie – alles, was außerhalb der Ehe passiert, ist Unzucht und Hurerei.“ Einen Unzüchtigen werde Gott richten und deshalb habe seine Tochter gesagt: „Papa, ich will das!“ Er habe damit auch Probleme gehabt, aber er sei auf die Knie gegangen und habe gebetet. Und dabei sei er zu dem Entschluss gekommen, wenn es so weit sei, werde er nicht Nein sagen.
Bisher können Max Fassbender und Philipp Cerfontaine den Sektenverdacht unserer Quelle nicht bestätigen. Auch scheint das Mädchen in der Tat freiwillig geheiratet zu haben und ausgewandert zu sein. (jbü)
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