Olympia ist Sostmeier-Time
Der gewaltig polarisierende Dressur-Poet

Von Tobias Nordmann
Die Olympischen Spiele sind auch seine große Bühne: Wenn es im Dressurreiten um Medaillen und die großen und kleinen Dramen geht, dann ist Carsten Sostmeier immer dabei. Und wie: Der ARD-Mann kommentiert auf eine Weise, in die sich Generationen von Zuschauern verliebt haben. Andere schalten genervt ab.
Seine Stimme hat Gewicht

Carsten Sostmeier sagt Sätze, die sonst niemand sagt. Es sind Sätze, die niemand sagt, weil es Sätze sind, die außer Carsten Sostmeier niemand sagen kann. Carsten Sostmeier sagt zum Beispiel Sätze wie diesen: "Gleich macht sich Showtime groß unter dem Sattel seiner Reiterin. Er zeigt, welche Bewegungsdynamik in ihm vorhanden ist und kann diese gleich mit großer Schubkraft aus der Hinterhand im starken Trab mit so eleganter Freiheit in der Schulter uns wunderbar zelebrieren." Zu behaupten, dass er solche Sätze einfach nur "sagt", ist übrigens auch falsch. Er sostmeiert seine Sätze mit einer Ruhe und Hingabe dahin. Seine Worte zerfließen am Mikrofon wie warmes Schoko-Soufflé auf der Zunge. Es gibt dafür kein Wort, das ihm gerecht wird.
Es gibt viele Menschen, die nun das Dressurreiten gebannt verfolgen. Ohne genau zu verstehen, wie es funktioniert. Und es gibt verdammt viele Menschen, die beim Dressurreiten mitreden können, weil es Carsten Sostmeier gibt. Den Mann also, der die Kunst des Vierbeiners im Viereck so bezaubernd, so faszinierend und bisweilen auch so erdrückend wortreich vermitteln kann, dass man das erstaunliche Gefühl bekommt, diese wunderbare Schubkraft aus der Hinterhand wie selbstverständlich zu sehen. Als wäre sie eine krachende Vorhand auf dem Tennis-Court. Als wäre es ein Dunking beim Basketball oder ein Elfmeter beim Fußball.
Preise, Lob und Kritik
Dressurreiten ist ein Phänomen. Bei den Olympischen Spielen ein gewaltiger Höhepunkt. Einer mit reichlich Sendezeit im Fernsehen. Klar, beim Dressurreiten ist Deutschland immer dabei, wenn es um Medaillen geht, um Titel. Isabell Werth, die kennt jeder. So wie jeder Claudia Pechstein kennt. Die Dressur ist das, was das Eisschnelllaufen bei den Winterspielen ist. Eigentlich eine Sache für ein sehr fachkundiges Publikum. "Special Interest" könnte man sagen, eher was für die Nische als die breite Masse.
Carsten Sostmeier würde so etwas nie sagen. Er würde es viel schöner sagen. Aber jeder Versuch, zu ergründen, wie die ARD-Reitsport-Legende das ausdrücken würde, kann nur scheitern. Niemand ist wie Sostmeier. Für seine Live-Moderation der Dressurentscheidungen bei den Spielen in Athen erhielt Sostmeier 2004 den "Deutschen Fernsehpreis" in der Kategorie "Beste Sportsendung" und wurde 2005 für den Grimme-Preis nominiert.
Er löste schon Skandale aus
Dressurreiten und Eisschnelllaufen, das sind sportliche Geschwister im Geiste. Sie haben natürlich nichts miteinander zu tun, außer, dass es auf gute Beinarbeit ankommt. Aber sie sind während der Olympischen Spiele wichtig fürs nationale Gemüt. Dann irgendwie geht irgendwo immer was. Wobei die erfolgreichen Zeiten der deutschen Kufenläufer eigentlich vorbei sind. Anders als die goldenen Zeiten im Viereck. Also zurück zu den tanzenden Pferden. Und wer immer noch nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht, bitte genau zuhören: "Wissen Sie, Dressurreiten, das ist nicht das Hineinpressen eines Pferdes in eine Schablone, sondern das behutsame Entwickeln seiner Talente zu einer edlen Silhouette!" Ein rhetorisches Gemälde.
Aber mit der Kreativität hat es Sostmeiser immer mal wieder auch übertrieben. Bei den Spielen 2016 in Rio sagte er etwa sagte bei der Übertragung des Vielseitigkeits-Wettkampfs Sätze wie "Jetzt wollen wir mal gucken, was die Blondine zu sagen hat". Oder er nannte Debütantin Julia Krajweski einen "Angsthasen" und bemerkte einen "braunen Streifen, den die jetzt schon in der Hose hat". Die Empörung war groß, zurecht. Sostmeier entschuldigte sich. Nicht zum ersten Mal.
Aussetzer schaden Status als Legende nicht
Bereits 2012 in London hatte er eine Entschuldigung formulieren müssen. Damals hatte er laut ins Mikrofon gerufen: "Aber dann kamen ja die Franzosen, die Briten, die Amerikaner und am grünen Tisch haben sie uns die Goldmedaille mit einer fragwürdigen Entscheidung weggerissen, und das haben sich die Deutschen gemerkt, denn seit 2008 wird zurückgeritten. Wir holen uns Gold zurück, gnadenlos." Ein Hitler-Zitat, zwar paraphrasiert, aber eben ein Hitler-Zitat. Auch damals war die Kritik riesig. Auch damals völlig zurecht.
Sostmeiers Status als Legende haben diese Aussetzer nicht geschadet. In den sozialen Medien werden große Hymnen auf den 61-Jährigen gesungen. Sostmeier für Fußball. Sostmeiser für Könige. Sostmeier for President! Ein User nennt ihn gar den verbalen Dressur-Erotiker. Aber manche singen eben auch: Jetzt dreht er völlig frei! Auch wegen solcher Sätze (zum Gespür des Reiters für sein Tier): "Du musst es durch dein Gesäß und deine Schenkel fühlen und durch deine Hände führen." Nunja, kommentieren ist Kunst. Und Kunst ist streitbar. Und im Fall von Sostmeier aber immer mindestens poetisch: "So tänzerisch leicht wie das Lichtspiel einer Kerze, welches sich in einer seichten Brise elegant hin und her bewegt."