Konferenz in Lindau
Gesundheitsminister ringen um Corona-Kurs für den Winter

Die Infektionszahlen steigen auf ein Allzeithoch, die Zahl freier Intensivbetten sinkt: Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern ringen in Lindau um einen gemeinsamen Corona-Kurs. Wie könnte der aussehen?
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Corona-Zahlen auf Rekordwert - so hoch war die Zahl nicht mal Weihnachten 2020
33.949 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages – das sind so viele wie noch nie. Damit sind wir bei einem 7-Tage-Inzidenzwert von 154,5. Das geht aus Zahlen des RKI von Donnerstagmorgen hervor. Vor einer Woche hatte der Wert bei 28.037 Ansteckungen gelegen. Der bisherige Rekord lag bei 33.777 Fällen am 18. Dezember 2020.
Die Gesundheitsminister wollen in Lindau den Corona-Kurs für den Winter abstecken. Diskutiert werden soll bis Freitag unter anderem, wie mehr Menschen zu Auffrischungsimpfungen bewegt werden können. Auch eine Testpflicht in Pflegeheimen ist Thema.
Habeck plädiert für kostenlose Tests
Die aktuelle Corona-Lage hält der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck für bedrückend und gefährlich, aber nicht wirklich überraschend. „Die Impfquote liegt unter 70 Prozent, die Delta-Variante ist ansteckender als die Varianten davor – und der Rest ist Mathematik“, so der Grünen-Chef im RTL/ntv-Frühstart. „Vor allem sollten wir kostenlose Tests anbieten. Es war damals schon ein Fehler, sie auszusetzen, es war eine Maßnahme, um die Nicht-Geimpften negativ zu motivieren.“ Impfen sei der beste Schutz, das Risiko, krank zu werden, einen schweren Verlauf zu nehmen, sei enorm hoch.
Habeck sieht es ähnlich wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Bundesvorstand der CDU davon sprach, dass Ungeimpften künftig starke Einschränkungen drohten. Von der Einberufung einer weiteren Ministerpräsidentenkonferenz hält Habeck wenig. „Die Ministerpräsidentenkonferenz ist ein Koordinierungsgremium, kein Entscheidungsgremium, und das hat in der Vergangenheit nicht wirklich gut geklappt.“
Klaus Holetschek: "Wir sind noch mitten in der Pandemie"
Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte am Mittwoch seinen Appell zu mehr Auffrischungsimpfungen bekräftigt, um schon länger zurückliegende Impfungen zu verstärken. Aus seiner Sicht reicht das Tempo beim „Boostern“ nicht. Daher sollten die Länder alle Menschen über 60 Jahren anschreiben und darauf hinweisen. Aus den Ländern kam der Vorschlag, alle Über-70-Jährigen anzuschreiben, wie aus einem Beschlussentwurf hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Bayern, das derzeit den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz hat, will zudem einen neuen Vorstoß machen, um Drittimpfungen für alle zu ermöglichen. Es müsse gelingen „vor die Lage“ zu kommen, sagte Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU). Die Drittimpfungen seien zugelassen. „Wir werden sehr, sehr deutlich diskutieren müssen, wie der Weg jetzt geht.“
Kritisch sieht er, dass falsche Hoffnungssignale gesetzt wurden. „Aber es ist schon richtig: Das Signal, dass alles wieder gut ist, wurde teilweise verkehrt gesendet. Und wir müssen schon sagen, wir sind noch mitten in der Pandemie und müssen weiter vorsichtig bleiben.“, sagt er im RTL-Interview. Das ganze Interview im Video.
Niedersachsens Ressortchefin Daniela Behrens (SPD) kritisierte den bislang nötigen Vorlauf von 14 Tagen bei der Bestellung von Impfstoffen. „Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister muss hier dringend neue und pragmatischere Vereinbarungen mit dem Arzneimittelgroßhandel treffen, die eine flexiblere Planung der Impfungen vor Ort ermöglichen.“, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“
Strittig war zuletzt, ob die Länder für Booster-Impfungen auch die regionalen Impfzentren wieder aktivieren sollen. Auf einen entsprechenden Vorschlag Spahns hatten mehrere Bundesländer, der Deutsche Städtetag und Ärzte-Vertreter mit Kritik reagiert. Spahn sagte daraufhin, die öffentlichen Angebote für Auffrischungsimpfungen müssten nicht unbedingt in großen Impfzentren erfolgen. Angebote außerhalb von Arztpraxen seien aber wichtig: Zu viele Impfwillige fänden „aktuell keinen Arzt, der sie impft“.
Das Bundesministerium hat auch eine umfassende Testpflicht in Pflegeheimen gefordert. Der Beschlussentwurf aus Länderkreisen sieht aber nur vor, dass Bund und Länder „darauf hinwirken, dass ein ausreichendes Testangebot in den Einrichtungen vorgehalten wird“. Eine 2G-Option (also Genesene und Geimpfte), wie vom Bund vorgeschlagen, findet sich in dem Papier für Pflegeheime nicht.
Auch Nordrhein-Westfalens neuer Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hält eine Testpflicht in Heimen „absolut richtig“. Man dürfe nicht „wieder die Fehler machen vom Anfang der Pandemie, wo Menschen einsam gestorben sind“. Der Deutsche Pflegerat meinte: „Verpflichtende Tests finden wir absolut richtig, weil wir natürlich einen Schutz für die Bewohnerinnen und Bewohner aufbauen müssen.“
Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sagte der „Bild“: „Kein Ungeimpfter darf Kontakt zu einer derart vulnerablen Gruppe haben, weder beruflich noch als Besucher. Das gilt für Senioren- und Pflegeheime wie für Intensivstationen.“
Pflege am Limit - „Das darf uns nicht kaltlassen.“
Auch in der Frage, ob die Corona-Pandemie nach dem 25. November noch als epidemische Notlage von nationaler Tragweite eingestuft werden sollte, ist bisher kein gemeinsamer Kurs von Bund und Ländern erkennbar. Spahn sprach sich jüngst wie die möglichen künftigen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP dafür aus, die Einstufung als Rechtsgrundlage für weitgehende Corona-Einschränkungen nicht mehr zu verlängern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte die vom Bund vorgeschlagene Ersatzlösung dagegen „eher eine Hilfskrücke“.
Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Holetschek, kündigte an, in Lindau die Situation der Pflege in den Mittelpunkt zu stellen. „Wir merken jetzt, dass die Pflege am Limit ist“, sagte er. Pflegekräfte verabschiedeten sich aus den Krankenhäusern, verkürzten ihre Arbeitszeiten, wanderten teilweise sogar zu Leiharbeitsfirmen ab. „Das darf uns nicht kaltlassen.“