Pakistan: Wenn Vergewaltiger mit Vergewaltigung der Schwester "bestraft" werden

Pictured - SHELTER. A girl hangs her head on a sewing machine box before the daily routine of practicing and learning vocational skills at the dar-ul-aman. Skills such as sewing and embroidery are taught to the girls in the shelter so they can be self-sufficient once they leave.  There is a silent epidemic inside Pakistan that has caused tens of thousands of women to be subjected to abuse, even death, in the name of preserving a family's honor in a male-dominated society. More than 4,100 'honor' killings - the slaying of a woman by relatives who think she has shamed the family - occurred in the country between 2001 and 2004, according to Pakistan's Interior Ministry. The practice of honor killing, though not limited to Islam, retains support in Muslim countries, where the majority of such attacks take place and where their numbers are on the rise. Foto: Katie Falkenberg/Washington Times  +++(c) dpa - Report+++
Gewalt gegen Frauen in Pakistan im Namen der Familienehre: verboten, aber üblich.

Vor vielen Hundert Jahren war die Justiz noch nicht so organisiert und strukturiert wie heute. Dennoch lebten die Menschen nicht völlig gesetzlos. Es gab schon immer gewisse Regeln und Normen, nach denen sich das Zusammenleben einer kleineren oder größeren Gruppe Menschen richtete. Manche Regeln veränderten sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung, manche fielen weg, neue kamen hinzu und einige wenige blieben bestehen - mögen sie heutzutage noch so aus der Zeit gefallen erscheinen und vielleicht sogar offiziell abgeschafft sein. Häufig kommt an dieser Stelle das Wort "Tradition" ins Spiel.

"Revanche-Vergewaltigung" in Pakistan: Verboten, aber auf dem Land noch Sitte

Eine solche, mittlerweile per Gesetz sogar verbotene "Tradition" gibt es noch immer in Teilen der Landbevölkerung Pakistans: die "Revanche-Vergewaltigung", eine perverse Form der Wiedergutmachung und eine Bestrafung, die nicht den Straftäter, sondern dessen Familie bestraft. Meist trifft es die Schwester.

Noch immer geschehen diese mehr als fragwürdige Taten. Gerade erst, so berichtet der britische 'Independent', wurden 12 Menschen verhaftet, die eine solche "Revanche-Vergewaltigung" organisiert hatten. Die Familie des Vergewaltigers Wasim Saeed bat demnach die Familie des Opfers um Verzeihung. Sie erzielten dabei folgende Einigung: Die Tat wäre vergeben, wenn Saeeds Familie sich bereit erklärte, dass dessen Schwester vergewaltigt werde. Die Entscheidung fiel in einem Dorfrat, in dem sich Mitglieder der betroffenen Familien und die Ältesten des Dorfes befanden.

Der Independent berichtet von einem ähnlichen Fall aus dem letzten Jahr, als ebenfalls ein Dorfrat entschied, dass der Vergewaltiger einer Zwölfjährigen durch die Vergewaltigung seiner 16-jährigen Schwester bestraft werden sollte. Der Bruder des zwölfjährigen Opfers hatte den Dorfrat um Hilfe gebeten. Dieser sagte dem jungen Mann, er solle die Schwester des Täters vergewaltigen, was er ohne Umschweife tat.

Diese Art von Urteilen eines Dorf- oder Ältestenrates ist in vielen ländlichen Gebieten Pakistans noch immer Sitte, doch nicht legal. Gerade die Art, wie Frauen dort behandelt werden, wird immer wieder von Menschenrechtlern angeprangert.

Mukhtar Mai und ihr Kampf für die Frauen

ARCHIV - Die Leiterin einer Organisation für weibliche Gewaltopfer in Pakistan, Mukhtaran Mai, aufgenommen am 24.04.2011 bei einem Gespräch mit Journalisten in Mirwala nahe Muzaffargarh/Pakistan. In Pakistan werden Frauen immer wieder Opfer archaischer Stammestraditionen. Als Strafe für angebliche Verfehlungen von ihnen oder von Familienmitgliedern werden sie vergewaltigt und misshandelt. Mai selbst war vor mehr als zehn Jahren auf Befehl eines Stammesgerichts vergewaltigt worden.  EPA/RAHAT DAR (zu dpa-Korr-Bericht "Frauen als Opfer von grausamen Stammestribunalen in Pakistan" am 25.02.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Mukhtar Mai - Aktivistin für weibliche Gewaltopfer (Archivbild)

Eine der führenden Aktivistinnen in Pakistan ist Mukhtar Mai. Nachdem ihr zwölfjähriger Bruder fälschlicherweise der Vergewaltigung beschuldigt worden war, entschied das Dorfgericht, dass Mukhtar Opfer einer Massenvergewaltigung werden sollte. Anstatt sich – wie von allen insgeheim erwartet – aus Schande umzubringen, zeigte Mukhtar ihre Vergewaltiger an. Diese wurden zunächst verurteilt, im Revisionsprozess aber – bis auf einen – freigesprochen. Mai wird seitdem von der Familie ihrer Vergewaltiger mit dem Tod bedroht, lebt aber weiter in ihrem Dorf. Weil sich, wie sie sagt, sonst nie etwas ändern werde. Sie erhielt von der Regierung eine Entschädigung, von der sie eine Stiftung gründete. Außerdem erreichte sie, dass ihr Dorf eine Polizeiwache bekam und ans Stromnetz angeschlossen wurde.

Mukhtar Mai erhielt mehrere internationale Auszeichnungen und ist Autorin des Buches 'Die Schuld ,eine Frau zu sein', in dem sie ihre Erfahrungen beschreibt.