Nationalspieler wuchs in einem Armutsviertel bei São Paulo auf

Brasilien-Star Antony spricht über seine schwere Kindheit: "Ich sprang über eine Leiche"

firo : 24.11.2022, Fußball, Fussball, FIFA WORLD CUP 2022 QATAR, Weltmeisterschaft 2022 Katar, WM 2022 Katar, Gruppenphase, Gruppe G, Spiel 16, BRA, Brasilien - Serbien 2:0 ANTONY, Brasilien, Einzelaktion
Antony kam für Brasilien im WM-Spiel gegen Serbien zum Einsatz.
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Brasilien-Star Antony kam im Spiel am Donnerstag gegen Serbien in der 79. Minute zu seinem ersten WM-Einsatz – und erfüllte sich damit einen Kindheitstraum. Doch der Weg dorthin war lang und vor allem voller Gewalt, Drogen und Tod, wie er in einem Interview mit „The Players' Tribune“ verriet.

Drogengeschäfte vor dem eigenen Fenster

„Ich wurde in der Hölle geboren“, sagt Antony, der bei Manchester United unter Vertrag steht. „Kleine Hölle“ – das ist der umgangssprachliche Name für die Favela, in der der heutige Fußball-Profi aufwuchs. Ein Armutsviertel am Rand der Großstadt São Paulo. Und dort hat Antony sehr viele traumatische Erinnerungen gesammelt. „Es ist ein berüchtigter Ort“, sagt er.

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Die Schilderungen sind wirklich krass: „Fünfzehn Schritte von unserer Haustür entfernt gab es immer Drogendealer, die ihre Geschäfte machten und Sachen von Hand zu Hand reichten. Der Geruch war ständig vor unserem Fenster.“ Neben den Drogen gehörten auch Gewalt und Waffen zum Alltag des jungen Brasilianers: „Wir waren so daran gewöhnt, Waffen zu sehen, dass es nicht einmal beängstigend war. Wir hatten mehr Angst davor, dass die Polizei unsere Tür einschlägt. Einmal drangen sie in unser Haus ein und suchten jemanden, und sie kamen schreiend hereingerannt. Sie fanden natürlich nichts. Aber wenn du so jung bist, prägen dich diese Momente.“

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In sehr jungen Jahren machte Antony auch Bekanntschaft mit dem Tod: „Als ich eines Morgens zur Schule ging, als ich vielleicht acht oder neun Jahre alt war, begegnete ich einem Mann, der in der Gasse lag. Er bewegte sich nicht. Als ich näher kam, wurde mir klar, dass er tot war. In der Favela wird man für diese Dinge irgendwie taub. Es gab keinen anderen Weg und ich musste zur Schule. Also schloss ich einfach meine Augen und sprang über die Leiche.“

Antony lernte Fußballspielen mit blutenden Füßen

Der Fußball war damals die Rettung des heute 22-Jährigen: „Meine Liebe von der Wiege. In der ‘Kleinen Hölle’ kümmern wir uns nicht um Spielzeug zu Weihnachten. Jeder Ball, der rollt, ist perfekt für uns.“ In der gesamten Siedlung – und somit auch für den heutigen Weltstar – hatte der Sport eine immens große Bedeutung. Antony: „In der Favela spielen alle. Kinder, alte Männer, Lehrer, Bauarbeiter, Busfahrer, Drogendealer, Gangster. Da sind alle gleich.“

Sein älterer Bruder habe ihn jeden Tag mit auf den Platz genommen, um Fußball zu spielen. Für Antony sind das die schönsten Erinnerungen. „Mit einem Ball zu meinen Füßen hatte ich keine Angst.“ Er spielte auf dem harten Asphalt jedoch barfuß, auf blutenden Füßen, weil sich die Familie keine richtigen Schuhe leisten konnte. Den jungen Brasilianer hinderte das aber nicht, an seiner Technik zu feilen. Heute sagt er: „Dribbeln war schon immer etwas in mir. Es war ein natürlicher Instinkt.“ (jlu)