Schlüsselspieler beim Knaller Deutschland - Portugal
Liefert Kimmich? Wer stoppt Ronaldo? Und wer trifft für das DFB-Team?

Von Emmanuel Schneider
Die deutsche Mannschaft steht vor einer echten EM-Bewährungsprobe. Wie schlägt sich das Team nach der Auftaktniederlage gegen Weltmeister Frankreich gegen Europameister Portugal? Punkten ist Pflicht, aber Obacht: Die Portugiesen sind offensiv ähnlich stark besetzt wie die „Equipe Tricolore“. Wir haben uns die Schlüsselspieler der Partie angeschaut.
DEUTSCHLAND: Matthias Ginter (27 Jahre alt/41 Länderspiele)

Der Gladbacher Abwehrspieler witzelte auf der Pressekonferenz über den Offensivsturm, der am Samstag vor seinen Augen aufziehen wird. Nein, die Highlights von Ronaldo werde er sich nicht mehr angucken, sagte er und lacht. Dabei kann aus dem Lachen schnell eine Gegentor-Grimasse werden. Klar ist nämlich: Der 27-Jährige wird in einige Duelle mit dem muskelbepackten Juve-Star gehen müssen, der zwar nominell als einzige Spitze spielt, sich gerne aber mal nach Links fallen lässt.
Bleibt Löw bei der Dreierkette, wird Ginter wieder auf der rechten Innenverteidiger-Position auflaufen. Falls der Bundestrainer auf eine Viererkette umstellt, ist Ginter neben Emre Can eine echte Option als Rechtsverteidiger. Denn der eigentliche Mann auf dieser Position, Lukas Klostermann, fällt für das Spiel gegen die „Selecao“ mit einem Muskelfaserriss aus. Neben Ronaldo geht es für Ginter dann vornehmlich gegen den schnellen Diogo Jota vom FC Liverpool. Ginter weiß: Es ist „ein Fehler, sich komplett auf Cristiano Ronaldo zu konzentrieren.“ Zuschlag auf Mehrarbeit sollte er also schon mal beantragen.
Joshua Kimmich (26/56 Länderspiele)

Die K-Frage beschäftigt Deutschland und sie hat ausnahmsweise nichts mit Armin Laschet, Annalena Baerbock oder Olaf Scholz zu tun. Löw zog den Bayern-Motor aus dem defensiven Mittelfeld ab und verfrachtete ihn auf die rechte Abwehrseite bzw. Außenbahn. Denn Kimmich spielt eben „da, wo es das Beste ist für die Mannschaft." Zumindest sieht Löw das so. Kimmich selbst haderte auf dem Rasen sichtlich mit seiner neuen Rolle, auch wenn er sich öffentlich nicht dazu äußerte. Gegen Frankreich fehle womöglich genau dieses Quäntchen Kimmich-Klasse, um dem Weltmeister immerhin etwas mehr entgegenzusetzen.
Wenn Deutschland gegen Portugal punkten will, müssen Löw und Kimmich die K-Frage dieses Mal besser beantworten. Spielt er rechts, muss mehr kommen. Kann er auch dort Weltklasse? Oder stellt ihn der Bundestrainer doch in die Zentrale? Wenn Löw sein viel diskutiertes System auf eine Viererkette anpasst, wäre Kimmich der Mann vor der defensiven Kette. Dann laufen das Spiel und wohl auch das Endergebnis vor allem über den Schwaben.
Timo Werner (25/40 Länderspiele)

Der Chelsea-Stürmer ist ein Phänomen. Oft hoch geschrieben, mindestens genauso oft angefeindet und wieder runtergeschrieben, von den, sagen wir mal, hämisch-kritischen Fans ganz zu schweigen. Werner hat nicht das beste Standing, verfügt aber ein riesiges Potenzial. Wenn er es abruft, ist er kaum zu bändigen. Seine Schnelligkeit, Power und Schussgewalt entscheiden Spiele. Davon können Fans in London, Leipzig und mit Abstrichen auch Stuttgart ein Lied von singen.
Im DFB-Team ist er inzwischen aus der Startelf gerutscht. Müller hat als Comebacker und Leader seinen Platz sicher, Serge Gnabry spielt, so formulierte es Löw einst: immer. Aus der Dreier-Offensivreihe um Müller, Gnabry und Kai Havertz überzeugte allerdings keiner so richtig. Dazu drängt auch Leroy Sané ins Team. Die Frage ist: Wagt Löw die Werner-Überraschung? Aber auch wenn nicht, zur Halbzeit, spätestens um die 70. Minute herum wird wohl wieder die Stunde von Werner schlagen. Gegen Frankreich durfte er ab der 74. Minute rein – es war ein unglücklicher Auftritt mit mehreren Ballverlusten. Ein Joker, der sticht – das wäre doch was. Gegen Lettland kurz vor der Euro gelang ihm das sofort. Allerdings ist Lettland eben nicht Frankreich und leider auch nicht Portugal.
EM-Talk - Die Tore müssen jetzt kommen
PORTUGAL: Cristiano Ronaldo (36/ 176 Länderspiele)

Der Europameister kann mit einer kleinen Aktion offenbar Aktienkurse von Weltunternehmen absacken lassen oder eben Spiele entscheiden.
CR7 ist mittlerweile schon 36 Jahre alt, trotzdem dreht sich in Portugal alles um Ronaldo. Gegen Ungarn bewies er: Er kann auch mal über dreiviertel der Spielzeit abtauchen und Großchancen auslassen. Wenn es darauf ankommt, ist er da. Und auch trotz seines nur etwas fortgeschrittenen Alter ist und bleibt er eine Naturgewalt. Vereint Durchschlagskraft mit Athletik und Technik.
Zudem geht er mit ordentlich Rückenwind ins Spiel. Nach einer eher mäßigen Saison mit Juventus Turin (trotz 29 Toren nur platz vier in der Liga und frühes Aus in der Champions League), stellte er im ersten Spiel gegen Co-Gastgeber Ungarn gleich mehrere Rekorde aus. Durch Treffer zehn und elf ist er nun der alleinige EM-Rekordtorschütze und der einzige Spieler, der in fünf EM-Endrunden spielte – und auch ein Tor erzielte. Wahnsinn.
Und Ronaldo hat noch einige Rechnungen mit der DFB-Elf offen. In allen vier Partien gelang ihm weder ein Sieg noch ein Treffer. Unterm Strich steht nur eine Vorlage für ihn. In allen bisherigen aufeinandertreffen (bei denen ja auch Löw Trainer oder Assistent war) hegte die deutsche Defensive den Überflieger ordentlich ein.
Ruben Dias (24/29 Länderspiele)

Nun ist es ja nicht so, dass nur die deutsche Defensive vor einer harten Nuss steht. Kommt der DFB-Express ins Rollen, ist Portugals Abwehr gefordert. Und eben diese hält Dias zusammen
Der Linksfuß von Manchester City gilt als einer der besten Abwehrrecken der Welt. Er sammelte gerade in der vergangenen Saison viel Erfahrung auf internationalem Top-Niveau unter Taktik-Guru Pep Guardiola, der von seinem Mann in der Mitte schwärmt.
„Er ist nicht einfach nur ein Spieler, der gut spielt. Er macht auch die anderen Spieler besser“, beschreibt Coach Guardiola seinen Spieler, der quasi durchdirigiert. „Er redet 90 Minuten lang und sagt in jeder einzelnen Aktion, was wir zu tun haben.“
Dias war im Titeljahr 2016 noch nicht dabei, machte 2018 kein Spiel bei der WM. Drei Jahre später ist der wichtigste Mann in der Defensive. Vor der Saison war der 1,87 Meter große Verteidiger von Benfica Lissabon zu ManCity gewechselt. Für fast 70 Millionen Euro. Nach dem verpassten Titel 2020 brauchte City einen neuen Chef, in Dias haben sie ihn gefunden. In Portugal nimmt er diese Rolle schon seit über zwei Jahren ein.
Bruno Fernandes (26/30 Länderspiele)

Er zieht die Fäden im portugiesischen Mittelfeld, ist der Zehner des Teams. Wie gefährlich er ist, unterstrich er bei seinem Club Manchester United. 45 Scorerpunkte sammelte er in der vergangenen Saison auf der Insel.
Und die Rechnung ist relativ einfach: Ronaldo, Jota und Silva brauchen vorne Bälle, müssen angespielt werden. Stoppt der deutsche Defensiv-Riegel Fernandes – oder hemmt ihn zumindest im Aufbau, stehen am Ende weniger Chancen für Ronaldo und Co. auf dem Zettel. So weit die Theorie.
In der Praxis ein gar nicht so leichtes Unterfangen. Fernandes ist kein Sprinter, dafür verfügt er über eine feine Technik und Übersicht. Die Abräumerqualitäten von Ilkay Gündogan und Toni Kroos (oder Kimmich?) sind hier gefragt. Auch seine Standards sind brandgefährlich.
Wie Dias war er beim Titelgewinn 2016 noch nicht dabei und ist heiß auf die EM. Sein Plan gegen Deutschland: „Unser Ziel ist, das Spiel zu kontrollieren, den Ball so viel wie möglich zu haben und zu gewinnen."