Politik ist auf der Suche nach langfristigen Lösungen
Gelockerte Import-Regeln gegen den Medikamentenmangel - ist das nicht riskant? Arzt ordnet ein

Antibiotika für Kinder sind knapp. Was tun? Langfristig soll das Engpass-Problem gelöst werden, so der Wunsch der Verantwortlichen. Vorübergehend sollen jetzt aber auch laxere Import-Regeln den Nachschub sichern. Doch ist es auch sicher, nicht zugelassene Medikamente ins Land zu lassen? Arzt und Medizin-Experte Dr. Christoph Specht ordnet bei RTL ein, was von der neuen Regelung zu halten ist.
Brandbrief an die europäischen Gesundheitsminister
Der Medikamentenmangel ist dramatisch. Besonders bei Arzneimitteln für Kinder ist die Situation besorgniserregend. So appellierten erst vor wenigen Tagen Mediziner aus mehreren europäischen Ländern in einem Brief an ihre Gesundheitsminister, gegen die Knappheit vorzugehen. "Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!", heißt es in dem Schreiben. Noch vor wenigen Jahren wäre dieses Szenario unvorstellbar gewesen.
Zu den Mitzeichnern gehörte auch der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform. Auch das Antibiotikum Penizillin gebe es derzeit nicht, sagte er deutschen Medien.
IM VIDEO: Diese Medikamente sind Mangelware in Apotheken
Bayern erlaubt Einfuhr von nicht zugelassenen Kinder-Antibiotika - NRW will bald folgen
Bayern erlaubt jetzt die Einfuhr von nicht zugelassenen Kinder-Antibiotika. Auch NRW hat alles Notwendige dafür in die Wege geleitet. Möglich macht dieses Vorgehen eine Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums im Bundesanzeiger, wonach jetzt offiziell ein Versorgungsmangel bei diesen Arzneimitteln besteht. Für einen bestimmten Zeitraum können Apotheken und Großhändler also von Regelungen des Arzneimittelgesetzes abweichen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach begrüßt die Entscheidungen der Länder bei Twitter: „Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotika-Lieferengpässe haben wir die Voraussetzungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden.“
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Medizinexperte: „Medikamente im Hinblick auf den Wirkstoff genau die gleichen“

Nicht zugelassene Medikamente für Kinder: Das klingt unbürokratisch – aber auch riskant. „Es klingt so dramatisch, weil es ‚nicht zugelassen‘ heißt“, sagt dazu Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht bei RTL. „Aber diese Medikamente sind im Hinblick auf den Wirkstoff genau die gleichen.“ Jede einzelne Packung, jede Zubereitungsform, jede Dosierung, wie viele Tabletten in einer Packung – in Deutschland sei alles geregelt: „Das muss alles registriert sein beziehungsweise eine Zulassung haben“, erklärt der Arzt weiter.
„Nun gibt es aber Medikamentenhersteller, die vielleicht in Deutschland für genau diese Packung nicht die Zulassung haben, weil sie sie beispielsweise nicht beantragt haben.“ Vielleicht sei die Zusammensetzung ein wenig anders, aber das spiele natürlich überhaupt keine Rolle. „Man darf sich nicht vorstellen, dass das jetzt ein großes Experiment wäre“, so der Experte.
Preise wurden zu stark gedrückt
Eine Entwarnung dafür, dass dieses Vorgehen nicht riskant ist. Aber die Engpass-Situation besteht nun schon seit Jahren, früher waren es mal 50 oder 60 Medikamente. „Das ist aber immer weiter angestiegen“, so der Arzt gegenüber RTL. „Wir sind jetzt bei über 500 Medikamenten und das ist schon dramatisch.“ Dramatisch, weil es eben gerade nicht irgendwelche speziellen Medikamente seien: „Nein, das sind die Brot-und-Butter-Medikamente, Kindermedizin, gerade Penizillin ist bei Scharlach-Erkrankungen wirklich wichtig.“
Aber wie kommt diese Mangellage zustande? „Es gibt diese scharfen Rabattverträge. Die Beiträge müssen niedrig bleiben. Also haben die Kassen verhandelt, mit den verschiedenen Herstellern und die Preise gedrückt und gedrückt. Ich glaube, dass das im Prinzip schon richtig so ist – aber sie haben das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Man hätte nicht so stark die Preise drücken dürfen.“
Gesetzesvorhaben soll das Problem langfristig lösen
Tatsächlich verwies der Gesundheitsminister am Samstag (29.4.) ebenfalls auf Twitter auf ein Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht habe. Vom Bundestag beschlossen ist es aber noch nicht. Inhalt des Gesetzesvorhabens: Es soll Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, sodass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen. Bei wichtigen Medikamenten ist auch eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Und bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen. (dpa/ija)