Kasse mit Kindern
Scheinvaterschaft – Lücke im Gesetz macht’s möglich
Dieser Fall hat für Schlagzeilen gesorgt: Ein Mann aus Dortmund hat 24 Kinder – zumindest auf dem Papier. Er soll die Kinder zum Schein anerkannt haben, um Geld zu machen. Diese Geschichte ist längst kein Einzelfall. Rund 150 Millionen Euro jährlich sollen die Scheinvaterschaften den Steuerzahler kosten. Eine Lücke im Gesetz macht das möglich.
Dortmunder macht Schlagzeilen
Im Internet stellt der Dortmunder Jonathan A. seinen Reichtum zur Schau. Er nennt sich Mister CashMoney. Sein Geld verdient er mutmaßlich mit dem Anerkennen von Kindern. Der gebürtige Nigerianer hat einen deutschen Pass, den bekommt auch jedes seiner Scheinkinder. Außerdem erhalten deren Familien Bleiberecht. Laut Recherchen der Sicherheitskooperation Ruhr hat der Dortmunder 24 Kinder. Durch Familiennachzug zahlt der Staat jetzt für mehr als 90 Menschen. RTL WEST hat über diesen Fall berichtet:
Stadt zieht Konsequenzen
Allein durch die Scheinvaterschaften von Jonathan A. entsteht dem Staat ein enormer Schaden: „Wir haben uns die Mühe gemacht, mal aufzurechnen, was ist an Miete dabei, was ist an Sozialleistungen dabei? Da werden Schulgelder gezahlt, teilweise weil die Kinder älter als sechs sind. All diese Leistungen haben wir mal zusammengerechnet für die ganzen Personen, die er mit einem Aufenthaltsstatus versorgt. Und da kommen wir auf deutlich über 1,5 Millionen Euro im Jahr“, so Andreas Keppke von der Sicherheitskooperation Ruhr. Die Stadt Dortmund zieht jetzt Konsequenzen: Vaterschaftsbeurkundungen, die ausländerrechtlich von Interesse sind, werden ausgesetzt und genauer geprüft. Dazu äußern will sich die Stadt auf RTL WEST Anfrage nicht. Für Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW hätte die Ruhrgebietsstadt schon viel früher aktiv werden müssen. „Die Kommunen müssen ihre Aufgabe in der Sicherheitsarchitektur auch wahrnehmen. Das bedeutet, genau zu prüfen, ob betrügerisches Verlangen nach entsprechenden Genehmigungen und Anerkennung vorliegt oder nicht und nicht einfach Geld ausschütten und Verwaltungsakten zustimmen. Das bedeutet, man fragt vielleicht auch mal bei der Polizei, welchen Erkenntnishorizont man hier hat. Man tauscht sich über Phänomene aus. […] Für mich unerklärlich, wenn es so einen Gestaltungsspielraum gibt, dass hier Vaterschaft anerkannt worden sind und diese hohe Summe zur jährlichen Auszahlung kommt, das kann man den Bürgerinnen und Bürgern nicht erklären. Die betrügerische Absicht liegt dem objektiven Betrachter quasi vor Augen.“, so Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW.
Betrug durch Lücke im Gesetz möglich
Grundsätzlich gilt: Beim Beurkunden von Vaterschaften ist völlig unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich der leibliche Vater ist. Männer können die Pflichten eines Vaters übernehmen, ohne mit dem Kind verwandt zu sein – das sind sogenannte soziale Väter. Damit das aber nicht ausgenutzt wird, gibt es seit 2017 im Bürgerlichen Gesetzbuch Paragraf 1597 a. Der soll eine rechtliche Grundlage schaffen und das Problem der Scheinvaterschaften zumindest eindämmen. Der Paragraf beschreibt mehrere Auffälligkeiten, die einen Missbrauch vermuten lassen. Beispielsweise, wenn ein Mann schon verdächtig viele Kinder hat oder offensichtlich ist, dass es keine persönliche Beziehung gibt und gab. Wenn der Verdacht des Missbrauchs besteht, wird die Beurkundung ausgesetzt – das Verfahren auf Eis gelegt. Sollte sich einer der Punkte bestätigen, kann die Beurkundung abgelehnt werden. Das funktioniert aber nur im Falle eines "sozialen Vaters". Denn 1597 a liefert das rechtliche Schlupfloch direkt mit: Sobald der Scheinvater angibt, dass er sein leibliches Kind anerkennt, sind die Behörden machtlos. Theoretisch wäre diese Behauptung mit einem Gentest leicht zu überprüfen. Das ist aber verboten. Ein Unding findet Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter: „Wieso soll das nicht möglich sein? Wir verausgaben Steuergelder über Jahre, akzeptieren die Kinder hier ermöglichen ihnen Bildung. […] Warum soll man auf so was verzichten, wenn man Millionen von Euro dafür ausgibt, ist keinem zu erklären. Und es ist auch nicht ein Grundrechtseingriff, der nicht akzeptabel wäre. Es geht darum, jemand stellt eine Bitte an den Staat, Gelder auszuzahlen, Familiennachzug zu ermöglichen. Dann muss der Staat auch die Möglichkeit haben, das zu überprüfen."
Experten fordern Lösungen
Ein weitere Schwierigkeit ist der Datenschutz. In Deutschland gibt es deshalb kein zentrales Personenstandsregister. Vaterschaften können bei Jugend- oder Standesämtern beurkundet werden, alternativ bei Notaren. Die können aber nirgends einsehen, wie viele Kinder der potentielle Vater schon hat. Nur das Ausländeramt könnte die entsprechenden Daten liefern. „Es müsste zum einen eine generelle Regelung sein, dass das Ausländeramt die letzte Draufsicht hat, bevor eine Anerkennung stattfindet. Weil da laufen die Fäden zusammen und da kann man letztendlich sagen, hier wird Missbrauch betrieben oder hier besteht der Verdacht, dass Missbrauch betrieben wird. Das ist im Moment nicht so.“, so Andreas Keppke von der Sicherheitskooperation Ruhr. Erschwerend hinzu kommt, dass sich Scheinväter wie der Dortmunder Jonathan A. mit ihrer falschen Anerkennung nicht strafbar machen.
Scheinväter schon seit Jahren Thema in der Politik
Das Thema Scheinvaterschaften begleitet die Politik schon seit Jahrzehnten. Zuletzt hat NRW 2020 einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, um das Verbot missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen zu reformieren. Der Punkt wurde aber von der Tagesordnung gestrichen. 2008 sollte die Möglichkeit eingeführt werden, dass Behörden die Vaterschaft anfechten können. Die Konsequenz wäre allerdings, dass betroffene Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren und damit staatenlos werden. Rechtswidrig, so das Bundesverfassungsgericht 2013. Die Politik kommt bei diesem Thema einfach nicht voran. Und auch der NRW-Justizminister hat heute nicht viel dazu zu sagen: „Der Spielball ist jetzt im Feld der Bundespolitik. Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium sind aufgerufen, eine Regelung zu entwerfen, wie man diesen Missbrauch von Vaterschaftsanerkennung begegnen kann.“, so Benjamin Limbach. Das wollen die Ministerien auch scheinbar machen – aktuell wird in Berlin wieder über eine Neuregelung der Gesetzeslage diskutiert. Mister CashMoney zeigt, wie nötig das ist. Und er ist kein Einzelfall. Die Behörden gehen davon aus, dass es deutschlandweit mindestens 5.000 Scheinvaterschaften gibt. Der geschätzte Schaden für den Steuerzahler: 150 Millionen Euro im Jahr.