Razzia bei Sekte '12 Stämme' - RTL-Reporter liefert Beweise für Kindesmisshandlung
"Ich war fassungslos, was dort alles zu Tage kam"
Angst, Isolation und Prügel - RTL-Reporter Wolfram Kuhnigk konnte das Martyrium der in der Sekte '12 Stämme' lebenden Kinder aufdecken. Dank ihm konnten sie von der Polizei befreit werden.
Sie leben scheinbar idyllisch und zurückgezogen in einem ehemaligen Kloster in der bayerischen Gemeinde Deiningen, die rund 150 deutschen Mitglieder der umstrittenen Glaubensgemeinschaft ‘12 Stämme‘. Doch die Idylle trügt. Um 6 Uhr morgens rückt die Polizei zu einem Großeinsatz aus, holt alle 40 Kinder aus der Gemeinschaft und übergibt sie dem Jugendamt. Prügel und Züchtigungen sollen an der Tagesordnung gewesen sein. Bisher hatten entscheidende Beweise gefehlt. Die lieferte jetzt RTL-Reporter Wolfram Kuhnigk. Über Monate hatte er sich immer wieder heimlich in die Sekte eingeschleust, recherchiert und gefilmt.
"Ich war einfach fassungslos, was dort alles zu Tage kam", so Kuhnigk. In der Öffentlichkeit verhält sich die Sekte unauffällig und freundlich, doch hinter der perfekten Fassade sieht es anders aus. Dann "stellt man schnell fest, dass alle Angst vor dem Ausschluss aus der Gemeinschaft haben und deswegen das System des Schlagens und Brechens der Kinder unterstützen". Der RTL-Reporter hat sich nicht nur immer wieder heimlich eingeschleust, sondern auch versteckte Kameras in den Räumen angebracht. "Wir sehen, wie kleine Kinder brutal mit Stöcken geschlagen werden, nicht nur von den Eltern. Und das Ganze geschieht eiskalt und völlig emotionslos."
Bei seinen Undercover-Recherchen konnte Wolfram Kuhnigk auch das geheime 'Erziehungsbuch' der Sekte sicherstellen, in dem ausdrücklich auf körperlichen Schmerz als wesentlicher Bestandteil der Erziehung hingewiesen wird. Angstszenarien, Prügel, soziale Isolation: Alles keine Ausnahmen, sondern an der Tagesordnung. Damit will die Glaubensgemeinschaft frühzeitig den Willen der Kinder brechen und sie so zu gefügigen Mitgliedern machen. Für besonders willensstarke Kinder wird die Rute zur Züchtigung empfohlen.
Die rund 150 deutschen Mitglieder der internationalen Glaubensgemeinschaft '12 Stämme' leben - nach eigener Aussage -bibeltreu in der Tradition der Urchristentums. Tatsächlich versuchen sie aber, alles Weltliche zu unterbinden. Den Kindern wird frühzeitig beigebracht, dass Afrikaner verflucht, Farbige, Homosexuelle und Frauen zu einer minderen Rasse gehören.
Beweise wie diese haben den Behörden bisher gefehlt. Erst das Material des RTL-Reporters belegt die Brutalität der Sekte.
'12 Stämme' schon lange im Visier der Behörden
Die Gemeinschaft '12 Stämme' ist in der Vergangenheit immer wieder in die Schlagzeilen geraten und war schon lange im Visier der Behörden. Neben Vorwürfen wegen Kindesmisshandlung und möglicherweise rassistischen Lehrinhalten gibt es seit Jahren Streit um die Schulpflicht der Kinder. Die Hinweise auf Kindesmisshandlung hätten sich im August verdichtet, erklärten die Behörden.
Die Mitglieder hatten sich geweigert, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken. Unter anderem wegen des Sexualkundeunterrichts machten sie "Gewissensgründe" geltend. Die Väter nahmen sogar eine Erzwingungshaft in Kauf. In Folge genehmigte das Bayerische Kultusministerium eine "Ergänzungsschule" innerhalb der Klostermauern. Diese wurde jetzt geschlossen, nachdem der einzige staatlich anerkannte Lehrer ausgestiegen war.
Doch warum handelte das Kultusministerium erst jetzt? "Es hat sich aus unserer Erkenntnis heraus nie bestätigt, dass Kinder dort (in der Schule) geschlagen wurden", so Dr. Ludwig Unger, Pressesprecher des Kultusministeriums. Die etwa 40 schulpflichtigen Kinder müssen von kommender Woche an staatliche Schulen oder andere zugelassene Privatschulen besuchen. Inzwischen liegt dem Ministerium allerdings ein Antrag der Gemeinschaft auf die Genehmigung einer neuen sogenannten Ergänzungsschule vor.
Wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums in Augsburg sagte, handelt es sich um 40 Mädchen und Jungen, die in der umstrittenen Gemeinschaft in Deiningen lebten und sich nun in der Obhut des Jugendamts befinden. Das Amtsgericht Nördlingen hatte einen vorläufigen Sorgerechtsentzug angeordnet. "Das Kindeswohl war massiv gefährdet", sagte Amtsgerichtsdirektor Helmut Beyenschlag. Zum Schutz der Kinder habe das Familiengericht handeln müssen. Starken Widerstand der Eltern oder der Kinder habe es bei der Polizeiaktion nicht gegeben. "Wir sind froh, dass alles so vernünftig abgelaufen ist", sagte Ludwig Zausinger, Sprecher des Augsburger Polizeipräsidiums.