Trauer um verstorbenen Vater

Das ganze Drama um Ski-Superstar Shiffrin

A team member consoles Mikaela Shiffrin, of the United States after she skied out in the first run of the women's slalom at the 2022 Winter Olympics, Wednesday, Feb. 9, 2022, in the Yanqing district of Beijing. (AP Photo/Robert F. Bukaty)
Mikaela Shiffrin nach dem Slalom-Aus
TH, AP, Robert F. Bukaty

Was ist mit der Ski-Queen Mikaela Shiffrin los? Die Skirennläuferin, die kaum Fehler macht, patzt plötzlich mehrfach auf der ganz großen Bühne. Nach dem Aus im Slalom denkt die bitter enttäuschte Amerikanerin an ihren verstorbenen Vater. Emotionale Hilfe bekommt sie von ihrem Freund.

Aus Heldengeschichte wird ein Drama

Dass Mikaela Shiffrin mal einen fatalen Fehler auf Skiern macht, das kommt höchst selten vor. Fast unmöglich scheint, dass der amerikanische Superstar zweimal nacheinander patzt. Doch genau das passiert bei den Olympischen Spielen. Und wieder passiert es ausgerechnet im Slalom.
Der Slalom ist eine prekäre Angelegenheit. In keinem anderen Wettbewerb des alpinen Skisports ist der Tanz zwischen Ski und Stange so eng wie in dieser Disziplin. Niemand weiß das besser als Mikaela Shiffrin. Und eigentlich beherrscht auch niemand dieses schnelle, heiße Hin und Her in knapp unter einer Minute besser als die Amerikanerin. 47 (!) Mal hat die 26-Jährige bereits im Slalom triumphiert. Mehr Siege hat niemand. Kein Ingemar Stenmark, kein Alberto Tomba, kein Marcel Hirscher, keine Marlies Schild, keine Vreni Schneider. Die größte Legende im Stangenwald ist Mikaela Shiffrin.

Aber in der olympischen Tagen von Peking schreibt sie bislang keine neue Heldengeschichte. Ihre Erzählung ist ein sich fortsetzendes Drama – und sie selbst malt an diesem Mittwoch das passende Bild dazu in den Schnee. Fünf Sekunden kämpft Shiffrin um ihr zweites olympisches Gold in ihrer Lieblingsdisziplin bei der dritten Teilnahme an den Winterspielen. Fünf Sekunden, die mit einem einfachen Fehler enden. Wie schon wenige Tage zuvor im Riesenslalom. Die Frau, die kaum Fehler macht, patzt. Und das nun gleich zweimal.

"Wie kann das sein?"

In Amerika, wo die Geschichten von aufgestandenen Helden epischer abgefeiert und inszeniert werden also sonst wo, steht die olympische Welt kurz still. Beim Sender NBC ringen sie nach Worten – und finden sie nicht. Die Kommentatoren stammeln sich ein „Wie kann das sein?“ zusammen. Es ist tatsächlich die Frage aller Fragen. Gab es wieder Probleme mit der Gesundheit, wie 2018, als sie sich vor dem Start übergeben musste (und Vierte wurde)?

Shiffrin wird später versuchen sie zu beantworten, aber nun, nach ihrem Fehler, sitzt sie im Schnee, auf diesem weißen Band in staubtrockener Umgebung. Was für eine Szene! 15 Fahrerinnen lässt sie an sich vorbeirauschen. 15 Fahrerinnen, die ihren Traum auf dieser Kunstschnee-Piste noch leben. Was Shiffrin in diesem Moment denkt? Niemand weiß es. Was sie empfindet? Wut, Trauer? Aus ihr ist kaum etwas herauszulesen. Sie sitzt da, die Arme vor dem Körper verschränkt. Leere. Sonst nichts. Ein Moment, der um die Welt geht.

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Aleksander Aamodt Kilde sendet bewegende Grüße

"Wenn man sich dieses Bild anschaut, kann man sich so viele Aussagen, Bedeutungen und Gedanken machen. Die meisten von euch sehen es wahrscheinlich mit den Worten: 'Sie hat es verloren', 'Sie kann mit dem Druck nicht umgehen' oder 'Was ist passiert?'", schrieb Ihr Lebensgefährte Aleksander Aamodt Kilde in einem bewegenden Instagram-Post. Ihn frustriere das. "Ich sehe nur eine Spitzensportlerin, die tut, was eine Spitzensportlerin tut! Es ist ein Teil des Spiels und es passiert. Der Druck, den wir alle im Sport auf Einzelpersonen ausüben, ist enorm, also lasst uns die gleiche Unterstützung zurückgeben. Es dreht sich alles um das Gleichgewicht und wir sind ganz normale Menschen!! Ich liebe dich Kaela", schrieb der 29-Jährige.
Momente wie diesen kennt man von der Amerikanern nicht. Momente wie diesen kennt sie von sich selbst nicht. "Natürlich ist der Druck groß, aber das war nicht das größte Thema heute. Ich wollte die aggressivste Linie fahren. Ich bin mit starker Mentalität gestartet - dann war ich draußen“, sagte sie.

Eine kühle Analyse einer professionellen Athletin. Eine Analyse voller Adrenalin. Auf die später der emotionale Zusammenbruch folgt. Die megadominante Skifahrerin der vergangenen Jahre vergoss herzzerreißende Tränen der Enttäuschung und berührte die olympische Gemeinschaft mit der verzweifelten Sehnsucht nach ihren toten Vater, der für sie der wichtigste Anker in schwierigen Momenten war. "Ich würde ihn jetzt wirklich gerne anrufen", bekannte sie mit zittriger Stimme. Jeff Shiffrin verstarb vor zwei Jahren bei einem tragischen Unfall zuhause. "Er würde mir wahrscheinlich sagen: Komm darüber hinweg, aber er ist nicht hier, um mir das zu sagen." Das mache alles noch viel schlimmer. Wie konnte er sie nur so im Stich lassen? "Ich bin ziemlich sauer auf ihn", sagte Shiffrin.

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Ihre besten Olympia-Chancen sind vertan

Die Amerikanerin hatte einmal mehr der Star der Spiele werden sollen. Doch statt der Triumphe nun die sportliche Tragödie: Aus am siebten Tor im Riesenslalom, Fehler am vierten Tor im Slalom, den ausgerechnet ihre ewige Rivalin Petra Vlhova gewann. Aber wie kann das sein? Vielleicht war es doch der Druck? Der Druck ihrer erfolgreichen Geschichte den nächsten Superlativ zu verpassen? „Da fragt man besser einen Psychologen“, antwortete sie.

Ihre beiden besten Chancen auf einen Olympiasieg in China, sie sind nun vertan. "Es fühlt sich an wie viel Arbeit für nichts." Und nun? Aufgeben? Nein. "Ich bin hier nur ein kleiner Tropfen in einem großen Eimer", sagte sie, "es fühlt sich an, als wäre es alles, aber das ist es nicht." Schon gar "nicht das Ende der Welt".

Und auch nicht das Ende der olympischen Wettbewerbe. Bereits am Freitag hat sie im Super-G die nächste von noch bis zu vier Chancen, dieses Mal ist nicht Top- sondern nur Mitfavoritin. Doch die oft Außerirdische auf Ski, sie ist verunsichert. "Ich habe das Gefühl, dass ich vieles in Frage stellen muss."Ja, das tue alles unfassbar weh, ergänzte sie schniefend. Doch "so schwer es ist: Das ist nicht das Schlimmste, was ich je erlebt habe", wusste Shiffrin und war mit den Gedanken wohl wieder bei Papa Jeff: "Es ist nicht vergleichbar mit den schlimmsten Dingen." (tno)