Für immer auf dem Thron„Fußball-König“ Pelé ist tot - ein Nachruf auf einen der Größten

von Emmanuel Schneider

Er ist einer der größten Fußballer der Geschichte, für viele sogar der größte. Wohl kaum jemand hat den Fußball geliebt wie Edson Arantes do Nascimento, besser bekannt unter seinem Spitznamen Pelé. Jetzt ist die Fußball-Ikone im Alter von 82 Jahren in ihrer Heimat an Organversagen in Folge seiner Krebserkrankung gestorben. Das bestätigte Pelés Familie.
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Ein König ward' geboren

Wenn es ein Tor gibt, das den Mythos Pelé ansatzweise verdeutlicht, dann ist es wohl dieses. Am 29. Juni 1958 überlupft der 17-jährige Pelé nach galanter Brustannahme seinen schwedischen Gegenspieler, knallt mit unnachahmlicher Wucht und doch so lässig volley ins Tor. 3:1 für Brasilien. Am Ende gewinnt die Selecao das Endspiel beim WM-Gastgeber Schweden mit 5:2. Gefeierter Held ist Teenie-Star Pelé. Die Welt staunt,

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Brasilien feiert den ersten WM-Triumph und trägt den neuen Sporthelden auf Schultern. Er betritt die Weltbühne mit dem größtmöglichen Knall. Der Aufstieg der Nummer 10 in der Fußball-Welt hat begonnen. In Brasilien heißt Pelé seitdem einfach „O Rei“ – der König.

Das Tor ist zum einen unglaublich wichtig, wer kann schon von sich sagen, mit 17 (!) in einem WM-Endspiel (!!) zu treffen (!!!). Zum anderen steckt darin die einzigartige Ballfreude, die Liebe und das Talent des Jahrhundert-Spielers. Pelé war ein Ballkünstler. Und - man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen - der legendäre Schweden-Treffer ist nur eines von mehr als 1.000 Toren. Doch dazu gleich noch mehr.

Aus Witz wird Weltmarke

Pelés Weg aus der Provinz in den Fußball-Olymp ist nicht vorgezeichnet. Der kleine Edson wird zwischen den Metropolen Rio de Janeiro und Sao Paulo im Örtchen Três Corações geboren, wächst später in Bauru im Bundesstaat Sao Paulo in Armut auf. Als Nachwuchsspieler muss Pelé improvisieren. Festes Schuhwerk und Bälle sind Mangelware. So geht es oft barfuß und mit ausgestopften Socken als Spielgerät raus zum Kicken. Geschadet hat es Pelé offenbar nicht. In jener Zeit erlangt der Hochbegabte auch seinen Spitznamen. Er selbst erzählt einmal, dass er den Namen des brasilianischen Torwarts Bilé falsch aussprach, damit ziehen ihn dann die Klassenkameraden auf. Was damals keiner ahnt: Aus dem Witz wird später eine Weltmarke.

Pelés Vater Dondinho, dem eine Verletzung die Profifußballkarriere zunichte macht, arbeitet hart für die Familie. Geld ist trotzdem knapp. So putzt Pelé als Knirps in Bauru Schuhe, um der Familie zu helfen. In jeder freien Minute aber kickt er mit Freunden, erst auf der Straße, dann organisiert im Jugendteam seine Vaters BAC (Bauru Atlético Clube).

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„Michelangelo hat gemalt, Beethoven Klavier gespielt – und ich Fußball“

Mit gerade einmal 15 Jahren wird der FC Santos auf Pelé aufmerksam und stattet ihn zunächst mit einem Amateurvertrag aus. Santos und Pelé: Es sollte eine Liebe werden, die fast zwei Jahrzehnte hält. Schon in seiner ersten vollen Saison schießt er sich zur Torjägerkrone und holt ein Jahr später den ersten Meistertitel in die Hafenstadt bei Sao Paulo.

Ende der 50er und in den 60ern ist die Formel Santos plus Pelé ein einziger Erfolg. Der Stürmer macht Santos zum Spitzenclub, das Team wird zu „Super Santos,“ holt mehrere nationale und internationale Titel wie die Copa Libertadores sowie zwei Mal den Weltpokal (1962, 1963). Pelé und Santos zeigen Benfica und dem AC Milan, dass südamerikanische Teams mit Europas Besten mithalten können – auch wenn Pelé nie selbst in Europa spielt.

Dabei sind es nicht nur die Titel, die Pelé definieren. Es gibt im Prinzip nichts, was der Brasilianer nicht kann – genau das macht die Nummer 10 aus. Er ist schnell, flink auf den Beinen, aber auch im Kopf, beidfüßig und ein wahrer Dribbelkünstler. Und trotz seiner 1,73 Meter ein gefährlicher Kopfball-Akrobat. Pelé ist sowas von polyvalent, weit bevor dieses Wort als Fußball-Adjektiv erfunden wurde. Oder einfacher gesagt: ein wahrer Alleskönner. Er beschreibt es so: „Michelangelo hat gemalt, Beethoven Klavier gespielt – und ich Fußball.“

König meets Kaiser: Comeback an Beckenbauers Seite

Einen großen Teil der Bewunderung macht auch seine Nationalmannschaftskarriere aus. Der Stürmer ist nicht nur der jüngste Torschütze und Rekordtorschütze der Selecao, er gewinnt als einziger Spieler überhaupt drei WM-Titel. 1958 (siehe oben) ballert sich Pelé mit sechs Toren auf die Weltbühne, 1962 wirkt er wegen einer Verletzung nur in zwei Spielen mit, ist aber Teil der Siegermannschaft. Bei der Weltmeisterschaft vier Jahre später in England ist Pelé das Ziel vieler harter Zweikämpfe und Grätschen. Humpelnd verlässt er das Turnier und verkündet angesäuert seinen Rücktritt von WM-Turnieren. Nur um vier weitere Jahre später mit einem umjubelten Comeback zum dritten Mal den Goldpokal emporzuheben. Franz Beckenbauer bezeichnet das brasilianische Team von 1970 später als beste Selecao-Auswahl, die er je gesehen habe. Anschließend ist dann wirklich Schluss – zumindest im Nationalmannschaftstrikot.

Bis 1974 kickt Pelé weiter für seinen Club, den FC Santos. Dem hält er die ganzen Erfolgsjahre die Treue, auch wenn es aus der ganzen Welt Angebote gibt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die brasilianische Regierung interveniert und einen Abgang untersagt. Gut möglich, dass Pelé ohne diesen Eingriff in Europa aufgelaufen wäre. 2021 griff eine Netflix-Doku seine Nähe zur brasilianischen Militärdiktatur auf, die per Putsch an die Macht kam.

Finanzielle Engpässe zwingen den Profi aus der Rente zum Comeback. Windige Berater haben seine Ersparnisse verzockt, Pelé ist pleite. Also die ganz große Nummer. Pelé goes USA. In der amerikanischen Liga geht er unter anderem mit „Kaiser“ Beckenbauer bei New York Cosmos auf Torejagd, wird im dritten Frühling nochmal Botschafter für seinen Sport, und holt nebenbei den Meistertitel – wieder mal.

Gesundheitlich ging es zuletzt fast nur noch bergab

Pelés Tochter postete dieses Bild von seinem Sterbebett nach der Bekanntgabe seines Todes.
Pelés Tochter postete dieses Bild von seinem Sterbebett nach der Bekanntgabe seines Todes.
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Zum erneuten Abschied wird es Hollywood-konform sehr kitschig. Cosmos organisiert ein glamouröses Abschiedsspiel gegen den FC Santos. In der ersten Halbzeit spielt Pelé für Cosmos, in der zweiten für seinen alten brasilianischen Club. Am Ende vergießt Pelé bittere Abschiedstränen. Im vorerst letzten Match erzielt er Karrieretor 1281. Bei Beckenbauers Abschied 1980 zieht er sich dann ein allerletztes Mal das Trikot über für Tor Nummer 1282 - in 1363 Spielen – so jedenfalls Pelés und Santos' Zählweise. In diese Statistik fließen auch viele Treffer aus Freundschaftsspielen oder inoffiziellen Kicks ein. Auf seinem Instagram-Profil trägt Pelé sogar stolz die Zahl 1283 ein. In offiziellen Listen stehen hingegen Cristiano Ronaldo und der österreichisch-tschechoslowakische Kicker Josef Bican ganz oben. Sicher ist: Es waren sehr, sehr viele Pelé-Tore. Daran zweifelt keiner.

Als er dem aktiven Fußball den Rücken kehrt, ist Pelé längst eine Legende. Er wird später von der FIFA zum Fußballer des 20. Jahrhunderts gewählt. Die 10 ist nach ihm für die Ballzauberer reserviert – Maradona, Zidane, Messi – alle tragen sie.

Abseits des Rasens klappt es mitunter nicht ganz so gut wie auf dem Grün. Pelé tritt unter anderem als Sänger und Schauspieler auf, stellt eine Marketing-Agentur auf die Beine. Die Uno ernennt ihn als Sonderbeauftragten. Seinen Namen vergoldet er mit Werbekampagnen. Mitte der 90er wird Pelé sogar als brasilianischer Sportminister ernannt. Seine Kommerzialisierungs-Ansätze bringen ihm reichlich Kritik ein.

Aus zwei geschiedenen Ehen gehen fünf Kinder hervor, dazu zwei uneheliche. In Sachen Fußballtalent sind sie weniger gesegnet als ihr prominenter Vater. Zumindest springen keine erfolgreichen Profikarrieren bei den Kids heraus.

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In den letzten Jahren häufen sich die Meldungen über gesundheitliche Probleme und Operationen. Zum Beispiel an der Niere, Wirbelsäule oder Hüfte. Auch der Tod seines Bruders Zoca nimmt ihn mit. Berichte über Depressionen machen die Runde. Pelé wirkt unglücklicher. Zuletzt verschlechtert sich sein Zustand, nachdem ein Tumor im Darm entfernt worden war.

Nach dem Herztod von Diego Maradona, der großen Legende neben Pelé, Ende 2020, meldet sich der Brasilianer mit rührenden Worten. „Mein großer Freund, ich danke dir sehr für unsere ganze gemeinsame Reise. Eines Tages werden wir im Himmel in einer Mannschaft spielen“, schreibt er in einem offenen Brief.

Jetzt ist auch Pelés unglaubliche Reise beendet. Der König ist tot. Aber für viele wird er ewig auf dem Fußball-Thron bleiben.

Nach seinem Tod postete seine Tochter Kely Cristina Nascimento ein rührendes Bild: Die Familie hält zusammen – im Leben, aber auch über den Tod hinaus.