"Das Wasser war unerbittlich"

Erinnerung an die Flut: Unsere Unbeschwertheit ist davon geschwommen

Frau in Keller
Nina Pal Singh im Juli 2021 im Keller ihrer Eltern.
privat

von Nina Pal Singh

Mein Vater hat wieder Geburtstag. Es ist der 14.7.2022. Auch ein Jahr danach ist nichts wie es war. Im Garten liegen Sandsäcke. Für alle Fälle. Letztes Jahr hat uns das Hochwasser überrascht. Und auch wenn meine Eltern nur Materielles verloren haben - so hat der 14.07.2021 uns allen etwas geraubt: Unbeschwertheit. Sie ist unwiederbringlich mit der Flut davon geschwommen. Aber sie hat auch etwas Unerwartetes hoch gespült.

Das Wasser war unerbittlich

Obwohl “nur” der komplette Keller meines Elternhauses in Bonn-Lessenich unter Wasser stand, horchen alle auf, wenn es regnet. Ein leichter Schauer lässt uns immer noch erschauern. Damals wie heute ist es für uns unfassbar, wie viel Kraft das Wasser in so kurzer Zeit entfaltet, wie schnell es vernichten kann. Damals schlängelt es sich durch den Garten meiner Eltern. Unbemerkt. Wir saßen bei Kaffee und Kuchen zusammen, freuten uns, dass wir gemeinsam den Kerzen beim Abbrennen zuschauen konnten. Dann klingelte es, und da verloren wir sie: die Leichtigkeit des Seins.

Der Geburtstag war plötzlich vorbei. Wasser drang in den Keller. Presste sich durch die Ritzen im
Fenster. Wir klemmten uns Bettlaken und Handtücher unter den Arm, versuchten so, das Wasser aufzuhalten. Wir waren sicher, dass es uns gelänge - es war ja nur Wasser, nur Regen. Aber das Wasser war unerbittlich und wies uns in unsere Schranken. Es nahm sich, was es wollte, riss Möbel um und zerstörte Türen und Wände im Keller.

Demut und Dankbarkeit

Möbel türmen sich
In der Straße türmten sich zerstörte Möbel.
privat

Wie kaltblütig und eisern die Natur ihren Weg bestritt, hat noch etwas in uns hinterlassen: Demut. Gegen die Urkräfte der Natur sind wir kleinen Menschlein machtlos. Auch wenn wir uns jetzt noch oft genug wie die Krone der Schöpfung aufführen, auch wenn wir glauben, dass so etwas wie der Klimawandel in den Griff zu kriegen ist - ganz ohne große Anstrengung - nein! So ist es nicht. Wir
haben es gesehen, standen machtlos daneben, als die Natur kurzen Prozess machte. Sie folgt ihrer Logik, hat kein Mitleid. Mit ihr kann man nicht verhandeln. Wir haben es “im Kleinen” gespürt. Der Keller lief voll. Nichts half - keine Pumpe, die völlig Fremde einfach so vorbei brachten. Wir mussten uns geschlagen geben und der Natur ihren Lauf lassen.

Zwar sind Fremde Fremde geblieben. Auch weil die Nacht damals die Gesichter vieler Helfer einfach verschluckt hat. Aber ich spüre etwas, wenn ich durch das Viertel laufe: Diese Menschen hier verbindet etwas. Sie alle haben etwas Unvorstellbares erlebt. Ein kleiner Bach hat ihnen Angst eingejagt. Sie teilen dieses Erlebnis und sind dankbar, dass sie so glimpflich davongekommen sind.

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Die Wucht des Vergessens und Erinnerns

Und manchmal ist es auch so: Ein Jahr danach haben wir die Wassermassen hin und wieder auch einfach kurz vergessen. Meine Mama schickte mich neulich wie selbstverständlich in den Keller, um einen Ordner für sie zu holen. Ich tapste in Gedanken die Treppe runter. Da war aber kein Schrank mehr und auch kein Ordner. Manchmal verdrängen wir das Wasser, wollen vergessen,
dass das Wasser unsere Erinnerungshilfen verschlungen hat. Unzählige Dias waren nicht mehr zu retten. Meine Kindheit hat auf einmal riesige Lücken. Und wie eine Welle kommt mit gigantischer Wucht der 14.7.2021 zurück. Es war der Geburtstag meines Papas und wurde der Tag, an dem nur wenige Kilometer entfernt von uns Menschen gestorben sind.

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Die Hortensie als Zeichen des Zusammenhalts

Auch wenn sich nicht nur in unserem Garten noch Sandsäcke stapeln und auch wenn wir uns recht klein fühlen, wenn wir zum Regenschirm greifen - wir alle haben auch gewonnen: Die, die wir einst flüchtig kannten, sind näher gerückt. Nachbarschaft hat eine neue Definition bekommen. Dieser Begriff, der zuvor nicht mehr als ein freundliches, distanziertes “Hallo” bedeutete, ist jetzt mit neuem Leben gefüllt. Diese Nacht, in der wir nicht wussten, ob wir das Haus vielleicht doch noch verlassen müssen, diese Nacht, hat Menschen näher zusammengebracht, die vorher nur Tür an Tür lebten. Sie hat gezeigt, dass wir zusammenstehen, dass wir uns helfen in der Not. Das hat das Wasser hoch gespült. Und es ist geblieben. Neben den Sandsäcken steht eine große Hortensie. Ausgerechnet eine Hortensie. Eine Pflanze, die viel Wasser braucht. Ein Geschenk, das von Herzen kam und zwar von den Nachbarn.

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