Exklusives Interview
Uli Hoeneß: FC Bayern hat keinen Ersatz für Lewandowski, Kritik an gierigen Stars
Der FC Bayern kämpft um Robert Lewandowski. Und dieser Kampf erreicht immer neue Stufen der Eskalation. Für den nach Gerd Müller treffsichersten Stürmer der Klubgeschichte sei das erfolgreiche Kapitel beim Rekordmeister bereits Geschichte, ließ Berater Pini Zahavi am Sonntag der "Bild"-Zeitung ausrichten, nachdem Sportvorstand Hasan Salihamidžić zuvor im "Doppelpass" mächtig ausgeteilt hatte. Um Sachlichkeit in dieser Debatte bemüht sich nun Uli Hoeneß, der Mann, der selbst oft von Emotionen geleitet worden war. Der Ehrenpräsident des Klubs stellt im RTL/ntv-Interview reichlich Löschwasser vom Tegernsee bereit, um die Brandherde zu bekämpfen.
Vielleicht ändern sich die Dinge bei Lewandowski?
Lewandowski hat in München einen Vertrag bis Sommer 2023. Faktisch ist die Sache klar: Der Rekordmeister kann auch in der nächsten Spielzeit auf seine Lebensversicherung vertrauen. Doch Fakten und Fußball, das ist allzu oft ein Pärchen, was nicht zusammenpassen mag. In München setzen sie aber darauf, dass sie die Hoheit des Handelns fest in der Hand haben. "Ich kenne beim FC Bayern aktuell niemanden, der Robert vorzeitig aus seinem Vertrag entlassen wird", verrät Hoeneß. Selbst wenn die Münchner im kommenden Sommer nach David Alaba und Niklas Süle den nächsten Star ablösefrei gehen lassen müssten. Der Klub ist bereit, dieses Szenario einzugehen.
Auch weil die Alternativen für Lewandowski fehlen, wie Hoeneß im Interview berichtet. Das klingt ganz anders, als die Sätze von Klubchef Oliver Kahn während der Meisterfeier zuletzt, der davon gesprochen hatte, dass der FC Bayern einen Plan B, Plan C, Plan D habe. Zahlreiche Gerüchte hatte es ja gegeben, von Sebastién Haller (Ajax Amsterdam, der BVB scheint aussichtsreicher im Rennen zu liegen), über Romelo Lukaku (FC Chelsea) bis zu Sasa Kalajdzic (VfB Stuttgart). "Wir haben bislang offensichtlich keinen gefunden, deswegen ist unsere Meinung klar." Bedeutet: Der Stürmer müsse eben bleiben. Bis 2023. Oder darüber hinaus?
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Hoeneß setzt darauf, dass sich Dinge vielleicht ändern. Dinge, wie der unbedingte Wunsch des Polen München zu verlassen. "Wenn er bleibt, gut spielt und sich weiterhin in Deutschland super wohlfühlt mit seiner Familie, vielleicht wird er im Januar kommen und sagen: Boah, mir gefällt es so gut hier, vielleicht bleibe ich noch zwei, drei Jahre." Als großer Konkurrent im Werben um die Gunst des 33-Jährigen hat sich der FC Barcelona platziert. Eine Sache, die Hoeneß fassungslos macht. "Die wollen Lewandowski angeblich haben, waren vor einem halben Jahr noch mit 1,3 Milliarden Euro verschuldet. Das müssen Künstler sein, in Deutschland wärst du damit längst insolvent! 1,3 Milliarden in den Miesen, ständig den Insolvenzrichter vor der Tür und dann macht ihr dem FC-Bayern-Spieler ein Angebot in X-Millionen-Höhe, da müsstet ihr (Anmerk. d. Red.: die Medien) mal sagen: Habt ihr (Anmerk. d. Red.: FC Barcelona) sie noch alle?"
"Sollen wir sie mit Geld zuschütten, bis sie ersticken?"
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Was wird denn aus Gnabry?
Warum Lewandowski den FC Bayern verlassen möchte, das hat Berater Zahavi am Sonntag nochmal deutlich gemacht. Es gehe "niemandem ums Geld", behauptete er, "weder Robert noch mir. Er fühlt sich seit Monaten von den Verantwortlichen nicht respektiert, das ist die Wahrheit. Der FC Bayern hat nicht den Spieler Lewandowski verloren, sondern den Menschen Robert". Es geht dabei auch um angebliche Verhandlungen mit Sturm-Wucht Erling Haaland und einen bizarren Streit um ein vermeintliches Angebot (oder auch nicht) des FC Bayern an seinen Top-Stürmer.
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Hoeneß, mit dem das Interview bereits vor den Zahavi-Aussagen geführt wurde, sieht das anders. Im Fußball gibt es nur noch eine Anziehungskraft: Geld. "Die Wertschätzung heißt Euro, zu 99 Prozent." Tradition? Familiäre Atomsphäre? Aussicht auf große Spiele vor großer Kulisse? Nett, klar, aber kaum noch wichtig als Argument um Spieler von einem Wechsel oder einem Verbleib zu überzeugen. "Bei Alaba war es nur das Geld, bei Süle war es nur das Geld." Süle, oder besser gesagt dessen Berater, soll laut Hoeneß 30 Prozent mehr gefordert haben, als angeboten. Hoeneß behauptet nun auch, dass der Innenverteidiger beim BVB mit Handgeld wesentlich mehr bekommt, als der FC Bayern ihm angeboten habe. Wie es bei Lewandowski aussieht, das weiß Hoeneß nach eigener Aussage nicht, womöglich geht's da auch um die Vertragslaufzeit. Bis zu drei Jahre sind im Gespräch.
Lewandowski ist indes längst nicht das einzige Vertragsthema, das den FC Bayern stresst. Da ist auch noch die Geschichte um Flügelstürmer Serge Gnabry, während sich der Fall "Manuel Neuer" erledigt hat, der Torwart verlängert bis 2024. "Das ist dieselbe Situation wie bei Süle. Er hat, wie ich finde, ein Super-Angebot vom FC Bayern und muss sich jetzt entscheiden." Auch hier ist ein Abgang ohne Ablöse ein Szenario, das nicht abwegig ist. Eines, dessen öffentliche Bewertung Hoeneß in Rage bringt: "Ihr Medien macht mich wahnsinnig mit diesen ablösefreien Dingen. Was willst du denn machen? Sollst du die Spieler so lange mit Geld vollstopfen, bis sie ja sagen oder vielleicht dran ersticken?" Warum sich über die Gier von Spielern niemand aufregt, sondern stets der FC Bayern in der Kritik steht, versteht Hoeneß nicht.
Hoeneß: "Keine Oligarchen oder Hedgefonds!"
Oligarchen hier reinholen? Einen Nahost-Staat? Einen amerikanischen Hedgefonds?
Der Rekordmeister befindet sich in einer Zwickmühle. Eine, die sich nicht auflösen lässt, die es zu akzeptieren gilt. Zumindest, wenn man den eigenen Weg nicht verlassen möchte. Hoeneß: "Ich würde gerne mal in einer Zeitung lesen, dass man Verständnis für den FC Bayern hat." Denjenigen, die die Münchner für ihr Verhalten kritisieren stellt der 70-Jährige eine (rhetorische) Frage: "Wollt ihr, dass wir einen Oligarchen hier reinholen? Einen Nahost-Staat? Einen amerikanischen Hedgefonds?" Wenn die Leute sich das wünschen würden, dann begänne auch an der Säbener Straße das "Spiel ohne Grenzen." Aber Hoeneß ist überzeugt, dass die Fanszene das nicht möchte. Die heftige Kritik am Sponsorendeal mit Katar, die bei der Jahreshauptversammlung 2021 für massive Spannungen und Eskalationen gesorgt hatte, dürfte ihm als wichtiger Indikator dienen.
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Allerdings, da macht der Patriarch keinen Hehl draus, haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Folge der Pandemie verändert. 200 Millionen Euro hat die Corona-Zeit den Klub gekostet. Das einst so legendäre Festgeldkonto ist ein "kleines" geworden, so Hoeneß. Während "der eine oder Lebenskünstler" die "Verluste der Pandemie einfach vergisst", wird beim FC Bayern zwar nicht die Unvernunft einziehen, wohl aber die Bereitschaft zum Risiko bei Investitionen in einen Fußballer, von dem alle Beteiligten überzeugt sind, erhöht.
"Keine Bereitschaft, den FC Bayern neutral zu sehen"
Die Kaderpolitik ist tatsächlich ja ein großes Thema in München. Und der Mann, auf den sich alles konzentriert Hasan Salihamidžić. Der Sportvorstand musste massiv Kritik einstecken, sich sogar Pfiffe von Fans bei einer Meisterfeier anhören. Hoeneß sprach von einer "Hexenjagd" - und manifestiert seine Kritik an den Medien: "In Teilen der Medien gibt es ja keine Bereitschaft, den FC Bayern neutral zu sehen." Dass manche Journalisten der tägliche Gedanke umtreibt, etwas Schlechtes über den Klub zu berichten, damit kann der Ehrenpräsident so nicht gut leben. "Wenn die Berichterstattung sachlich abläuft, habe ich damit überhaupt kein Problem. Aber wenn es tendenziös und permanent unter der Gürtellinie ist, dann tut es schon weh."
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Das Kritik an der verganagenen Saison der Münchner erlaubt ist, das gesteht Hoeneß zu. Aber es sei eben mehr Positives als Negatives geschehen. Die zehnte Meisterschaft etwa, dass ständig ausverkaufte Stadion, die riesige Popularität des Klubs. Nicht zufrieden ist die Klub-Legende dagegen mit dem Champions-League-Aus gegen den FC Villarreal ("naiv verteidigt", "hätte nicht passieren dürfen") und der Rückrunde in der Bundesliga, wo einige Leistungsträger stark abgebaut hatten. Für Trainer Julian Nagelsmann sei es eine gute Saison gewesen, aber "it's more to come!" Das gelte auch für das Führungs-Duo Kahn und Salihamidžić. Dass der Coach oft kommunikative Aufgaben der Bosse übernehmen musste, gefällt Hoeneß nicht. Weil es an "Hilfe von oben" mangelte, musste Nagelsmann Dinge annehmen, die nicht zur originären Aufgabe gehören. Gerade nach der JHV vergangenes Jahr, hätten seine Nachfolger (vor allem Kahn) selbst übernehmen müssen, selbst "wenn man einen über den Kopf kriegt, aber das muss man aushalten." Und wenn das einer weiß, dann Hoeneß. (tno)