Vermerk sei wie Stempel für Arbeitgeber: „Vorsicht, willst du mich wirklich einstellen?“

Schüler klagen gegen Legasthenie-Vermerk im Zeugnis - mit Erfolg!

17.04.2023, Niedersachsen, Oldenburg: Mehrere Stifte liegen und eine Wasserflasche steht vor Beginn der schriftlichen Abiturprüfungen im Fach Geschichte auf einem Tisch in der Graf-Anton-Günther-Schule (GAG). In Niedersachsen beginnen die Abschlussprüfungen für den Abiturjahrgang 2023. Bis zum 09.05.2023 werden die Klausuren in unterschiedlichen Fächern geschrieben. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Das Verfassungsgericht hat nun zu Zeugnisvermerken bei Legasthenikern geurteilt.
hcd sb, dpa, Hauke-Christian Dittrich

Schüler mit Legasthenie klagen mit Erfolg!
In manchen Zeugnissen von Menschen mit Legasthenie steht ein Vermerk darüber, dass ihre Rechtschreibung nicht benotet wurde. Drei Abiturienten aus Bayern finden das ungerecht, sind bisher aber juristisch gescheitert. Jetzt hat das höchste deutsche Gericht entschieden, zu ihren Gunsten!
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Die ehemaligen Schüler fühlen sich diskriminiert und klagen seit 2015

In Schulzeugnissen darf vermerkt werden, wenn Teilleistungen bei der Benotung außer Acht gelassen wurden, sagt nun das Gericht. Unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit könne dies sogar geboten sein, sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth. Eine solche Regelung darf aber nicht nur auf Fälle der Legasthenie - also einer Lese-Rechtschreib-Störung - begrenzt werden.

Die drei ehemaligen Abiturienten aus Bayern mit Lese-Rechtschreib-Störung meinen, dass viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber durch Hinweise wie „Auf die Bewertung von Rechtschreibung wurde verzichtet“ abgeschreckt würden, deswegen hatten sie geklagt.

Menschen mit Behinderung bekommen in Schulprüfungen einen sogenannten Nachteilsausgleich. Das kann zum Beispiel bei Legasthenikerinnen und Legasthenikern bedeuten, dass sie mehr Zeit zum Schreiben bekommen.

Lese-Tipp: Hat euer Kind Legasthenie? Diese Anzeichen deuten auf eine Lese- und Rechtschreibschwäche hin

Außerdem gibt es in vielen Bundesländern - darunter Bayern - die Option auf „Notenschutz“. Auf Antrag lassen Lehrer die Rechtschreibung dann nicht in die Noten mit einfließen. Sie vermerken im Zeugnis, dass sie die Leistung anders bewertet haben. Nach Auffassung der Schulbehörden soll dies die Aussagekraft von Zeugnissen sicherstellen, hatte der Vorsitzende des Ersten Senats, Stephan Harbarth, bei der Verhandlung im Juni in Karlsruhe erläutert.

Das sahen die drei bayrischen Schüler, die schon 2010 Abi gemacht hatten, anders: Sie fühlten sich diskriminiert und klagten sich seit 2015 durch die Instanzen.

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Hinweis: Das Ergebnis der Umfrage ist nicht repräsentativ.

„Jeder, der das liest, kann nur denken, dass der Bewerber zu dumm und grottenschlecht für alles ist“

„Jeder, der das liest, kann nur denken, dass der Bewerber zu dumm und grottenschlecht für alles ist“, heißt es im Statement der drei Männer, das Anwalt Thomas Schneider verliest. „Das ist, als ob wir einen Stempel bekommen mit der Aufschrift: Vorsicht, willst du mich wirklich einstellen?“

Der damalige bayerische Kultusminister, Michael Piazolo (Freie Wähler) hatte argumentiert: Die Vermerke schaffen die nötige Transparenz, dass vom allgemeinen Bewertungsstandard abgewichen worden sei. Das sei wichtig, weil gerade Abschlusszeugnisse objektiv vergleichbar sein müssten. Die bayerische Gesetzeslage sei dabei nicht einmalig, mehrere andere Bundesländer handhabten es ähnlich.

Aus Sicht des Anwalts der Kläger kann man Notenausgleich und Notenschutz nicht trennen. Es gebe keinen Unterschied zwischen einer Hilfsmaßnahme wie einem Laptop, der automatisch die Rechtschreibkontrolle übernehme, und der Nichtbewertung der Rechtschreibung. Auch der Senat stellte der bayerischen Staatsregierung viele Fragen zu der Unterscheidung zwischen Nachteilsausgleich, Notenschutz und was wo einsortiert wird.

Etwa 12 Prozent der Deutschen haben Dyskalkulie oder Legasthenie

Laut Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie sind etwa zwölf Prozent der Bevölkerung in Deutschland von mindestens einer der Beeinträchtigungen betroffen. Bei Dyskalkulie oder Rechenstörung sind Rechenfertigkeiten beeinträchtigt, ohne dass das allein durch eine Intelligenzminderung oder unangemessene Beschulung erklärbar wäre.

Der Deutsche Lehrerverband hatte in der Verhandlung erklärt, dass in Schulen alles getan wird, um Diskriminierung zu vermeiden: Schülerinnen und Schüler zeigen in der Regel nicht mit dem Finger auf die Betroffenen oder seien neidisch auf die Hilfsmaßnahmen. (eku/dpa)

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