Kanzlerin Merkel und die F-Frage: Warum fällt es Frauen schwer, sich als Feministin zu sehen?

Und sie ist es doch: Am Ende einer Diskussion bei der W20-Frauenkonferenz in Berlin bezeichnete sich Angela Merkel als Feministin - in dem Sinne, dass ihr gleiche Rechte und Selbstbestimmung wichtig sind. Zuvor hatte die Kanzlerin lange um eine Antwort gerungen. Und wir fragen uns: Warum fällt es vielen Frauen schwer, sich als Feministin zu sehen? Selbst wenn sie im Grunde genau das tun, wofür Feministinnen sich einsetzen?
Gemeinsamkeit?
20 Sekunden bis zur Antwort
"Bezeichnen Sie sich selbst als Feministin?", fragte die Moderatorin. Und brachte damit Merkel ins Grübeln. Fast meint man, ein leichtes Augenrollen als erste Reaktion wahrnehmen zu können, auf jeden Fall aber nimmt man das Schweigen der Kanzlerin wahr. Nach vier Schrecksekunden lächelt sie. Nach zehn Sekunden – und die sind lange, wenn man auf einem Podium sitzt und alle Welt gespannt auf eine Antwort wartet – ergreift sie das Wort: "Ehrlich gesagt möchte ich..." Dann bricht sie wieder ab.
Erst 20 Sekunden nach der Frage kommt die Antwort: "Also, die Geschichte des Feminismus ist eine, bei der gibt es Gemeinsamkeit mit mir und es gibt auch solche, wo ich sagen würde: Da gibt es Unterschiede." Außerdem wolle sie sich "nicht mit einem Titel schmücken, den ich gar nicht habe". Alice Schwarzer habe mit anderen ganz schwere Kämpfe gekämpft – "und jetzt komme ich und setzte mich auf die Erfolge und sage: Hach! Ich bin jetzt eine Feministin. Das ist aber toll!" Lachend wendet sie sich an die Frauen im Saal: "Ich habe keine Angst: Wenn Sie finden, dass ich eine bin – stimmen Sie ab – okay! Aber ich möchte mich nicht mit der Feder schmücken."
Was lernen wir daraus? Erstens: Merkel sieht die Bezeichnung "Feministin" offenbar als Titel. Schon mal nicht schlecht, sondern ganz im Gegenteil: Da schwingt Anerkennung mit – etwas, was Feministinnen derzeit nicht unbedingt überall zu spüren bekommen. Zweitens erfahren wir durch den Aufruf zur Abstimmung, dass Präsidenten-Beraterin Ivanka Trump, IWF-Chefin Christine Lagarde und Königin Maxima sich ebenfalls als Feministinnen bezeichnen.
Wir hätten all die Frauen, die auf dem Podium der internationalen W20-Frauenkonferenz sitzen, nicht auf Anhieb unter dieselbe pinke Mütze gepackt. Die sollen alle Feministinnen sein? Die Königin genauso wie die schwäbische Unternehmerin? Die Trump-Tochter genauso wie die kenianische Unternehmerin? Wo bitte schön ist da die
"Na, dann bin ich auch eine…"
Diese Runde aus erfolgreichen und attraktiven Frauen will einer Gattung angehören, die derzeit nicht unbedingt bei allen hochangesehen ist? Um es mit den Worten von Carolin Kebekus – selbst eine Ikone des Feminismus - zu sagen: "Feminismus? Das klingt so unrasiert und *biep*!"
Der Feminismus scheint ein handfestes Imageproblem zu haben. Seine Anhängerinnen gelten manchen als spaßfeindliche Kampf-Suffragetten, die mit Hashtags und absurden Klagen dafür sorgen, dass Männer keine echten Männer mehr sein dürfen. Feminismus – das mieft vielen nach selbstgebatikten lila Latzhosen und ungewaschenen Haaren. Und wenn sich so gar kein Argument gegen eine politische Forderung finden lässt, ist das Wort "Feminismus" ein prima Schubladen-Öffner, um unliebsame Diskussionen wegzupacken: "Boah. Hör mir auf mit diesem Gefasel von Diskriminierung!" Und ab in die Schublade.
Dabei ist die Welt des Feminismus durchaus bunt, wenn auch oft aufgedröselt in viele kleine Unterwelten, die sich engagieren. Es gibt etliche Felder, die es zu beackern gibt, auch wenn zumindest hierzulande die großen einigenden Themen wie Frauenwahlrecht oder die Erkenntnis, dass eine Vergewaltigung immer eine Vergewaltigung ist, im Erledigt!-Körbchen liegen. Beispiele: Schönheitswahn. Sexualisierte Gewalt. Gläserne Decken auf dem Weg nach oben. Unterschiedliche Gehälter für unterschiedliche Geschlechter. Übergriffiges Verhalten oder die globale Lebenssituation von Frauen. Da ist wenig Platz für Mief – sondern für Engagement, das sich nicht unbedingt „feministisch“ nennt, es aber dennoch ist.
Auch die Diskussion in Berlin hatte feministische Themen. Gesprochen wurde über die Rolle der Frauen in der Technologie-Entwicklung, über Mikrokredite, die Frauen in Afrika stärken sollen, bis hin zu einer Initiative zur Förderungen von Unternehmerinnen. Auch die deutsche Frauenquote war Thema. Merkel lobte Quote und Vätermonate: „Wir haben Unternehmen jahrelang gebettelt und gebeten. Das Gesetz haben die sich selbst erarbeitet, durch Nichtstun!“ Wer so etwas sagt, darf sich nicht wundern, wenn sie gefragt wird, ob sie Feministin ist.
Vor allem, wenn sie in einer der denkbar führendsten Führungspositionen des Landes arbeitet (Achtung! Rollen-Vorbild!). So gesehen ist Merkel – ähnlich wie alle Frauen, die mit ihr auf dem Podium saßen – Feministin und Feminismus-Profiteurin in einem.
Bleibt die Frage, warum sich viele Frauen so schwer damit tun, sich selbst als Feministin zu bezeichnen? Schreckt sie das Kämpferische? Lassen sie sich von einigen extremen Positionen den Blick verstellen auf das, was Feminismus im Grunde will, nämlich "gleiche Rechte für Frauen und Selbstbestimmung", wie es die niederländische Königin formulierte, die sich in diesem Sinne ebenfalls als "Feministin" sieht. Dieser kleine und dabei doch riesengroße gemeinsame Nenner überzeugte auch die Kanzlerin: "Na, dann bin ich auch eine." Vielleicht sind wir so gesehen fast alle welche…