Biologen erklären das Verhalten der Samtpfoten

Geheimes Doppelleben: Warum manche Katzen heimlich eine Zweitfamilie haben und Hunde nicht

Eine Hauskatze steht im Garten und blickt in Richtung Kamera.
Ertappt! Wer seine Katze beim Nachbarn erwischt, ist vermutlich erst einmal sauer. Doch aus Katzen-Perspektive kann das ganz normal sein.
ppl;ali;cse vco, dpa, Patrick Pleul

von Annette Berger

Katzen suchen sich auf ihren Streifzügen durch die Nachbarschaft gern mal eine weitere Futterstelle – oder ein neues Zuhause. Dem stern erklärten drei Biologen, warum Katzen das Wort "Beziehung" anders buchstabieren als Menschen.

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Wenn die Hauskatze ein Doppelleben führt: Oft merkt der Besitzer gar nichts

Katzen sind berühmt dafür, dass sie selbstständig umziehen, wenn ihnen etwas nicht passt. Oder sie führen ein Doppelleben bei den Nachbarn, was oftmals lange verborgen bleibt.

So wie im Falle eines Katers am Stadtrand von Wien, der mir erzählt wurde: Als er die Diagnose Diabetes bekam, band ihm seine Besitzerin ein Halsband um mit ihrer Handynummer und der Bitte, das Tier nicht zu füttern. Es brauchte ja Spezialfutter.

Wiener Kater hatte mehrere Sachen gleichzeitig laufen

Prompt riefen bei der Besitzerin "vier ältere Damen an". Bei allen ging der Kater schon seit langem ein und aus. Er war bis dato der einzige, der in dem Beziehungsgeflecht durchblickte.

Es kursieren unzählige Geschichten darüber, wie das Doppelleben von Katzen aufflog. Als Faustregel gilt: Kommen sie seltener nach Hause und wirken sie gut gefüttert, könnte eine Zweitfamilie im Spiel sein. Manche Menschen akzeptieren das und sprechen sich sogar mit den Nachbarn ab – zum Beispiel wer wann im Urlaub ist.

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In anderen Fällen eskaliert der Streit, es werden Anwälte beauftragt, die dann Aufforderungen zur Unterlassung verschicken, damit die Katze nicht mehr fremd gefüttert oder ins Haus der Nachbarn gelassen wird.

Katzen interessieren sich aus vielen Gründen für ein potenzielles neues Zuhause. Die reichen von Veränderungen zu Hause, die das Tier als stressig empfinden – ein neuer Partner, die Geburt eines Kindes – bis hin zu leckerem Futter.

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Doppelleben, Zweitwohnsitz.. warum tun Katzen sowas und Hunde nicht?

"Man sollte nie fremde Katzen füttern", sagt der Biologe Dennis C. Turner, der unter anderem die Beziehung von Menschen zu Hauskatzen erforscht hat. Die – meist ja gut gemeinte – Geste berge die Gefahr, dass man eine Beziehung zerstöre: die zwischen der Katze und ihren ursprünglichen Besitzern. Zudem könne das Füttern schlecht für die Gesundheit des Tiers sein, sagt der Schweiz-Amerikaner.

"Wenn die Katze zum Nachbarn geht, dann sollte man nett mit den Nachbarn reden", rät Turner. Dass die selbstständigen Tiere gern Besuche in mehreren Haushalten machen, sei gut bekannt. "Katzen sind im Grunde Opportunisten, auch bei ihren Kontakten", konstatiert der Wissenschaftler.

Katzen reagierten zwar empfindlich auf Veränderungen im Haushalt und bleiben dann oftmals zunächst länger draußen, hat Turner festgestellt. "Später werden sie dann aber zurückkommen." Das gelte zumindest für gut sozialisierte Tiere, also solche, die von klein auf gern mit Menschen interagieren.

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Dass Katzen überhaupt in der Lage sind, sich eigenständig ein neues Zuhause zu organisieren, liegt an ihrer Persönlichkeit, die aus wissenschaftlicher Perspektive das Ergebnis aus Evolution und Domestizierung ist. "Katzen sind sehr individuell und binden sich nicht sehr fest an ihre Menschen", sagt der österreichische Biologe und Verhaltensforscher Kurt Kotrschal, der unter anderem zu Mensch-Tier-Beziehungen geforscht hat. Dagegen seien Hunde als Wolfs-Abkömmlinge Kooperations- und Bindungstiere. Die Vorfahren lebten in Rudeln.

Genau diese Eigenständigkeit von Katzen fasziniert weithin – und sie ist nach Ansicht von Kotrschal auch ein Grund dafür, warum viele Menschen lieber Katzen mögen als Hunde. Die Tiere seien auch gern mal für sich und entscheiden selbst, wann sie Kontakt haben wollen, sagt der Wissenschaftler. "Es ist eine Sozialbeziehung mit eingebauter Distanz."

Die Hirnstruktur von Katzen funktioniert anders: "Wenn sie Menschen gut findet, findet sie Menschen generell gut"

"Die Bindung funktioniert bei Katzen zwischen Müttern und Nachkommen, aber nicht untereinander", sagt der Forscher. "Und sie ist im Gegensatz zu Hunden nicht ausgeprägt zwischen Menschen und Katzen."

Neuere Forschungen deuteten darauf hin, dass die Hirnstruktur bei Katzen ein Grund dafür ist, warum die Tiere keine komplexen Sozialbeziehungen eingehen. "Die Katze kann nicht anders", konstatiert der Wissenschaftler. "Wenn sie Menschen gut findet, findet sie Menschen generell gut."

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Das einfachste Mittel, Katzen am Umzug zu einer anderen Familie zu hindern sei, sie im Haus zu halten. Dies sei auch aus Sicherheitsgründen das Richtige, da viele Katzen auf den Straßen ums Leben kommen. Und wegen des Artenschutzes, da freilaufende Katzen sehr viele Singvögel töten.

Um das Einsperren von Katzen, beispielsweise während der Brutzeit von Vögeln, gibt es seit Jahren erbitterte Diskussionen und für viele Menschen ist der Stubenarrest ihres Haustiers wohl keine Option. Manchmal ist das Ergebnis der Besuche in der Nachbarschaft dann eben doch ein Umzug.

Ihre Katze zieht aus - hilft ein Anwalt?

In solchen Fällen plädiert der Freiburger Verhaltensbiologe Immanuel Birmelin dafür, den Wunsch der Katze zu respektieren. Der Wissenschaftler, der sich generell dafür einsetzt, Haustiere besser zu behandeln, hat viel darüber geforscht, wie Tiere denken.

Es gebe durchaus Parallelen zu Denkprozessen beim Menschen, sagt Birmelin. Die Tiere träfen ihre Entscheidungen und hätten rationelle Gründe dafür. Sich juristischen Beistand bei einem Katzen-Auszug zu suchen, sei keine gute Idee. Besser sei zu überlegen, warum die Katze ausgezogen sei und sich Gedanken darüber zu machen, wie das Tier wieder freiwillig nach Hause zurück kommt.

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei stern.de.