Enttäuschung für Weidle

Ski-Star Goggia gelingt Olympia-Wunder nach Horrorsturz - und ist trotzdem stinksauer

2022 Beijing Olympics - Alpine Skiing - Women's Downhill - National Alpine Skiing Centre, Yanqing district, Beijing, China - February 15, 2022. Sofia Goggia of Italy react after her run. REUTERS/Wolfgang Rattay
Raus mit den Emotionen: Sofia Goggia.
jb, REUTERS, WOLFGANG RATTAY

Sofia Goggia tritt nach ihrem Horrorsturz vor ein paar Wochen beim Heimrennen in Italien in der olympischen Abfahrt an - und schafft tatsächlich das Medaillenwunder. Den Sieg allerdings verpasst sie - und ist zunächst stinksauer. Für den DSV wird es wieder bitter.

Ein ganz kurzes Glück

2022 Beijing Olympics - Victory Ceremony - Alpine Skiing - Women's Downhill - National Alpine Skiing Centre, Yanqing district, Beijing, China - February 15, 2022. Gold Medallist Corinne Suter of Switzerland celebrates during the victory ceremony. REUTERS/Jorge Silva
Die neue Olympiasiegerin: Corinne Suter.
sg, REUTERS, JORGE SILVA

Zwischen der grenzenlosen Erleichterung und der gigantischen Enttäuschung bei diesen Olympischen Spielen liegen für Sofia Goggia nur wenige Minuten. Als die Italienerin in der Abfahrt über die rote Linie fährt, leuchtet tatsächlich die Eins auf der digitalen Anzeige auf. Ein Märchen. Vielleicht sogar ein alpines Wunder. Denn noch vor drei Wochen lief die 29-Jährige an Krücken. Beim Heimrennen in Cortina d’Ampezzo hatte es ihr im Super-G brutal die Beine verschlagen. Die bittere Diagnose: Ein Anriss im vorderen Kreuzband, ein kleiner Bruch im Wadenbein und ein schwer verstauchtes Gelenk. Die Hoffnung auf die große Gold-Show in Peking, sie war extrem gefährdet.

Und nun das. Mit Startnummer 13 hatte sich Goggia die Piste am Olympia-Berg Xiaohaituo auf ihre so besondere Weise heruntergestürzt. Hart am Limit, immer auf der Suche nach der aggressivsten Linie. Gefunden hat sie diese oft, aber nicht immer. Hin und wieder allerdings schlichen sich kleine Unsicherheiten ein. Eine Folge ihres heftigen Einschlags in Cortina? Körperlich nicht voll belastbar? Oder vielleicht doch einfach ein My weniger Vertrauen in die Stabilität ihres Knies? Wie erleichtert sie nach ihrer Fahrt war, das für jeden im Zielraum (und am TV-Gerät) unüberhörbar. Goggia schrie wild. Und laut. Sehr laut. Dann schnappte sie sich die Kamera und schickte Küsse in die Heimat.

Die Hoffnung war groß, dass Goggia die Goldspur gefunden hatte. Wie so oft in den vergangenen Jahren. Sie ist einfach die dominante Speedfahrerin. In der Abfahrt noch stärker als im Super-G. Um sich für den Triumph in der Königsdisziplin zu schonen, hatte sie auf die Teilnahme im zweitschnellsten Wettbewerb der Alpinistinnen verzichtet. In diesem Moment schien der Plan aufzugehen. Doch das Glück der Italienerin währte eben nur wenige Minute. Oder aber exakt zwei Fahrerinnen. Mit Nummer 15 donnerte Corinne Suter den Hang herunter. Ein Hundertstel-Krimi von Zwischenzeit zu Zwischenzeit. Mit dem knapp besseren Ende für die Schweizerin, 0,16 Sekunden rettete sie über die Ziellinie. Ungläubiges Staunen. Verhaltene Freude. Noch.

In anderen Sphären unterwegs

2022 Beijing Olympics - Victory Ceremony - Alpine Skiing - Women's Downhill - National Alpine Skiing Centre, Yanqing district, Beijing, China - February 15, 2022.  Silver medallist Sofia Goggia of Italy and her compatriot bronze medallist Nadia Delago of Italy pose with their medals during the victory ceremony. REUTERS/Denis Balibouse
Am Ende doch happy: Sofia Goggia (l.).
JAC, REUTERS, DENIS BALIBOUSE

Und ein paar Meter weiter? Die gigantische Enttäuschung. Stocksauer über das verpasste Gold stapfte Goggia aus der Leadersbox. Erst verzweifelt, dann augenscheinlich stinksauer. An der Schulter einer Kollegin suchte sie Trost. Ihr Traum, geplatzt. Ihr Erfolg dennoch ein Märchen. Niemand, auch ihre Konkurrentinnen, hatte geglaubt, dass es die Italienerin mit ihrer Geschichte tatsächlich nach Peking schafft. Damit waren ihre Kämpfer-Qualitäten hinlänglich bekannt. Goggia ist eine, die es auf ihrer Linie am Limit immer wieder übertreibt. Heftig stürzt. Die "Neue Züricher Zeitung" schrieb vor ein paar Jahren: Wenn die Italienerin stürzt, greift sie gedanklich zum Radiergummi. Eine bessere Beschreibung ihren den zerstörerischen Irrsinn auf Skiern gibt es wohl nicht.

Bisweilen dringt die 29-Jährige mit ihrem Ski-Spektakel in die Sphären der legendären Amerikanerin Lindsey Vonn vor. Die war irgendwann so überlegen, dass sie sich lieber mit den Männern in einem echten Rennen duelliert hätte. Und so stellt sich auch bei Goggia oft genug nur noch die Frage: Wer wird die Beste vom Reste? Dass es ausgerechnet bei den Spielen anders kommt, man kann den Frust der Speed-Queen durchaus nachvollziehen.

Frust schob übrigens auch Kira Weidlle. Deutschlands schnellste Frau auf Skiern hatte nach starken Trainingsfahrten offensiv mit einer Medaille geflirtet. Und verpasste diese als Vierte hauchzart. Für den DSV das zweite bittere Erlebnis dieser Spiele. Schon im Slalom hatte Lena Dürr das Stockerl nach Führung in Durchgang eins um einen Rang verpasst. "14 Hundertstel ist halt doch ein Stück", sagte sie zu ihrem Rückstand auf Rang drei, auf den Nadia Delgado aus Italien fuhr. "Hätte man besser machen können. Aber Rennen ist halt was anderes, und heute hat's halt leider nicht ganz perfekt funktioniert." Vor einem Jahr bei der WM in Cortina d'Ampezzo war das noch anders gewesen: Da brachte sie die beste Leistung ihrer Karriere im entscheidenden Moment, 0,20 Sekunden Rückstand auf Suter reichten zum Sensationssilber.

Wieder am Start war auch Mikaela Shiffrin. Die geschlagene Heldin dieser Spiele. Auch in der Abfahrt brachte sie ihre Qualität nicht auf die Bretter. Mit einem Rückstand von fast zweieinhalb Sekunden landete die Amerikanerin auf Rang 18. Immerhin: Sie lächelte im Ziel. Das tat später auch Goggia - und "biss" dann doch vergnügt auf die zweitschönste Medaille. (tno)