Seb bleibt nur ein Trostpreis
Vettels verlorene Saison: Zu viel Verkehr, zu wenig Chaos

von Christian Schenzel
Die erste Formel-1-Saison bei Aston Martin verlief für Sebastian Vettel enttäuschend. Die hoch gesteckten Ziele wurden krachend verfehlt. Das Team scheiterte an seinen eigenen Ansprüchen. Auch, weil der neue Star der Garage nicht das hielt, was man sich von ihm versprach.
Zuversicht groß- Enttäuschung größer
Als Sebastian Vettel Anfang März 2021 seinen ersten offiziellen Auftritt als neuer Aston-Martin-Pilot hatte, war die Zuversicht beim Heppenheimer noch groß. Ja, das Team stehe zwar erst "am Anfang", sagte er, aber "wenn wir dort anfangen können, wo wir letztes Jahr aufgehört haben, haben wir alle Chancen, besser zu sein als im Vorjahr".
"Besser als im Vorjahr" wäre in der Konstrukteurswertung gleichbedeutend mit Platz drei gewesen. Doch statt den Blick nach oben zu richten, ging es für das Team steil bergab. 246,5 Punkte (!) lagen am Ende zwischen der drittplatzierten Scuderia Ferrari und Aston Martin. Ein Abstand, der das Ergebnis einiger folgenschwerer Fehleinschätzungen ist.

Testfahrten zeigten direkt Schwachstellen auf
Die ersten Fehler wurden bei Aston Martin lange vor dem ersten Rennen begangen. Wie das Vorgänger-Team Force India bedienten sich die Briten bei der Planung ihres neuen Boliden ebenfalls in der Mercedes-Ideenschmiede. Force India hatte mit seiner "Mercedes-Kopie" 2020 schließlich einen Volltreffer gelandet, genau darauf hoffte auch Aston Martin. So wies der AMR21 bei seiner Vorstellung doch einige verblüffende Parallelen zum Mercedes W11 auf.
Aber schon bei den Testfahrten offenbarte der Wagen viele große und kleine Kinderkrankheiten, die bis weit in die Saison hinein Wirkung zeigten. Ob Elektronik oder Aerodynamik, irgendwo war stets der Wurm drin. Schnell wurde klar, dass das "Gesamtpaket AMR21" nicht das halten würde, was man sich von ihm versprochen hatte.
Sebastian Vettel punktet nur im Chaos
Bereits nach dem vierten Saisonrennen in Spanien - das Team hatte bis dato gerade mal fünf Punkte auf dem Konto - übten sich Sebastian Vettel, Teamchef Otmar Szafnauer und Lance Stroll in Durchhalteparolen. "Es ist kein Geheimnis, dass wir erwartet haben, in diesem Jahr stärker zu sein. [...] Wir haben das akzeptiert und versuchen, als Team weiter zu wachsen", sagte ein sichtlich ernüchterter Vettel in Barcelona. Rückblickend nichts weniger als eine sportliche Bankrotterklärung, zumal die Saison schon zu diesem frühen Zeitpunkt eigentlich verloren war.
Dass Aston Martin in Person von Sebastian Vettel in Monaco, Aserbaidschan, Ungarn und auch Belgien plötzlich vorne mitfuhr, kam für viele sehr überraschend, ist aber leicht zu erklären. In allen vier Rennen regierte das Chaos, in dem der vierfache Weltmeister stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Das schmälert Vettels Leistung nicht, relativiert sie aber ein Stück weit.

An dieser Aufgabe scheiterte Vettel
Immerhin erfüllte der Deutsche in diesen vier Rennen die Hoffnungen der Verantwortlichen und machte den Unterschied. Genau aus diesem Grund wurde er unter Vertrag genommen. Er sollte das Team mit seiner Erfahrung nicht nur in der Entwicklung voranbringen, sondern auch für Ergebnisse sorgen. An dieser Aufgabe scheiterte er.
Am Ende machte Seb zu selten den Unterschied. Zu oft fuhr er sich nach einem enttäuschenden Qualifying im Mittelfeld fest und steckte in einem der gefürchteten "DRS-Züge", aus denen es kein Entkommen gab. In 15 von 22 Rennen blieb er letztlich ohne Punkte. Eine Bilanz, die sich nicht schönreden lässt.
Besonders bitter für Vettel: Sogar das direkte Duell gegen Lance Stroll entschied er nur denkbar knapp für sich. Nicht selten war der Kanadier über ein gesamtes Wochenende der bessere der beiden Aston-Martin-Piloten. Dabei hätte der Heppenheimer den 23-Jährigen eigentlich klar dominieren müssen. Weil es anders kam, fühlen sich viele Seb-Kritiker spätestens jetzt bestätigt.
Vettel-Trostpreis dank DRS-Zug
Was bleibt für Sebastian Vettel und Aston Martin am Ende der Saison 2021? Nicht viel mehr als zwei Trostpreise. Zum einen der für das optisch schönste Auto im Feld. Zum anderen der neu geschaffene "Überhol-Award", den Vettel vor Fernando Alonso gewann. Eine bittersüße Auszeichnung, die überhaupt nur an den Deutschen ging, weil er Woche für Woche im Verkehr feststeckte.
Die Perspektive für 2022 ist nicht zwingend besser. Um sich 2021 nicht vollends zu blamieren, steckte Aston Martin mehr Ressourcen als geplant in den AMR21. Darunter litt die Entwicklung des neuen Wagens. Die Auswirkungen dessen sind völlig ungewiss.
Szafnauer sagte bisher nur das, was er sagen muss: "Teambesitzer Lawrence Stroll will aus Aston Martin einen Sieger machen und langfristig ein Wörtchen um den Titel mitreden können. Mit dem Schritt zu einem ganz anderen Rennwagen halte ich das für realistische Ziele."
Aussagen, die denen von Vettel vor der Saison 2021 ähneln. Bleibt für das Team zu hoffen, dass der Chef nicht so weit daneben liegt. (sport.de/lgr)