Helfersyndrom: Die egoistische Form der Hilfe

Helfersyndrom: Frau sitzt depremiert im Freien
Helfersyndrom: Pathologische Helfer leiden oft an Depressionen
Melissa Varoy

Das Helfersyndrom: Eine ernstzunehmende Erkrankung!

Dankbarkeit ist wichtig im Leben. Sie erfreut uns und ermutigt, Gutes zu tun und anderen zu helfen. Man erfährt gerne Dank oder tut Dinge bedingungslos. Einfach mal so. Die Liebe zu eigenen Kindern ist wahrscheinlich das beste Beispiel für bedingungsloses Geben und Helfen. Doch es gibt auch extreme Formen von Helfen und der regelrechten Sucht nach Dankbarkeit. Eine dieser Formen ist das Helfersyndrom.

Was manchmal ganz salopp einem Familienmitglied oder Freund an den Kopf geworfen wird, kann eine ernste Erkrankung sein. Menschen mit Helfersyndrom ziehen ihr Selbstwertgefühl aus dem Dank anderer. Sie opfern sich auf, versuchen körperliche Grenzen zu überschreiten und helfen auch ungefragt. Diese Menschen denken, sie wüssten besser über die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen Bescheid als diese selbst.

Eine Freundschaft mit einem Menschen mit Helfersyndrom zu pflegen, kann sehr schwierig sein. Nicht selten kommt es vor, dass Freundschaften daran zerbrechen und die Helfenden vorwerfen, man sei egoistisch und undankbar. Das Helfersyndrom kann sich schnell zu einer ernsten Depression oder einem Burnout-Syndrom entwickeln. Da das Helfersyndrom bislang empirisch kaum erforscht ist, gibt es noch keine gezielten Therapien für Betroffene.

Zwei Formen der Hilfe

Man unterscheidet generell zwei Arten von Helfen: Solidarisches und pathologisches Helfen. Das solidarische Helfen zielt immer tatsächlich auf die Bedürfnisse des Gegenübers ab. Beim pathologischen Helfen stehen unbewusst die Bedürfnisse des Helfers im Vordergrund.

Man sieht also, dass ein Helfersyndrom eigentlich auf egoistisches Handeln zurückzuführen ist. So hart das auch klingen mag, aber seine Hilfe aufzuzwingen und sich für andere Menschen aufzuopfern, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ist Egoismus.

Pathologische Helfer brauchen Hilfe

Das Helfen bringt dem Helfer in mehreren Bereichen etwas: Er fühlt sich fähig (sonst würde er nicht helfen können), er fühlt sich gut (sonst würde er ja nicht helfen), er fühlt sich wertvoll (helfen ist edel) und er wird gebraucht (sonst müsste er ja nicht helfen). Diese Attribute erleichtern es ihm, eigene Lebensängste und Selbstzweifel zu unterdrücken. Wer als Helfer auftritt, rechnet immer mit Lob und Anerkennung. Er hat gelernt, dass sich die Personen, denen er geholfen hat, ihm stets zuwenden und Wertschätzung entgegen bringen. Der Hintergrund liegt hier ganz klar beim Bedürfnis nach Bestätigung des Eigenwertes. Das Motiv des Helfens ist dann egozentrisch.

Manchmal denkt man schnell daran, jemand könnte ein Helfersyndrom haben. Kennen Sie jemanden, der stets die Welt verbessern will, erst an andere und dann an sich denkt? Oder kennen Sie Eltern, die ihren Kindern alles ermöglichen und sich dafür aufopfern? Man muss ganz deutlich zwischen pathologischem und solidarischem Helfen unterscheiden. Wenn Sie zum Beispiel eine Freundin haben, die aktiv ehrenamtlich tätig ist, gerne Menschen beschenkt und glücklich macht, muss das noch lange nicht krankhaft sein. Vielmehr gibt es auch Menschen, die tatsächlich gerne selbstlos viel geben. Ein Indiz für ein vorliegendes Helfersyndrom wären jedoch depressive Züge, Stimmungsschwankungen und tiefe Enttäuschung, wenn sie eine andere Freund vor ihr um Hilfe gebeten haben.

Auch Mütter, die ihren alles ermöglichen, sind nichts ungewöhnliches. Die Natur hat das genau so arrangiert, damit die Menschheit überhaupt überleben kann. Denn was wäre eine Mutter, wenn ihr das wohl des eigenen Kindes egal wäre? Wenn sie ihrem Kind nicht hilft, laufen zu lernen oder zu essen? Allerdings verpassen Mütter oft den Moment loszulassen. Eine 20-jährige Tochter muss nicht mehr in allem unterstützt werden. Die Eltern müssen irgendwann wieder auf ihre eigenen Bedürfnisse achten.

Das Helfersyndrom schadet nicht nur dem Helfer, indem er sein eigenes Leben völlig aufgibt und sich verausgabt. Unangebrachte und aufgezwungene Hilfe kann auch dem Hilfsempfänger schaden. Empfangene Hilfe und die Erwartung des Helfers auf endlosen Dank, fördern beim Empfänger ein Schuldgefühl, unter dem er unter Umständen leidet.

Wie soll man mit einem pathologischen Helfer umgehen?

Wenn Sie den Verdacht haben, dass jemand unter einem Helfersyndrom leidet, dann ist Beobachten der erste Schritt. Erfahrungsgemäß bringt es nichts, wenn Sie den Betroffenen plump mit der Tatsache konfrontieren – er wird es abstreiten. Es ist wichtig, einzusehen, dass dieser Mensch psychisch leidet und ein sehr geringes bis gar kein Selbstwertgefühl besitzt - Feingefühl ist angebracht. Versuchen Sie, dem Menschen Komplimente zu machen, ihn zu loben für Leistungen oder optische Vorzüge. Versuchen Sie, die angebotene Hilfe sanft abzuweisen: Sagen Sie, dass man manche Dinge im Leben alleine durchstehen muss und Sie nicht hilfebedürftig sind.

Wenn gar nichts hilft, und einem die Freundschaft am Herzen liegt, muss man allerdings Nägel mit Köpfen machen. Eine Verhaltenstherapie zu empfehlen ist vielleicht nicht die beste Idee, aber das Problem direkt anzusprechen ist unumgänglich. Es kann sein, dass sich der Helfer von Ihnen abwendet, Sie als Egoist und undankbaren Menschen bezeichnet. Sie müssen entscheiden, ob Sie damit klar kommen möchten oder einen Schlussstrich ziehen. Denn wie bei vielen psychischen Krankheiten ist der erste Schritt in Richtung Genesung die Einsicht des Betroffenen, Hilfe zu benötigen.