Förderung an BMI gekoppelt

Schlankheits-Wahn im Skispringen löst Entsetzen aus

Die polnische Skispringerin Kinga Rajda bei den Olympischen Winterspielen 2022.
Die polnische Skispringerin Kinga Rajda bei den Olympischen Winterspielen 2022
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Diese Ankündigung sorgt für mächtig Wirbel. Der polnische Skisprung-Verband will seine Skispringerinnen künftig nur noch dann fördern, wenn sie einen Body-Mass-Index (BMI) von unter 21 haben. Die Szene ist entsetzt.

Skisprung-Legende verteidigt Vorgehen

 WISLA MALINKA 24.07.2022 SKOKI NARCIARSKIE FIS LETNIE GRAND PRIX KONKURS INDYWIDUALNY Ski jumping, Skispringen, Ski, nordisch FIS SUMMER GRAND PRIX INDIVIDUAL COMPETITION NZ ANDRZEJ WASOWICZ ADAM MALYSZ FOT. KACPER KIRKLEWSKI / 400mm.pl / NEWSPIX.PL
Adam Malysz in seiner neuen Funktion.
www.imago-images.de, IMAGO/Newspix, IMAGO/Kacper Kirklewski

Der Verband in Polen knüpft die finanzielle Förderung seiner Skispringerinnen an das Gewicht. Klingt irre, ist aber bald schon Winter-Realität im deutschen Nachbarland.

Während sich viele in der Szene an den Kopf greifen, versucht Skisprung-Legende Adam Malysz, inzwischen polnischer Verbandschef, den Schritt zu rechtfertigen. „Das ist ein brutaler Sport, deswegen haben wir strikte Regeln für unser Nationalteam eingeführt. Das Gewicht spielt eine große Rolle, da wird nichts verziehen. Mit einem BMI von 24 oder 25 hat man in dieser Disziplin keine Chance“, sagte er dem polnischen „Sportowe Fakty". Der ehemalige Vierschanzentournee-Sieger will auch mit dieser Regelung das Frauen-Team nach vorne bringen.

Ob das mit einer solch umstrittenen Anpassung gelingt? Mehr als fraglich.

BMI-Regelung beim Skispringen ist "niederschmetternd" für Athletinnen

ARCHIV - 28.02.2019, Österreich, Seefeld: Skispringen, Weltmeisterschaft, Normalschanze, Damen, Medaillenfeier. Maren Lundby aus Norwegen steht mit ihrer Goldmedaille auf der Bühne. (Zu dpa «Skisprung-Olympiasiegerin Lundby verzichtet auf Start in Pe
Maren Lundby aus Norwegen steht mit ihrer Goldmedaille bei der Ski-WM 2019 auf der Bühne.
hsc cvi wst, dpa, Hendrik Schmidt

Reaktionen aus der Welt des Skispringens ließen nicht lange auf sich warten. "Natürlich ist das Gewicht wichtig, aber es ist nicht alles. Viele potenziell talentierte Springerinnen werden so ausgeschlossen“, befürchtet die schwedische Springerin Astrid Norstedt.

Lese-Tipp: Eklat bei Olympia – das steckt hinter der Disqualifikation der deutschen Springerin

Zu drastischeren Worten greift die Top-Springerin Maren Lundby aus Norwegen. "Für die Springerinnen ist das meiner Meinung nach niederschmetternd. Von jungen Frauen wird erwartet, dass sie Gewicht verlieren, um in die Nationalmannschaft zu kommen. Sie sollten sie lieber in das Team aufnehmen und ihnen helfen. Ich finde, das ist ein Schritt zurück", sagte sie der Zeitung "Verdens Gang".

Lundby machte im vergangenen Winter Schlagzeilen, als sie sich entschied wegen Gewichtsproblemen auf die Saison und Olympia zu verzichten. Sie ging offensiv mit der Problematik um. Sie sei eben "nicht bereit, irgendetwas zu opfern, um in Peking auf Topniveau sein. Ich will lieber eine lange Karriere haben."

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BMI-Regel gibt es schon lange

Auf RTL/ntv-Anfrage betont Ralph Eder, Pressesprecher des Deutschen Skiverbandes, dass im DSV „entsprechend dem Leistungsprinzip gefördert“ werde. „Unmittelbar lässt sich die Leistungsfähigkeit aus den Wettkampfergebnissen und Weltranglistenplätzen ableiten. Wir arbeiten gemeinsam mit den Athlet:innen an den disziplinspezifischen Anforderungen und wie diese zu erreichen sind. Dabei handelt es sich um eine Vielzahl von Parametern, die dann ein Gesamtbild ergeben“, sagt Eder.

Der ehemalige Deutschland Skisprung-Star Martin Schmitt zeigt sich derweil verständnislos über den Ansatz der Polen. „Das ist ein schwieriges Thema. Ich sehe es kritisch, nur den BMI-Wert für die Förderung beim (Frauen)-Skispringen zu nehmen. Es sollte um Leistung gehen, nicht ein festgelegter BMI-Wert. Solche Vorgaben halte ich für diskussionswürdig“, sagte er im Gespräch mit RTL/ntv. „Der BMI berücksichtigt überhaupt nicht die körperliche Vielfalt von Menschen. Die Leistung sollte im Vordergrund stehen und gefördert werden, jeder sollte ein Recht auf seine körperliche Vielfalt haben und nicht in ein BMI-Schema gepresst werden.

„Polen ist mit der Leistung der Frauen-Skispringerinnen nicht zufrieden, sie stehen unter Druck und versuchen mit solchen Mitteln, bessere Leistungen zu erzeugen. Aber das wird nicht reichen. Es gibt auch andere Stellschrauen. Andere Länder wie Slowenien oder Deutschland machen es da besser“, sagte Legende Schmitt. Der BMI ist die Formel: Gewicht in Kilo geteilt durch die Körpergröße in Metern – das Ganze zum Quadrat. Die Weltgesundheitsbehörde WHO stuft einen BMI von unter 18,5 als gesundheitsgefährdendes Untergewicht ein.

Seit der Saison 2004/2005 gilt in den Regeln des Skisprung-Weltverbandes FSI: Der BMI ist maßgeblich dafür entscheidend, wie lange die Skier der Athletinnen und Athleten sein dürfen. Je höher der BMI, desto länger dürfen die Skier sein. Dies war ursprünglich dazu gedacht, Untergewicht zu „bestrafen“. Inzwischen hat sich das Material aber so weiterentwickelt, dass viele in den kürzeren Skiern schon wieder einen Vorteil sehen und für eine neue BMI-Regel plädieren. Auch Verbandschef Malysz wird um diesen Vorteil wissen. (msc)