Spätes Outing verursacht oft Chaos und Leid
Mein Mann steht auf Männer - und jetzt?
Das Leben ändert sich radikal
Lydia konnte es nicht fassen, als ihr erster und einziger Mann Dieter sich nach 14 Jahren Ehe im Jahr 2013 als homosexuell outete. In solchen Fällen sind die betroffenen Frauen häufig total überfordert mit der Situation und fallen in ein tiefes Loch. Eine Sexualtherapeutin sagt, was dann zu tun ist.
von Isabel Michael
Eine Ehe ohne Sex
Seit 1996 waren Lydia und Dieter scheinbar das perfekte Paar. Die Kinder der beiden sind heute 15 und 17 Jahre alt. Streit gab es fast nie in der Ehe, jedoch auch wenig Sex. "Die letzten fünf Jahre mit ihm war im Bett tote Hose, davor haben wir einmal im Jahr miteinander geschlafen. Ich wurde als Ehepartnerin nicht mehr wahrgenommen", sagt Lydia im Interview mit RTL.de.
Fremdgehen kam für die Mutter aber nie in Frage. Die sexuelle Unlust ihres Mannes nagte gewaltig an der heute 47-Jährigen: "Ich dachte, ich wiege zu viel oder meine Erkrankung ist schuld, dass im Bett nichts mehr läuft." Deswegen wollte sie Dieter dazu überreden, eine Paartherapie zu machen, wenn sie beide aus der Mutter-Kind-Kur zurückkommen.
Während der Kur fiel Lydia auf, dass ihr Mann enorm viel Zeit am Computer verbrachte: "Ich habe ihn für internetsüchtig gehalten", sagt sie. Deswegen gab es öfter Streit. Nach der Kur bekam die zweifache Mutter schließlich einen Brief von Dieter, in dem stand, dass er schwul ist. Fünf Jahre war er bereits auf Schwulenplattformen unterwegs und hatte nun einen Freund gefunden. Während der Ehe sei aber nichts mit Männern gelaufen.
Verzweiflung und Wut
Das Outing ihres Mannes traf Lydia total unerwartet, denn vorher gab es keine Verdachtsmomente. Trotzdem war es eine Erlösung für sie: "Die ganze Zeit hatte ich die Schuld bei mir gesucht", erzählt sie. Für die Kinder war es ein großer Schock als die Eltern ihnen mitteilten, dass Papa nun einen Freund hat: "Unser Sohn hat geschwiegen, unsere Tochter hat geweint", erinnert sich die Mutter. Sie war enttäuscht, traurig und wütend zugleich: "Er hat mich nicht an seiner Entwicklung teilhaben lassen. Hätte ich gewusst, dass er andere Interessen hat, hätte ich mich getrennt. Er dachte nur an sich und hat mich dabei außen vorgelassen", sagt Lydia.
Zudem machte sich Verzweiflung breit, denn sie konnte ihren Mann nicht mehr zurückgewinnen. Daher wandte sie sich an die Selbsthilfegruppe Tangiert. Dort tauschen sich betroffene Frauen untereinander aus und geben sich gegenseitig Hilfestellung. "Viele sind verzweifelt, hängen noch an ihren Männern", sagt Lydia. Sogar offene Ehen werden von einigen Betroffenen in Betracht gezogen. Das funktioniert jedoch auf die lange Sicht oft nicht, da zu viel Eifersucht im Spiel ist.
Die Lebens- und Sexualtherapeutin Dagmar K. Raimund betreut beinahe täglich Frauen in ihren Online-Coachings, deren Mann sich als schwul geoutet hat. Sie weiß aus eigener Erfahrung, welch große Belastung das sein kann: "Man fragt sich, ob der Mann einen wirklich geliebt hat, oder ob alles nur eine Lüge war", sagt sie im Gespräch mit RTL.de. Oft ist es so, dass sich die Männer gar nicht outen wollen. Viele Frauen erwischen ihren Mann jedoch auf einschlägigen Seiten oder entdecken verdächtige Nachrichten auf seinem Handy.
In manchen Fällen streiten die Männer trotzdem noch ab, sich zum eigenen Geschlecht hingezogen zu fühlen. Sie wollen nicht als "schwul" gelten und befürchten gesellschaftliche Nachteile. Dieter erzählte seiner Frau, dass seine Eltern ihm zu der Hochzeit rieten. Dabei hatte er bereits im Jugendalter den Verdacht, dass er homosexuell sein könnte. Der heute 49-Jährige verdrängte das aber, weil er die Schwärmereien für eine jugendliche Phase hielt.
Oft reagiert das Umfeld verständnislos auf die große Trauer der betroffenen Frauen. "Viele sagen, 'Sei froh, dass es ein Mann und keine Frau ist'. Das stimmt, die Frauen mussten nicht konkurrieren, aber sie konnten es auch nicht", sagt Therapeutin Raimund. Im Fall von Lydia und Dieter gingen viele gemeinsame Bekannte nach dem Outing auf Abstand: "Die kommen zu mir und fragen, was er macht. Ich werde darauf reduziert, dass er einen Mann hat", sagt sie.
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Was tun, wenn der Mann schwul ist?
Hat man den Verdacht, dass der eigene Partner schwul sein könnte oder hat dieser sich bereits geoutet, ist es wichtig, sich eine Vertrauensperson zu suchen und darüber zu sprechen. Das ist häufig schwierig, weshalb sich viele an die Selbsthilfegruppe wenden: Die Frauen haben fast keine Möglichkeit, sich jemandem anzuvertrauen, weil sie den Mann nicht zwangsweise outen wollen", sagt Raimund. Dabei sei es wichtig, dass sie in so einer Phase ermutigt werden: "Oft denken sie, dass sie etwas falsch gemacht haben, sodass der Mann schwul geworden ist", sagt die Sexualtherapeutin.
Die meisten Betroffenen kommen zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal mit dem Thema Homosexualität in Berührung. Raimund betont daher, wie wichtig es ist, sich über dieses Thema zu informieren. Schon alleine durch das Wissen, dass Homosexualität biologisch bedingt ist, entfallen sehr oft etwaige Schuldgefühle. Weiterhin ist es wichtig, sich besonders in dieser Zeit etwas Gutes zu tun. Manchen Frauen hilft es auch, erst einmal räumliche Distanz zu schaffen, indem sie zum Beispiel mit einer Freundin in den Urlaub fahren oder zu den Eltern ziehen. Anschließend empfiehlt Raimund, sich professionelle Unterstützung zu suchen: "Das ist nichts, worauf einen das Leben vorbereitet. Damit umzugehen ist schwierig", sagt sie. Ganz wichtig ist es zudem, sich trotz der schweren Zeit etwas Gutes zu tun - das heißt ausreichend schlafen, gesund essen und auch den alten Hobbys weiter nachzugehen.
Lydia hat 1,5 Jahre gebraucht, um die Trennung von ihrem Mann zu überwinden. Weiterhin musste sie viel an ihrem Selbstwert arbeiten, da sie vor Dieters Outing ständig dachte, dass sie als Frau nicht mehr attraktiv für einen Mann ist. Über eine Dating-Plattform hat sie sich schließlich neu verliebt und ist seit zwei Jahren wieder glücklich.