Sie soll ihre vier Kinder erstickt haben

Meistgehasste Frau Australiens: Kindermörderin Kathleen Folbigg seit 18 Jahren unschuldig im Gefängnis?

KATHLEEN FOLBIGG CONVICTIONS INQUIRY, Kathleen Folbigg appears via video link during a convictions inquiry at the NSW Coroners Court, Sydney, Wednesday, May 1, 2019. An Inquiry continues into convictions of baby killer Kathleen Megan Folbigg. ( !ACHTUNG: NUR REDAKTIONELLE NUTZUNG, KEINE ARCHIVIERUNG UND KEINE BUCHNUTZUNG! SYDNEY NSW AUSTRALIA PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xJOELxCARRETTx 20190501001397398279
Kathleen Folbigg bei einer Überprüfung des Urteils im Jahr 2019.
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Sie gilt als schlimmste Kindermörderin und meistgehasste Frau Australiens: Kathleen Folbigg wurde 2003 zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie ihre vier Kinder getötet haben soll. Sie selbst streitet alles ab – und könnte tatsächlich die Wahrheit gesagt haben.

Petition sieht "Fehlschlag der Justiz"

76 von Australiens angesehensten Wissenschaftlern fordern, Kathleen Folbigg zu begnadigen. Sie haben zusammen mit anderen hochrangigen Persönlichkeiten, darunter auch Nobelpreisträger, eine Petition unterschrieben, in der es heißt, die Inhaftierung Folbiggs sei ein „Fehlschlag der Justiz“. Die angebliche Mörderin habe ihre Kinder nicht erstickt. In dem Schreiben an die Gouverneurin von New South Wales verweisen die Verfasser auf neue Ergebnisse in der Genforschung, die die verurteilte Mörderin entlasten. Sollte dies stimmen, wäre es einer der größten Justizskandale in der jüngeren Geschichte Australiens. Wie konnte es dazu kommen?

"Ich fühle mich wie die schlechteste Mutter der ganzen Welt"

Februar 1999: Ein kleines Mädchen planscht in einem Pool, steigt mit seinen Schwimmflügeln aus dem Wasser. Es zeigt die letzten Stunden im Leben der 20 Monate alten Laura. In der folgenden Nacht wird ihre Mutter den Notruf wählen. „Mein Baby atmet nicht mehr“, hört man Kathleen Folbigg verzweifelt ins Telefon rufen. „Ihr Herz schlägt nicht mehr.“ Nichts deutet auf ein Verbrechen hin. Der Arzt bescheinigt Herzversagen als Todesursache. Der Polizist Bernard „Bernie“ Ryan soll den Fall routinemäßig überprüfen und stellt fest, dass Folbigg seit 1989 schon ihre Söhne Caleb und Patrick und ihre Tochter Sarah durch angeblichen plötzlichen Kindstod verloren hat. Die Ermittlungen beginnen – hat Folbigg ihre Kinder erstickt?

Kathleen Folbigg am 3. April 2003 vor dem Obersten Gerichtshof in Sydney.
Kathleen Folbigg am 3. April 2003 vor dem Obersten Gerichtshof in Sydney.
deutsche presse agentur

Ihr Ehemann Craig entdeckt nach Lauras Tod versteckte Tagebücher seiner Frau. „Ich bin sehr deprimiert, wütend und aufgewühlt. Ich habe es getan. Ich bin ihretwegen durchgedreht“, schreibt Folbigg im Januar 1999 über Laura. „Ich habe sie so aggressiv angeschrien, dass sie Angst bekam. Sie hat nicht aufgehört zu weinen. Es wurde so schlimm, dass ich sie beinahe absichtlich auf den Boden hätte fallen lassen. […] Ich fühle mich wie die schlechteste Mutter der ganzen Welt. Habe Angst, dass sie mich verlässt, wie Sarah es getan hat. Ich weiß, ich hatte eine kurze Zündschnur und war manchmal grausam zu ihr und sie hat mich verlassen. Mit ein kleines bisschen Hilfe.“

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"Ich wollte nur, dass sie die Klappe hält. Eines Tages tat sie es"

Ein Eintrag wenige Wochen zuvor lautet: „Sie ist ein sehr gut entwickeltes Baby, Gott sei Dank, es wird ihr das Schicksal ihrer Geschwister ersparen. Ich denke, sie ist gewarnt.“ Folbigg schreibt, sie habe gelernt, besser mit Babygeschrei umzugehen als noch bei Sarah. Sie gehe jetzt weg, atme tief ein und aus. „Bei Sarah wollte ich nur, dass sie die Klappe hält. Und eines Tages tat sie es.“

Es sind harte Worte einer Frau, deren Vater ihre Mutter zwei Jahre nach ihrer Geburt umbrachte. Folbigg sagte 2018 über die Einträge: „Ich habe mir selbst für alles die Schuld gegeben. Ich habe so viel von der Verantwortung übernommen, weil es das ist, was Mütter machen.“ In der Petition heißt es, die Strafe „basiert auf der Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit, dass vier Kinder aus einer Familie aus natürlichen Gründen sterben so unwahrscheinlich ist, dass sie praktisch unmöglich ist. Es führte dazu, dass medizinische Beweise zugunsten einer Interpretation der vagen Tagebucheinträge von Frau Folbigg abgelehnt wurden, die keine Schuldbekenntnisse enthielten."

Neu entdeckte Mutation stellt Beweislage auf den Kopf

Konkret beziehen sich die Unterzeichner der Petition auf eine Untersuchung im Jahr 2019, bei der in der DNA von Sarah und Laura eine Mutation gefunden wurde, die bei Säuglingen und Kleinkindern einen plötzlichen Herzstillstand verursachen könnte. Im selben Jahr berichtete ein internationales medizinisches Register, dass zwei Kinder in den USA ebenfalls an der Mutation gestorben seien könnten. 2020 wurde die Vermutung in einer internationalen Studie bestätigt: Die bisher unbekannte Mutation mit dem Namen CALM2 G114R sei wahrscheinlich für den natürlichen Tod von Sarah und Laura verantwortlich. „Mutationen in diesem Gen sind eine der bekanntesten Ursachen für Todesfälle im Säuglingsalter und in der Kindheit“, heißt es in der Petition weiter. Zumindest diese beiden Kinder seien wahrscheinlich aus natürlichen Gründen gestorben.

Wie entscheidet der Generalstaatsanwalt?

Carola Vinuesa, eine australische Professorin für Immunologie, gehört zu den Unterzeichnern der Petition. Sie sagt: 'Bei allen vier Folbigg-Kindern gibt es glaubwürdige medizinische und pathologische Beweise, einschließlich neuer, von Experten überprüfter genetischer Befunde, die […] auf natürliche Todesursachen hinweisen.“

„Eine vernünftige Person sollte Zweifel daran haben, dass Frau Folbigg ihre vier Kinder getötet hat. Wenn Sie anders entscheiden, lehnen Sie die Medizin und das Gesetz ab, das den Beweisstandard festlegt“, so die klare Meinung der Wissenschaftler. Auch Folbiggs verstorbene Kinder Caleb und Patrick hätten eine weitere genetische Mutation, die ebenfalls zu ihrem Tod hätte führen können. Es gebe keine medizinischen Beweise für ein Ersticken.

Ein Sprecher der für eine Begnadigung zuständigen Gouverneurin sagte, die Angelegenheit sei an den Generalstaatsanwalt verwiesen worden und die Gouverneurin werde auf seinen Rat warten.

So können Eltern die Trauer verarbeiten

Kind stirbt
Wenn ein Kind stirbt, gerät die Welt um es herum aus den Fugen.
ArturK, iStockphoto

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