Polit-Kolumne Francas Flurfunk

Chaostheorie: Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt droht ein bundespolitischer Orkan

Francas Flurfunk - die politische Kolumne von Franca Lehfeldt für RTL.de
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man sagt sprichwörtlich, der Flügelschlag eines Schmetterlings könnte an anderer Stelle einen Orkan auslösen. Der so genannte Schmetterlingseffekt stammt aus der Chaostheorie – und die wiederum beschäftigt sich mit dynamischen Systemen, deren Entwicklung nicht vorhersehbar ist.
Womit wir im Jahr 2017 angekommen wären. Vor vier Jahren ging von der Landtagswahl im kleinen Saarland ein politischer Schmetterlingseffekt aus. Die Wahl im Südwesten der Republik war der letzte Stimmungstest vor der anstehenden Bundestagswahl. Wir erinnern uns, damals war Martin Schulz für einige Wochen der nächste Bundeskanzler.
Die nach den Merkel-Jahren ausgelaugte SPD hatte endlich einen Kandidaten, der erst die eigene Partei, dann die Medien und dann die Umfragen beflügelte. Er bescherte den Genossen bombastische Zustimmungswerte, die sogar die Union von Angela Merkel hinter sich ließen. Und dann kam die Wahl im Saarland. Die Saarländer setzen ihr Kreuzchen anders, als Umfragen es prognostizierten – mehr als zehn Prozentpunkte landete die Schulz-SPD auf Landesebene hinter der Merkel-CDU. Es war der Anfang vom Ende. Man sagte, der Schulz-Zug, der erst im Kanzleramt Endstation machen sollte, sei entgleist.

Dieses Mal ist alles anders

Heute wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Unter normalen Umständen würde die Bundespolitik wenig Notiz nehmen von einer Wahl in einem Land mit 2,19 Millionen Einwohnern. Doch dieses Mal ist wieder alles anders. Wir stehen kurz vor einer Bundestagswahl. Und die Wahl des Landtags in Magdeburg ist der letzte bundesweite Stimmungstest. Deshalb schaut die ganze Republik nach Sachsen-Anhalt. Gibt es wieder einen Schmetterlingseffekt, der die Trends für die Bundestagswahl am 26. September verändern wird?

LESE-TIPP: Alle Hochrechnungen, Prognosen und Ergebnisse zur Wahl finden Sie am Sonntag hier.

Was macht die Wahl mit der CDU?

Besonders die CDU schaut auf diese Wahl. Deren Ministerpräsident und Spitzenkandidat Reiner Haseloff hatte sich als erster CDU-Landeschef gegen Armin Laschet und für Markus Söder als Kanzlerkandidaten ausgesprochen. Seine Entscheidung begründete Haseloff vor acht Wochen so: „Es geht nicht um persönliche Sympathie, Vertrauen oder Charaktereigenschaften. Es hilft nichts, wenn jemand nach allgemeiner Überzeugung absolut kanzlerfähig ist, aber dieses Amt nicht erreicht.“ (Quelle: Spiegel) Rums, das war ein fester Tritt gegen Laschets Schienbein, der heute Kanzlerkandidat der Union ist. Zwar tourte Haseloff danach gemeinsam mit dem Aachener durch sein Land, aber die Zweifel blieben. Insbesondere im Wettbewerb mit der AfD hatte man sich vom zupackend auftretenden Söder mehr Vorteile versprochen. Was übrigens paradox ist, weil das AfD-Milieu ja eigentlich den gesamten Corona-Maßnahmen skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, während Söder die schärfsten Restriktionen als Vorsitzender des „Teams Vorsicht“ vertreten hatte.

Sollte die CDU schwach abschneiden oder gar hinter der AfD liegen, dann dürfte sich das Söder-Lager bestätigt sehen. Auf den Fluren von Berlin geht niemand davon aus, dass es eine neue Pro-Söder-Kampagne geben würde. „Mitten im Fluss wechselt man nicht die Pferde“, sagte mir ein führender Unionsvertreter gestern. Sein Blick war dabei aber so vielsagend, dass wir mit vielen geflüsterten Zweifeln an Armin Laschet während der nächsten Wochen rechnen dürften.

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Auch die Grünen gucken mit Spannung aufs Ergebnis

Auch innerhalb der CDU in Sachsen-Anhalt selbst wird das Wahlergebnis erhebliche Auswirkungen haben. Der amtierende Ministerpräsident hat sich erst vor kurzer Zeit seines an der Parteibasis populären voraussichtlichen Nachfolgers, des ehemaligen Innenministers Holger Stahlknecht, entledigt. Dessen zahlreiche Anhänger warten nur auf ein Zeichen der Schwäche von Haselhoff, um doch noch den Generationenwechsel auszurufen. Stahlknecht kandidiert als Direktkandidat in einem Wahlkreis. Es wird geflüstert, sein bescheidenes nächstes Ziel sei der Vorsitz eines regionalen Fußballverbands. In Wahrheit könnte er auf sein Rückspiel um die Macht in der CDU Sachsen-Anhalt warten.

Auch die andere Partei, die in Schlagdistanz zum Kanzleramt ist, schaut angespannt auf den Wahlsonntag. Über Monate und Jahre lief es für die Grünen wie am Schnürchen. Was 2017 der Schulz-Zug war, das ist 2021 „Annalenas Elektro-Train“. Dann aber häuften sich Rückschläge. Medien zitieren führende Grüne, die sich kritisch über die Fehler der letzten Wochen äußern. Die Endstation Kanzleramt ist jedenfalls kein Selbstläufer.

Erwartungen an die Grünen sind bescheidener

28.05.2021, Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen und Bundesvorsitzende ihrer Partei, spricht auf einer Wahlkampfversanstaltung der Grünen in Sachsen-Anhalt zu den Gästen. Die Landtagswahl findet am 06. Juni 2021 statt. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/ZB +++ dpa-Bildfunk +++
Annalena Baerbock bei einem Wahlkampfauftritt in Magdeburg.
kdg tba, dpa, Klaus-Dietmar Gabbert

Die Erwartungen der Grünen an die Wahl in Sachsen-Anhalt sind bescheidener. Es geht nicht um die Pole-Position wie bei der CDU. Im Osten sind die Grünen generell schwächer. Dennoch wird man Maß nehmen an dem Zuwachs gegenüber der letzten Wahl. Bereits bei der Wahl in Rheinland-Pfalz war man hinter vorgehaltener Hand enttäuscht – es gab zwar einen Zuwachs, aber das Ergebnis war nicht einmal zweistellig. Gut, damals gab es noch keine Kanzlerkandidatin. Jetzt gilt es also. Man sagt, Wahlen werden im Westen gewonnen. Aufgrund der größeren Zahl der Wahlberechtigten. Aber viele Unionsmitglieder erinnern gerne an den Stoiber-Wahlkampf des Jahres 2002 und sagen: Wahlen werden im Osten verloren! Deshalb wird der Wahlsonntag auch darüber entscheiden, wie es mit „Annalenas Elektro-Train“ Richtung Kanzleramt weitergeht.

Jedenfalls sind die Heckenschützen und Spindoctoren in Berlin schon an jeder Ecke zu treffen. Sie flüstern: „Wenn Baerbocks Partei am Sonntag unter zehn Prozent bleibt, dann könnte ihre Kanzlerkandidatur über den Sommer wie Eis in der Sonne zerrinnen.“

Das wird man sehen. Eines ist aber klar: Jede Partei wird das Ergebnis am Sonntag so deuten, dass es einen strahlenden Sieg in knapp über 100 Tagen bei der Bundestagswahl verspricht. So ist das Geschäft hier. Aber wir werden es für Euch weiterhin sortieren.

Ein schönen Wahl-Sonntag!

Eure Franca