Maßnahmen gegen Account-Sharing
Netflix in der Streaming-Analyse: Früher günstig und bequem - heute sieht es anders aus
von Malte Mansholt
Als Netflix 2014 nach Deutschland kam, war der Konzern der Pionier des kommenden Streamingbooms. Nun steht man vor den Scherben dessen, was ihn einst groß gemacht hat.
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Netflix laufen die Kunden davon: Account-Sharing soll gestoppt werden
Es ist eine Maßnahme, aus der die Verzweiflung spricht. Weil Netflix in den letzten Jahren die Kunden nicht mehr zu- sondern eher davonlaufen, geht der Konzern erstmals gegen das Teilen von Accounts vor. Die Umsetzung macht den Dienst allerdings für viele Nutzer noch unattraktiver. Und er verliert damit seine letzte Stärke, die ihn einst so groß gemacht hatte.
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Denn als Netflix sich aufmachte, weltweit den TV-Markt umzukrempeln, gelang dem Unternehmen das vor allem aus drei Gründen. Netflix war günstig, bot gefühlt alles, was man sehen wollte, und war dabei extrem unkompliziert einzurichten und zu bedienen. Alle drei Vorteile sind nicht mehr vorhanden. Und das, während die Konkurrenz stetig besser wird.
Zeit der guten alten Netflix-Ära vorbei?
Das Vorgehen gegen das Teilen von Accounts ist dabei der jüngste Schritt. Ein Grund für die rasante Verbreitung des Dienstes ist sicher, dass man ihn so gut teilen konnte. Mit der Möglichkeit, in der höchsten Abo-Stufe auf vier Geräten gleichzeitig schauen zu können, war der Dienst nicht nur für Freunde sehr attraktiv, die so die Kosten unter sich aufteilen konnten. Vor allem Familien und WGs profitierten. Und das auch, wenn Teile der Abo-Gemeinschaft längst ausgezogen waren.
Netflix war das lange nur Recht. Je mehr Zuschauer man an sich band, desto besser, so das Kalkül. Dass dann nicht jeder auch bezahlte, spielte in Zeiten des ewigen Wachstums eine untergeordnete Rolle. Damit ist es nun vorbei. Zum ersten Mal hat Netflix im letzten Jahr Kunden verloren, statt Neue zu gewinnen und sieht sich deshalb offenbar gezwungen, gegen die „Account-Sharer“ vorzugehen.
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Account teilen: Das will Netflix seinen Usern künftig schwieriger machen
Eine diese Woche erschienene und dann schnell entschärfte Erklärung zum baldigen Vorgehen lässt erahnen, was da auf uns zukommt. Jedes für einen Netflix genutzte Gerät wird dann einem Haushalt zugeordnet. Meldet man sich für 31 Tage nicht in zugehörigen WLAN an, wird das Gerät gesperrt. Eine Ausnahme war in der ersten Fassung nur für Urlaube vorgesehen: Dann kann man für jedes Gerät einzeln einen sieben Tage gültigen Code beantragen, erklärte die erste und schnell geänderte Fassung der Regeln. In der zweiten Fassung finden sich die drakonischen Regeln nicht mehr. Eine Entwarnung ist das nicht: Die überarbeitete Fassung ist schlicht viel schwammiger, sie geht einfach gar nicht mehr ins Detail, wie Netflix sein Teil-Verbot umsetzen will.
Sollte es tatsächlich so kommen, wäre Netflix' Vorteil der einfachen Nutzung dahin. Denn es fällt nicht schwer, sich Szenarien ausmalen, in denen auch eine legitime Nutzung plötzlich zum Problem wird. Sei es für Pendler, die ihre Geräte nur unterwegs nutzen, für Besitzer von Ferien- oder Zweitwohnsitzen, für Pärchen, die eine Fernbeziehung führen: Alle müssten sich plötzlich mindestens ein weiteres Abo gönnen. Auch wer sein Tablet nur unregelmäßig nutzt und mal einen Monat kein Netflix darauf schaut, müsste plötzlich mit einer Sperre rechnen.
Bringen die Maßnahmen Netflix wieder mehr Abonnenten?
Netflix erhofft sich von dem Vorgehen vor allem eines: neue Abonnenten. Nach mehreren Berichten sollen in Testmärkten durch das Vorgehen tatsächlich mehr neue Abonnements abgeschlossen worden sein. Ob aber wirklich jeder Mitzuschauer nach dem Schritt einen eigenen Account erstellt, darf bezweifelt werden: Für Netflix könnte die Entscheidung auch nach hinten losgehen. Im Netz finden sich zahlreiche Kunden, die lieber kündigen werden. "Ich zahle doch nicht 45 Euro, weil meine beiden Söhne jetzt studieren", klagt ein Nutzer bei Reddit. Dann würde er lieber das Abo aufgeben.
Das größte Risiko für Netflix ist, dass es seine Vormachtstellung aus der Vergangenheit längst verloren hat. Und das hat auch mit dem Verlust der anderen beiden Erfolgsmerkmale zu tun. Nach dem gigantischen Erfolg von Netflix zogen auch die Konkurrenten nach. Von Disney bis zu einzelnen TV-Sendern zog ein TV- und Film-Produzent nach dem anderen seinen eigenen Streaming-Dienst hoch. Das bedeutete für Netflix gleich in mehrerer Hinsicht Probleme. Zum einen verlor das Unternehmen dadurch immer mehr Inhalte. Zum anderen musste man empfindlich an der Preisschraube drehen.
Starke Konkurrenz: Druck am Streamingmarkt steigt
Die zunehmende Konkurrenz machte Netflix gleich mehrfach das Leben schwer. Hatte man vor allem im internationalen Markt früher Unmengen an Lizenzmaterial, ist die Zahl an Serien und Filmen von Drittstudios bei Netflix in den letzten Jahren immer kleiner und kleiner geworden. Nun behielten viele Content-Schmieden die besten Inhalte lieber gleich für den eigenen Dienst. Was auf dem Markt zur Lizenzierung angeboten wurde, wurde teurer: Weil die Dienste sich gegenseitig zu überbieten versuchten. Begehrte Inhalte wie "The Office" und "Friends", die für Netflix jahrelang eine sichere Bank waren, kosteten plötzlich Hunderte Millionen Dollar - pro Serie und Jahr.
Auch indirekt stiegen die Kosten. Netflix steckte im Laufe mehr und mehr Geld in selbstproduzierte Inhalte. So wollte man sich vom Lizenzmaterial unabhängiger machen. Der ungebrochene Streaming-Boom machte aber auch das immer teurer. Konnte sich Netflix viele der Inhalte zur Anfangszeit quasi noch aussuchen, gibt es heutzutage längst Bietergefechte um begehrte Projekte. Und: Selbst die Hollywood-Größen haben nach anfänglichem Zögern Geschmack an Streaming-Inhalten entdeckt. Konkurrieren alle um den Star-Faktor, kostet das allerdings ebenfalls kräftig extra.
Netflix-Konto: Für die Nutzung allein zu teuer?
Für die Netflix-Kunden hat diese Spirale eher unangenehme Folgen. Zwar gibt es immer mehr Inhalte, diese sind aber immer schwerer zu finden. Waren neue Serien wie "House of Cards" oder "Stranger Things" damals in aller Munde, sind diese Hype-Serien in letzter Zeit immer seltener geworden. Und: Es gibt sie immer öfter bei Netflix' Konkurrenz. Wer alles sehen will, braucht längst mehr als nur ein Abo.
Hinzu kommt: Die Preise stiegen bei Netflix hin den letzten Jahren immer weiter. Das mit 6,99 Euro eingeführte Basis-Abo ist heute zwar mit 7,99 Euro kaum teurer. Bei den teureren Abos hat der Konzern aber deutlich mehr zugelangt: Aus dem Einführungspreis des Premium-Abos von 13,99 wurden längst 17,99 Euro pro Monat. Für eine Familie ist das okay. Den meisten Einzelpersonen dürfte das im Vergleich zu Konkurrenten wie Disney, Apple TV+ oder dem Sky-Streamingdienst Wow aber deutlich zu viel sein.
In der Kombination könnten diese Veränderungen Netflix sein wichtigstes Pfund kosten: Während sich die Kunden längst daran gewöhnt haben, andere Dienste immer wieder zu kündigen und nur bei Bedarf zu buchen, wurde Netflix von vielen als der Standard-Dienst behandelt, den man immer laufen ließ. Auch, weil man das Abo so unkompliziert teilen konnte. Die Einführung der neuen Maßnahmen könnten nun zum Zünglein an der Waage werden.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei stern.de.