Seltsames Barca-Ende für Messi

Der gigantische Schock

Von Tobias Nordmann
Es ist vorbei. Es ist wirklich vorbei. Lionel Messi unterschreibt keinen neuen Vertrag mehr bei seinem Herzensverein FC Barcelona. 2000 kam er als 13-Jähriger. Mit 34 verlässt er den Klub, den er und der ihn zu ungeahnten Fußball-Sphären trug. Ein Abschied mit Wehmut und Enttäuschung.

Alles begann mit einer Serviette

Nun, die Sache ist jetzt die: Man kann Lionel Messi und seine unfassbare Zeit (weil unfassbar erfolgreich) beim FC Barcelona würdigen. Das würde der Sache, also seiner Ära, absolut gerecht. Aber da Lionel Messi ja seit über einem Jahr den Klub irgendwie verlassen will (und irgendwie auch nicht), hat man all diese Dinge schon sehr oft und ausführlich gelesen. Gnadenlos verdichtet liest sich das dann so: 778 Pflichtspiele, 672 Tore, 305 Vorlagen und phänomenale 34 Titel in 21 gemeinsamen Jahren. Denn tatsächlich kam der kleine Argentinier als kleiner Argentinier zum FC Barcelona. Er war erst 13, als ihn die Katalanen verpflichtet hatten. Alles begann mit einer Absichtserklärung auf einer Serviette, nun, das weiß tatsächlich vielleicht nicht jeder.

Gerecht wird dieses beeindruckende Zahlenwerk der Karriere von Messi beim FC Barcelona nicht. Aber spannender ist ja tatsächlich eine andere Sache: Wie geht es weiter für den Superstar, der in seiner privaten Fehde gegen Cristiano Ronaldo zwar in der offiziellen Weltfußballer-Statistik hinten liegt (1:2), dafür aber in der Ballon d’Or-Statistik führt (6:5)? Nun, klar dürfte sein, dass Messi und Ronaldo auch in der kommenden Saison weiter nicht in einem Team spielen werden. Zumindest hat sich bislang noch kein Transfermarkt-Experte (was für ein sensationeller Beruf übrigens!) getraut, ein solches Gerücht in irgendeinem Forum oder irgendeinem Social-Media-Kanal zu lancieren. Bedeutet also: Juventus Turin und Messi, das wird nix.

Zwei Teams wohl im Rennen

FILE PHOTO: Barcelona's Lionel Messi (R) celebrates in front of his coach Pep Guardiola after scoring a goal against VfB Stuttgart during their Champions League last 16, second leg soccer match at the Nou Camp stadium in Barcelona March 17, 2010. Picture taken March 17, 2010.  REUTERS/Albert Gea/File Photo
Ein Bild aus früheren Zeiten: Pep Guardiola und Lionel Messi.
/FW1F/Simon Newman, REUTERS, Albert Gea

Ohnehin gelten ja zwei andere Vereine als dringend empfänglich für die Aufnahme des mittlerweile 34-Jährigen, der an manchen Tagen (nicht ganz so regelmäßig wie früher) immer noch so wundervoll Fußballspielen kann, als wäre er 22. Oder 23. Oder 24. In diesen Karrierejahren hat er das Spiel dominiert. Mit seinen wundervollen und nicht zu stoppenden Dribblings. Mit seinem aberwitzigen Tempo. Mit seiner phänomenalen Ballkontrolle. Mit seiner kreativen Genialität. Mit Tiki-Taka. An der Seite von Legenden wie Xavi, Andres Iniesta oder auch kurz von Zlatan Ibrahimovic. Weil Messi zu keiner Zeit mehr Messi war als zwischen den Jahren 2009 und 2012.

Nun, die Klubs, die sich des - das ist nicht zu leugnen - alternden Argentiniers annehmen wollen, sollen Manchester City und Paris St. Germain sein. Das wundert doppelt nicht. Zum einen dürfte die Vereine das große Thema finanzielle Zwänge durch die Corona-Pandemie nur wenig jucken, Scheich-Milliarden sind das unschöne Stichwort. Und zum anderen finden sich dort Männer, zu denen sich Messi hingezogen fühlt. Bei Manchester wäre das Trainer Josep Guardiola. Beide haben einst gemeinsam mit Barça die Welt verzückt. Bei Paris wäre das Neymar. Beide haben einst gemeinsam mit Barça die Welt verzückt (II).

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Es sah doch schon so gut aus

Entschieden ist selbstverständlich nichts. Auch bei den Transfermarkt-Experten ist die Sache noch völlig offen. Womöglich könnte sich Man City aber aus dem Rennen verabschieden. Denn am Abend, an dem die Ära von Lionel Messi beim FC Barcelona endet, endet auch die Ära von Jack Grealish bei Aston Villa. Der englische Nationalspieler verlässt seinen Jugend- und auch Herzensklub für die angebliche Rekordablöse (bezogen auf die Premier League) von 100 Millionen Pfund. Und weil Guardiola auch noch Harry Kane haben will, auch er ist ein sehr teurer englischer Nationalspieler, könnte die Sache mit Messi durch sein. Andererseits: Was wusste denn der Starcoach, ob Messi tatsächlich zu haben sei?

Denn die Lage war am Dienstag ja noch so gewesen: Joan Laporta, der Präsident des FC Barcelona, hatte in einem kurzen Briefing versichert, dass mit dem Superstar zwar noch nicht alles unter "Dach und Fach" sei, dass man aber große Fortschritte in Sachen weitere Zusammenarbeit mache. Und wenn man mal ehrlich ist, so richtig vorstellen konnte man sich nicht, dass der zaubernde Dribbler einmal das Trikot eines anderen internationalen Topklubs tragen würde. Nun wird es aber halt so kommen. Blau-karmin ist Geschichte und für ein Austrudeln der großartigen Laufbahn in den USA oder Katar ist es noch zu früh. Messi spürt offenbar noch etwas in sich. Und ein bisschen was hätte der Mann auch noch gut zu machen (wenn man das bei so einer Karriere sagen darf).

In der Champions League lasten zwei schwere Demütigungen auf seinem schmächtigen Kreuz. In der vergangenen Saison wurde der FC Barcelona von Paris St. Germain im Achtelfinale vermöbelt (1:4 und 1:1), noch schlimmer war es im Jahr zuvor gewesen. Beim Corona-Finalturnier war der FC Bayern mit 8:2 über die Blaugrana hinweggeprügelt. Barça wurde historisch vorgeführt. Bloßgestellt. Und diese Demontage endete dann auch noch mit einer harten Frage, die sich eigentlich verbietet. So sollte der Münchner Joshua Kimmich beantworten, ob ihm Messi nach dem Spiel leid getan habe. Er sagte nur ein Wort, ein Wort, das die ganze Brutalität des Abends zusammenfasste. Kimmich sagte: "Nein".

Messis Bombe im vergangenen Spätsommer

Es war ein Abend in Porto der Erkenntnisse lieferte, die man so nie und nicht erwartet hatte: Der FC Barcelona war in eine immer fatalere Abhängigkeit von Messi gedriftet. War der Argentinier gut, war die Mannschaft gut. War er nicht gut, war's Barça auch nicht (mehr). Dieser Abend in Porto lieferte auch Bilder, die man so noch nie gesehen hatte. Mit jedem (Tor)-Stich der Münchner sank sein Blick. Nach dem sechsten Gegentreffer resignierte er völlig, blickte eine kleine Ewigkeit mit starrem Blick auf den Boden. Und in dieser 83. Minute des 14. August 2020 wurde der Welt klar: Das ist der frustrierteste Messi, den es je gab. Es war ein Abend, der viel veränderte in dieser Liebe. Keine zwei Wochen später schlug die nächste Bombe auf das zertrümmerte Barça auf. Per Bürofax (eine Art Einschreiben) ließ der Argentinier dem Klub mitteilen, dass er eine Klausel zum ablösefreien Wechsel ziehen möchte. Das Problem: Die Frist zur Aktivierung der Klausel war bereits im Juni abgelaufen. Der Klub blieb hart, Messi vor Ort. Auch weil sich niemand fand, der für ihn die wahnsinnige Summe von 700 Millionen Euro aus dem Vertrag herausgekauft hätte.

Der Fußballer fügte sich schließlich, zufriedener wurde er aber nicht. Das Gegenteil war der Fall. Als sein Kumpel Luis Suarez verkauft wurde, war er stinksauer. Suarez wollte nicht weg, fand sein Glück aber bei Atletico Madrid. Dort wurde er in der gerade abgelaufenen Saison Meister. Barcelona kam auf Rang drei ins Ziel. Das Leiden des Superstars fand aber nicht nur auf dem Platz statt. Er fremdelte immer mehr mit seiner großen Liebe. Bereits in der Saison hatte er massive Indiskretionen beklagt und sich vor allem mit dem damaligen Präsidenten Josep Bartomeu gestritten. Das Vertrauen in seinen Klub war zutiefst erschüttert. Zum großen Skandal kam es dann Ende Januar dieses Jahres. Die Zeitung "El Mundo" hatte Details aus dem Vertrag des 34-Jährigen bei den Katalanen veröffentlicht. Dort waren dann plötzlich Zahlen zu lesen, die jedem Menschen den Verstand rauben.

"Eine der schönsten Geschichten geht zu Ende"

Es waren aber nicht nur die Zahlen, die die Welt um den FC Barcelona aufschreckten. Es stellte sich die Frage: Wer will Messi nur bloßstellen? Denn die veröffentlichten Summen aus dem Vertrag standen in einem krassen Gegensatz zu den finanziellen (Un)Möglichkeiten des Klubs. Barcelona hat kurz zuvor Gesamtschulden in Höhe von 1,17 Milliarden Euro veröffentlicht. Grund für das schmerzhafte, aber irgendwie auch seltsame Ende einer Liebe ist tatsächlich die Schuldenkrise des Vereins, die durch die Pandemie und Misswirtschaft unter Bartomeu dramatische Züge annahm. Die Liga schrieb eine Gehaltsobergrenze vor. Ein neuer lukrativer Vertrag für Messi hätte das Financial-Fair-Play verletzt.

"Auch wenn der FC Barcelona und Lionel Messi eine Einigung erzielt haben und die klare Absicht vorlag, einen neuen Vertrag heute zu unterzeichnen, kann das wegen finanzieller und struktureller Hindernisse (Regelwerk Spanische Liga) nicht geschehen", hieß es in der Erklärung zur Trennung. "Beide Seiten bedauern zutiefst, dass die Wünsche des Spielers und des Vereins letztlich nicht erfüllt werden." Details, warum es nicht möglich war, die Zusammenarbeit fortzusetzen, nannte der Verein zunächst noch nicht. Dabei wäre er sogar bereit gewesen, auf 50 Prozent seines alten Salärs zu verzichten, um dem Verein zu "helfen". Aber was heißt das schon? Das wäre vermutlich immer noch ein Jahressalär über 50 Millionen Euro gewesen. Ist das wirklich eine ernsthafte Hilfe?

"Eine der schönsten Geschichten im Weltfußball geht zu Ende. Der Tag, den wir uns nie vorgestellt haben, ist da", schrieb die argentinische Sportzeitung "Olé". 778 Mal hat Messi, der sich jüngst mit dem Gewinn der Copa América endlich auch den Traum vom großen Titel im Nationaldress erfüllte, das Trikot des FC Barcelona in Pflichtspielen getragen. Ein weiteres Mal wird er es nicht überstreifen. Und so ist seine Ära eigentlich bereits am 16. Mai zu Ende gegangen. Mit einer 1:2-Niederlage daheim gegen Celta Vigo. Messi hatte immerhin ein Tor geschossen. Eines, das völlig untypisch für ihn war. Nicht aus dem Dribbling, sondern mit dem Kopf. Ein komisches Ende.