Die Rätsel um Bin Ladens Tötung

Der Fotobeweis: Das Todesbild von Osama bin Laden ist nicht echt, jemand hat ein altes Bild (links) des Terrorführers bearbeitet.
Der Fotobeweis: Das Todesbild von Osama bin Laden ist nicht echt, jemand hat ein altes Bild (links) des Terrorführers bearbeitet.
Reuters, Collage: RTL

Die Tötung von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden durch ein US-Spezialkommando in Pakistan wirft eine Reihe von Fragen auf. Ob es um das angebliche Todesfoto, den Umgang mit der Leiche, deren Identifizierung oder den Zeitpunkt der Aktion geht - es gibt viele Ungereimtheiten:

1. Das angebliche Foto des Getöteten

Pakistanische TV-Sender waren mit der Veröffentlichung von Bildern, die angeblich den getöteten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden zeigen, schnell zur Hand. Auf einem der Fotos ist das bärtige Gesicht des Top-Terroristen zu sehen, mit leicht geöffnetem Mund. Haare und Stirn sind blutverschmiert, beide Augen verletzt (siehe Foto).

Wenn man es aber mit einem alten Foto des Terrorführers vergleicht, wird deutlich, dass es nur eine Fälschung sein kann. Jemand hat das alte Bild so bearbeitet, dass viele Medien in aller Welt auf die Fälschung reinfielen. Der britische ’Guardian’ verwies auf einen Internet-Bericht über den angeblichen Tod Bin Ladens im Jahre 2009, in dem bereits das Bild veröffentlicht worden sei.

Das Weiße Haus erwägt nach Informationen des US-Senders ’ABC’ eine baldige Veröffentlichung eines Fotos des toten Terroristenchefs. Skeptiker innerhalb der US-Regierung hätten allerdings argumentiert, dass die Aufnahmen “zu grausig“ seien, um sie freizugeben, berichtete ein Korrespondent des Senders. Befürworter meinten hingegen, die Veröffentlichung sei nötig, um Zweifel auszuräumen, dass der Al-Kaida-Chef tatsächlich bei der US-Kommandoaktion getötet wurde.

2. Die Leiche: Warum wurde Osama bin Laden sofort bestattet – und warum im Meer?

Nach Angaben aus US-Sicherheitskreisen wurde Bin Laden unmittelbar nach seiner Tötung im Meer bestattet. Ein amerikanischer Beamter erklärte, dass der Umgang mit der Leiche “im Einklang mit islamischen Praktiken und islamischer Tradition“ stand.

Doch eine Bestattung im Meer ist ein für Moslems unübliches Verfahren. Laut Wikipedia und auf diversen deutschsprachigen Internetseiten zum Thema Islam heißt es in den Bestattungsriten der Religion zwar, die Bestattung solle unverzüglich, möglichst noch am Sterbetag, erfolgen. Doch für gläubige Muslime ist die Erdbestattung die einzig mögliche Form. In Regeln für die Begleitung beim Sterben heißt es, der Leichnam solle ohne Sarg ins Grab gelegt werden – mit Blickrichtung Mekka. Bei einer Bestattung im Meer kann das natürlich nicht funktionieren.

Aus US-Sicherheitskreisen hieß es, man habe durch die Bestattung auf See verhindern wollen, dass ein Erdgrab des Al-Kaida-Chefs zu einer Pilgerstätte für Islamisten werden könnte.

Vorwürfe an pakistanische Regierung

3. Die DNA-Analyse: Was stimmt wirklich?

Schon in den ersten Meldungen über die Tötung des Al-Kaida-Chefs hieß es unter Berufung auf US-Quellen, der Leichnam sei eindeutig durch eine DNA-Analyse identifiziert worden. Später hörten sich die offiziellen Verlautbarungen aus Washington schon anders an: Die DNA der Leiche werde noch untersucht und das Ergebnis erst in mehreren Tagen zur Verfügung stehen.

Erste Untersuchungsergebnisse bestätigten mit hoher Sicherheit, dass es sich bei dem Getöteten um Bin Laden handelt, sagte nun ein US-Regierungsvertreter. Dazu sei das Erbgut mit Verwandten Bin Ladens verglichen worden.

Experten hätten zudem Techniken zur Gesichtserkennung eingesetzt, um die Identifizierung sicher zu stellen – offenbar während des Einsatzes und aus der Ferne. Nach Angaben eines Regierungsvertreters wurde der Einsatz der Sondertruppen live ins Hauptquartier des US-Geheimdienstes CIA in Washington übertragen; auch Präsident Obama war live dabei.

4. Der Zeitpunkt: Warum wurde Osama bin Laden erst jetzt getötet?

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001, also seit fast zehn Jahren, war der Al-Kaida-Führer der meistgesuchte Terrorist der Welt – und für die USA der Staatsfeind Nummer eins. Bin Ladens Unterschlupf in einem Vorort von Abbottabad, etwa 60 Kilometer Luftlinie nördlich der Hauptstadt Islamabad, wurde nach US-Angaben bereits im vergangenen August gefunden. Doch den Befehl zur Tötung erteilte Präsident Obama erst ein Dreivierteljahr später, obwohl Bin Laden schwer nierenkrank gewesen sein soll – und damit in seiner Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt.

Das Zögern könnte eine Folge knallharten politischen Kalküls sein. In den USA hat der Präsidentschaftswahlkampf für den Urnengang im kommenden Jahr gerade begonnen, und der Zeitpunkt für die Exekution des Al-Kaida-Führers ist denkbar günstig. Trostlose Umfragewerte hatten längst die ’Yes we can’-Begeisterung von einst abgelöst, beim Waffengang in Afghanistan scheint es kaum voranzugehen, bei Libyen wurde Obama Zaudern angelastet. Eine blutarme Wirtschaft und hohe Arbeitslosigkeit quälen das Land. Der mächtigste Mann der Welt schien hilflos.

Und nun: “Der Tod Bin Ladens ist sicherlich einer der entscheidendsten und bestimmenden Momente von Obamas Präsidentschaft“, kommentierte die ’New York Times’. Obama könnte sich seine Wiederwahl nach Einschätzung vieler Beobachter praktisch schon gesichert haben. Davon zeugten auch die Jubelfeiern im ganzen Land. “Ein zerrissenes Land ist geeint“, kommentierte etwa die ’Washington Post’. Der Präsident habe gezeigt, dass er mit seiner Art der Terrorbekämpfung auf Erfolgskurs liege. Selbst aus den Reihen der Republikaner, die sonst praktisch kein gutes Haar am Präsidenten lassen, drang hörbarer Applaus.