Die Millimeter-Frage von Al-Rayyan
Warum Japans-"Verschwörungstor" regulär war

Ein Hauch Wembley weht durch Katar. Der Weg zum entscheidenden Treffer der Japaner zum 2:1 erhitzt die Gemüter wie einst das Skandaltor der Engländer gegen Deutschland im Jahr 1966. War der Ball beim Assist hinter der Torauslinie oder nicht?
Video: DFB-Team scheidet trotz Sieg aus
Video Assistant Referee guckt drei Minuten hin
Wenn schon der Video Assistant Referee minutenlang über den Bildern der TV-Kameras brütet und grübelt, dann ist das meist kein gutes Zeichen. So auch am späten Donnerstagabend, als die Torvorlage des Japaners Kaoru Mitoma auf den Düsseldorfer Ao Tanaka die wichtige, weil spielentscheidende Frage auslöste: War der Ball im Aus?
Lese-Tipp: Riesenwirbel um Japans Siegtor - mit fatalen Folgen fürs DFB-Team
Es ist wie so oft im Leben eine Frage der Perspektive. Denn seitliche Bilder lassen schnell den Eindruck entstehen, dass der Ball schon ganz hinter der Linie war. Diese kursierten auch schnell in den sozialen Netzwerken, wo dann noch schneller die Verschwörungstheorien ausgepackt oder vermeintlich bestätigt wurden.
Allerdings war auch Spaniens Trainer Luis Enrique verwirrt. „Ich habe ein Foto gesehen, das manipuliert worden sein muss. Es kann nicht sein, dass dieses Foto echt ist“, sagte er nach dem Spiel und sprach damit wohl vielen deutschen Fans aus dem Herzen, die diese Entscheidung nicht fassen konnten.
Knackpunkte: Perspektive und Eingriffsschwelle
Besser sind aber Bilder von oben oder der Vogelperspektive. Denn der Ball muss mit vollem Umfang, nicht nur der Liegefläche auf dem Rasen, hinter der Linie sein, um als „Aus“ gewertet zu werden. Genau das ist der Knackpunkt. Die seitliche Perspektive ist oftmals verzerrend.
Lese-Tipp: Ex-Nationalspieler Hamann fordert Flick-Rauswurf
Die Schiedsrichter-Experten „Collinas Erben“ erklären bei Twitter: „Der Ball ist nur dann aus dem Spiel, wenn er die Linie vollständig überschritten hat, also kein Teil von ihm mehr auf die Linie ragt.“ Und tatsächlich legen Bilder aus den Perspektiven von oben nahe, dass ein Hauch von Ball noch in die Linie hineinragt. Und das Tor somit regulär war.
Musste der VAR überhaupt eingreifen?
Der südafrikanische Schiedsrichter Victor Gomes gab das Tor zunächst nicht, wertete den Ball wie sein Linienrichter als Aus. Dann schritt der VAR ein, der die Entscheidung vor den Wiederholungen der Szene fällen musste. Und auch hier steckt Brisanz drin: Hätte der Video-Schiri überhaupt eingreifen dürfen? Denn das darf er der Regel nach nur bei einer klaren Fehlentscheidung. Drei Minuten also betrachtete er die Bilder. Die Frage ist: Sind die vorhandenen Bilder Beweis genug, dass der Ball die Linie klar NICHT komplett überschritten und NICHT im Aus war? Gibt es einen klaren Beweis hierfür? Der VAR sah das offenbar so.
Die FIFA beweist das Tor mit anderen Bildern
Einen Tag später ist dann klar: Der Treffer ist regulär. Die FIFA veröffentlichte am Freitagnachmittag bei Twitter die Aufnahmen, die am Donnerstag im Chalifa International Stadion beim Videobeweis verwendet worden waren. „Andere Kameras zeigen möglicherweise irreführende Bilder, aber den verfügbaren Beweisen zufolge war der Ball nicht vollständig aus dem Spiel“, schrieb die FIFA. Das Schiedsrichterteam habe die Bilder der Torlinienkamera verwendet, „um zu überprüfen, ob der Ball noch teilweise auf der Linie war oder nicht“.
Es gibt kein technisches Hilfsmittel
Die FIFA-Bilder belegen, dass der Ball die Linie nicht vollständig überschritten hat – dies war aber nur wegen weniger Millimeter nicht der Fall. Im Gegensatz zur Torlinie gibt es bei der Torauslinie kein automatisches technisches Hilfsmittel. Das hätte sicher geholfen – und Zeit gespart… (msc/jlu/dpa)