Die Polit-Kolumne von Franca LehfeldtFrancas Flurfunk: Freiheit für Geimpfte – ohne Wenn und Aber!

Deutschland bleibt sich treu! Das Krisenmanagement humpelt in die nächste Runde. Nachdem wir als Gesellschaft den Geburtskurs „Atmen und Warten“ erfolgreich absolviert haben, ist er nun endlich da, der Impfstoff. Höchste Zeit für die nächste kollektive Geduldsprobe. Die Bundesregierung ist bestens vorbereitet, der digitale Impfpass ist das neue Objekt der Begierde.
Dieses Mal sollen wir aber kein halbes Jahr warten müssen, sondern nur weitere acht Wochen. Ende Juni soll der digitale europäische Impfausweis kommen – erklärt der Bundesgesundheitsminister. Bleibt also ausreichend Zeit, um über eine andere Baustelle zu streiten: die Rückgabe von Grundrechten für Geimpfte und Genesene.
Ich bin mit 31 Jahren noch nicht geimpft
Eine Debatte, deren Ursprung ich schon nicht nachvollziehen kann. Wer zweimal geimpft ist oder genesen und einmal geimpft ist, von dem geht keine Gefahr mehr für die Gesellschaft aus. Die Konsequenz müsste daher lauten, Geimpfte und Genesene erhalten umgehend ihre Grundrechte zurück. Und damit meine ich nicht, dass ihnen die umstrittene Ausgangssperre erspart bleibt und Kontaktbeschränkungen gelockert werden, sondern die vollständige Rückgabe ihrer Freiheit. Warum soll diese Gruppe der Gesellschaft, die im Übrigen täglich wächst, nicht in Restaurants sitzen, in Bars gehen oder innerhalb Deutschlands in den Urlaub fahren?
Nur weil sich dann eine Neiddebatte erhebt? Weil die Problematik der Gerechtigkeit angeführt wird? Weil Begriffe wie „Zweiklassengesellschaft“ in den Raum gestellt werden? Dafür gibt es doch eine ganz klare Antwort: geltendes Recht. Grundrechte können nicht aufgrund von subjektiven Empfindungen vorenthalten werden, sie sind auch keine Verhandlungsmasse. Nach dem Motto, Ausgangssperre fällt, dafür warten wir alle gemeinsam noch auf den nächsten Kinobesuch. An dieser Stelle möchte ich unterstreichen, dass ich mit 31 Jahren und ohne Vorerkrankung selbstverständlich noch nicht geimpft bin, der Impf-Rechner im Netz mir einen Termin Ende des Jahres prophezeit und ich somit von meinem Balkon den Pizza essenden und Wein trinkenden Geimpften beim Italiener gegenüber mit Wonne zusehen müsste.
Wir müssen gönnen können!
Als Gesellschaft müssen wir diesen Charaktertest, den uns die Pandemie beschert, bestehen. Wir müssen uns lösen vom deutschen Image der Neidgesellschaft. Wir müssen gönnen können. Während in den USA der Aufstieg vom „Tellerwäscher zum Millionär“ beklatscht wird, man erarbeiteten Wohlstand feiert, ein schönes Auto, eine teure Handtasche mit Stolz präsentiert, schauen wir hier zu Lande zu oft über den Gartenzaun, um uns zu vergewissern, dass der Grill des Nachbars bloß nicht größer ist als der eigene. Diese Mentalität könnte uns in der Pandemie zum Verhängnis werden.
Es gibt für alles Argumente. Ein in diesen Tagen gerne angeführtes Beispiel: Seit einem Jahr nehmen junge Menschen Rücksicht auf ältere und schränken sich ein. Daher könne man geimpfte ältere Menschen nun nicht bevorzugen, während die jungen Menschen noch auf ihre Impfung warten. Aber lautet die andere Wahrheit dieses Beispiels nicht, dass ältere Menschen weniger Lebenszeit vor sich haben als jüngere – und dass die Dauer von Freiheitseinschränkungen daher besonders schwer wiegt? Von der Tatsache, dass ich als jüngerer Mensch gerne bereit bin Rücksicht zu nehmen, mich zurückzunehmen, ganz zu schweigen.
Ist es nicht die Generation meiner Eltern und Großeltern, die den Wohlstand erarbeitet haben, die ich heute wie selbstverständlich lebe und genieße? Mal ganz abgesehen davon, welche Opfer Generationen vor uns erbracht haben, ohne sich darüber zu beschweren. Ich schäme mich, wenn der Egoismus meiner Generation zum Argument wird, meinem geimpften 78-jährigen Vater - der als „Trümmerkind“ nach dem zweiten Weltkrieg in Hamburgs Schutt spielte, seine gesamte Jugend arbeitete, um dieses Land wieder aufzubauen – zu verwehren, so schnell wie möglich zu einem normalen Leben zurückzukehren. Es ist auch eine Frage des eigenen Anstands und des moralischen Kompasses, in einer Gesellschaft, die empörungsverliebt und oft überhitzt ist, einen klaren Kopf zu behalten.
Geimpfte mit Rechten kurbeln die Wirtschaft an
Und es gibt noch einen ganz handfesten Grund: Wenn Geimpfte und Genesene am öffentlichen Leben teilnehmen können, wenn es für sie wieder Handel, Gastronomie und Kultur gibt, dann reduziert dies die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie. Viele Betriebe können den Stillstand nicht länger überleben. Für sie wäre es ein Segen, wenn sie ihre Türen zumindest für einen jeden Tag größer werdenden Teil der Gesellschaft öffnen können. Manches Restaurant, das junge Menschen gerne besuchen, wird es morgen nur noch geben, wenn heute die Jüngeren den Älteren den Vortritt lassen.
Vielleicht hilft die einfache Übung, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, die beste Freundin gewänne den Lotto-Jackpot oder der Kollege wird kurzfristig befördert, ein anderer reist mit seiner sechsköpfigen Familie für vier Wochen auf die Malediven – und man selbst? Gelingt uns ehrliche Freude? Vielleicht sogar ein Glückwunsch? Ohne den Gedanken des „und ich“ oder „warum der“? Wer die Übung problemlos besteht, müsste sich auch für jeden Geimpften oder Genesene in der Bar mit kaltem Drink und lauter Musik freuen können.
Um nicht als moralischer Zeigefinger zu gelten, lasse ich mich gerne ganz zum Schluss impfen und freue mich bis dahin über so viel Normalität wie möglich, so schnell wie möglich.
In diesem Sinne, wünsche ich uns allen ein schönes Wochenende!
Eure Franca
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