Super-Bowl-Hingucker Jalen HurtsUnderdog-Quarterback muss auf der Weltbühne die Zweifel zerschmettern

FILE - Philadelphia Eagles quarterback Jalen Hurts passes during the first half of the NFC Championship NFL football game between the Philadelphia Eagles and the San Francisco 49ers on Sunday, Jan. 29, 2023, in Philadelphia. The Chiefs and Eagles are bringing MVP finalists Patrick Mahomes and Jalen Hurts to the Super Bowl to cap a season in which the NFL had a glaring amount of instability at quarterback. (AP Photo/Matt Rourke, File)
Jalen Hurts
CC, AP, Matt Rourke
von Emmanuel Schneider

Nirgends spielt es sich als Underdog besser als in Philadelphia, der selbst ernannten Hauptstadt der Underdogs und Comebacker. So gesehen spielt Jalen Hurts (24) nach seiner bisherigen Achterbahnkarriere genau am richtigen Ort. Philly liebt Hurts - doch an dem Quarterback der Eagles bleiben bleierne Zweifel kleben. Der 24-Jährige will nichts lieber, als auf der Weltbühne Super Bowl die Kritiker ein für alle Mal zu widerlegen.

Unterschätzt, geliebt, Super-Bowl-Champion?

Da waren sie wieder – die schmerzhaften Erinnerungen an die Zweifel. „Cool“, sagte Jalen Hurts nüchtern und schnaufte in sich hinein. Halb belustig, halb genervt.

Am Medientag zum Super Bowl LVII wurde er einmal mehr daran erinnert, dass Fans und Experten von seiner Performance als Eagles-Quarterback immer noch überrascht sind, er keinesfalls kritiklos ins Endspiel gekommen ist und wie anstrengend seine Reise an die Spitze gewesen ist.

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Ein Fragesteller erklärte, dass er es den Philadelphia Eagles nicht zugetraut hätte, mit Hurts als Quarterback den Super Bowl zu erreichen. „Du bist nicht der Einzige“, grätschte Hurts dazwischen, der Mann entschuldigte sich für seine widerlegte These. „Cool“, sagte Hurts also sichtlich angenervt. Lachte dann aber los. Er kennt das ja schon. Die Zweifel. Seit er 2020 nach Philadelphia zu den Eagles kam, begleiten sie ihn in der NFL. Die bohrenden Fragen: Ist Hurts wirklich so gut, kann er das Team anführen? Oder profitiert er nur von dem System, dem Umfeld?

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Diese Saison, dieser Super Bowl bietet Hurts die einmalige Chance, auf der allergrößten Sport-Bühne der Welt, die Restzweifel einzureißen, niederzuschmettern, aufzuessen.

Sein Coach bringt den ganz großen Vergleich

Da kommen Vergleiche wie von seinem Coach Nick Sirianni gerade recht. Nach dem Sieg in der Divisional Round gegen die New York Giants im Januar nannte er seinen Star-Quarterback in einem Atemzug mit Michael Jordan, dem GOAT des Basketballs. „Es ist, als ob man Michael Jordan da draußen hat“, sagte er über die Hurts-Performance. „Er ist dein Leader, er ist dein Mann.“ Große Worte. Nun mag dieser Vergleich sehr gewagt sein, soll aber vor allem nach innen wirken und seinem Spielmacher den Rücken stärken. Umso wichtiger für den wichtigsten Spieler der Offense, dessen Zukunft im vergangenen Sommer auf dem Spiel gestanden und offene Fragen zurückgelassen hatte.

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Dass Hurts die Eagles im NFL-Endspiel anführt, war vor drei Jahren tatsächlich nicht unbedingt abzusehen. Hurts wurde 2020 in der zweiten Runde mit dem 53. Pick von den Eagles gedraftet. Allein das war eine Überraschung. Denn das Team aus Pennsylvania hatte eigentlich schon einen Franchise- Quarterback mit Carson Wentz im Kader. Hurts sollte erst mal Backup sein und lernen. Hinter dem Philadelphia-Pick stand also von Beginn an ein großes Fragezeichen.

„Wahrscheinlich wollten sie mich hier nie draften“, erinnerte sich Hurts. Das Ganze sei eine „große Überraschung für viele gewesen.“ Der 24-Jährige ging nicht näher darauf ein, aber die Aussagen zeigen, dass ihn diese Kritik berührte. Der CEO der Eagles erklärt den Überraschungspick von damals anders. „Als wir ihn gedraftet haben, war es das Potential, auf das wir gesetzt haben“, sagte Jeffrey Lurie jüngst. „Wir dachten, er habe ein großes Potential. Es dauert ein paar Jahre. Und jemand, der so engagiert ist wie Jalen und ein so großartiger Teamkollege ist, der wird zwangsläufig alles maximieren, was in ihm steckt, und genau das hat er getan."

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Jalen Hurts: Das Maximum herausgeholt

Die erste Möglichkeit zu zeigen, dass mehr in ihm steckt als ein Ersatzmann erhielt er am 14. Spieltag seiner Rookie-Saison 2020. Zuvor hatte ihn Coach Doug Pederson nur für ein paar Trick-Spielzüge auf den Rasen gelassen. Nun schickte er ihn im Spiel gegen die New Orleans Saints als Starter aufs Feld, Hurts überzeugte mit 17 von 30 angekommenen Pässen und einem Touchdown. Philly gewann – und Hurts blieb Starter.

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Im Sommer darauf ernannte ihn der neue Headcoach Nick Sirianni offiziell zum Starter der Eagles. Hurts gelang ein weiterer Entwicklungsschritt, etablierte sich als Starting-Quarterback mit stabilen Leistungen. Der Youngster spielte jede Partie. Die Eagles zogen in die Playoffs ein, im entscheidenden Spiel aber enttäuschte Hurts – gegen Tom Bradys Buccaneers verursachte er einen Fumble und warf zwei Interceptions. Erinnerungen an die denkwürdige Uni-Zeit wurden wach.

Denn die ersten großen Zweifel an Hurts gab es während seiner College-Karriere. Als er mit Alabama 2018 das College-Finale erreichte, blieb er blass. 0:13 zur Halbzeit. Was folgte, war eine bittere Schock-Degradierung: Hurts musste auf die Bank. Für ihn kam der junge Quarterback-Kollege Tua Tagovailoa (heute bei den Miami Dolphins) aufs Feld. Der bescherte in der Overtime Alabama hauchdünn den Titel. Der Star des Teams aber saß plötzlich auf der Bank und war nur noch der zweitbeste Quarterback der Mannschaft. In dieser brenzligen Situation zeigte Hurts Größe, ordnete sich unter, redete dem sportlichen Rivalen zu. Hurts blieb noch eine Saison, sprang dann wiederum ein, als Tagovailoa verletzt ausfiel. Dann wechselte Hurts an die University of Oklahoma, um sich den NFL-Scouts weiter zu zeigen. Im neuen Team nahm er wieder die Führungsrolle ein. Mit den Oklahoma Sooners erreichte er die Playoffs, kam bis ins Halbfinale. Wieder ein Comeback für Hurts Die Tür zur NFL war offen.

Die NFL-Saison seines Lebens

Sport Bilder des Tages PHILADELPHIA, PA - AUGUST 12: Philadelphia Eagles wide receiver Quez Watkins 16 celebrates his touchdown with Philadelphia Eagles quarterback Jalen Hurts 1 during the preseason game between the Philadelphia Eagles and the Pittsburgh Steelers on August 12, 2021 at Lincoln Financial Field in Philadelphia, PA. Photo by Andy Lewis/Icon Sportswire NFL, American Football Herren, USA AUG 12 Preseason - Steelers at Eagles Icon210812020
Jalen Hurts feiert einen Touchdown.
www.imago-images.de, imago images/Icon SMI, Andy Lewis/Icon Sportswire via www.imago-images.de

Dort folgten die ersten zwei Lehrjahre. Der große Sprung kam vor der aktuellen Spielzeit. Die Eagles verwarfen mögliche Transfer-Szenarien, setzten voll auf Hurts. All in. Der Quarterback zahlte das neue Vertrauen zurück mit der bisher besten Saison seiner Karriere. Ihm gelang der absolute Durchbruch in die Top 5 der Quarterbacks. Die Eagles starteten mit acht Siegen in Folge, angeführt von einem furiosen Hurts entwickelte sich Philly zum besten Team der Liga. Mit ihm auf dem Feld steht das Team bei einer Bilanz von 16-1, ohne ihn bei zwei Niederlagen in zwei Spielen.

Hurts ist ein Quarterback moderner Prägung. Der athletische 1,85 Meter-Mann überzeugt besonders durch sein Laufspiel. In dieser Saison stellte er mit 15 Rushing Touchdowns einen Rekord für einen Quarterback auf (Cam Newton kam bisher auf 14). Das Laufspiel ist eine brutale Waffe, die viele Defensiven vor Probleme stellt, vor allem weil die Philly-Offense so viele Optionen hat. Seine Pässe bringt er akkurat an den Mann, im Vergleich zu anderen Star-Quarterbacks fällt er in diesem Aspekt leicht ab. Auch eine smarte Defense zu lesen, bereitet ihm ab und an Probleme.

Hurts verkörpert Philadelphia

Die Popularitätswerte von Hurts aber infolge der starken Eagles-Serie nach oben geschossen. Dort, wo er bisher spielte, liest man ohnehin nur Gutes. In Alabama mögen sie ihn, in Oklahoma wird er gefeiert, in Philly lieben sie ihn erst recht. In der Arbeiterstadt werden Underdogs traditionell hoch gehalten und gefeiert. Hurts ist gewissermaßen die Verkörperung Philadelphias als Person. Taff, bodenständig, ein Hustler, der vielleicht mehr aus seinem Talent rausholt als eigentlich drinsteckt. Die Zweifel bezogen und beziehen sich stets aufs rein Sportliche. Nach allem was man weiß, ist er ein echter Musterprofi. Nun mag es talentiertere Spieler und Quarterbacks geben, am Herz, Einsatz und Ehrgeiz mangelt es Hurts nicht.

Diese Eigenschaften verhindern indes Verletzungen nicht. Der einzige Rückschlag in dieser Saison: Im Spiel gegen die Chicago Bears (15. Spieltag) verletzte sich Hurts an der Schulter des Wurfarms, fiel zwei Spiele aus. Nach seiner Rückkehr leistete er sich kleinere Fehler und Ungenauigkeiten. Im Conference-Finale gegen die 49ers profitierten die Eagles auch von der brutalen Verletzungsserie der San-Francisco-Quarterbacks. Auch hier gilt: Rest-Zweifel bleiben vor dem Super Bowl - im großen Duell gegen den über Zweifel erhabenen Patrick Mahomes, der sich in den Playoffs ebenfalls mit einer massiven Knöchelverletzung plagte.

Mahomes MVP - aber wer gewinnt beim Super Bowl LVII?

Die guten Hurts-Leistungen brachten die Eagles an die Tabellenspitze, in den Super Bowl und ihn selbst ins Rennen um die MVP-Trophäe. Neben Mahomes war Hurts der einzige Top-Kandidat. Der Award ging erwartungsgemäß nach Kansas City zu Mahomes, doch für Hurts zählt nur der NFL-Titel. „Die Saison ist noch nicht vorbei,“ sagte er direkt nach dem NFC-Conference-Sieg gegen 49ers. Das entscheidende Spiel steigt am Sonntag. Dann wird sich zeigen, ob Hurts tatsächlich Michael-Jordan-Format hat.

Jordan hat alle seine Endspiele gewonnen. Für Hurts ist es das erste. Ein guter Zeitpunkt eine ähnliche Serie zu starten. Gegen die Rest-Zweifel reicht aber erst mal ein einziger Sieg.