Der Antreiber verlängert seinen Vertrag vorzeitig
Coup mit Joshua Kimmich: Der unbestrittene Boss des FC Bayern
Joshua Kimmich verlängert seinen 2023 auslaufenden Vertrag bei Bayern München vorzeitig und setzt damit ein Zeichen. Der 26 Jahre alte Führungsspieler unterschreibt bis 2025 beim deutschen Rekordmeister. "Er weiß, dass er beim FC Bayern die Chance hat, alle seine ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen. Das Paket, das wir ihm bieten können, ist für jeden internationalen Top-Spieler höchst attraktiv", sagte Vorstandschef Oliver Kahn. Die Geschichte eines Unersetzlichen.
Die rechte Seite, die mag er nicht

Joshua Kimmich sagt, was er denkt. Das ist manchmal ein wenig unangenehm. Etwa für Joachim Löw. Der fand ja schließlich, dass es eine prima Idee ist, den Spieler des FC Bayern im Nationalteam auf die rechte Außenbahn zu packen. Nun gab es dafür gute Argumente. Das stärkste war: Kimmich ist der beste Mann in Deutschland für diese Position. Da ist viel Wahres dran. Das Problem aber war, dass der 26-Jährige im zentralen Mittelfeld noch viel besser ist. Das fanden sehr viele Experten. Und der Spieler übrigens auch selbst. Auf rechts, so bekannte er, fühle er sich manchmal "auftragslos". Für Ruhe sorgte diese Aussage nicht. Sie befeuerte die ewige Positions-Debatte.
Diese dürfte nun aber verstummen. Denn Joachim Löw ist Geschichte. Sein Nachfolger ist Hansi Flick. Und der dürfte nur sehr wenige Gedanken daran verschwenden, Joshua Kimmich von seiner Herzens-Position zu verpflanzen. Denn niemand weiß besser, wie wichtig der gallige Antreiber im Zentrum ist. Schließlich hat Flick ihn während seiner Zeit als Trainer des FC Bayern an der Seite von Leon Goretzka zum mächtigsten Powerzentrum im europäischen Fußball geformt. Das Duo herrschte im Mittelfeld wie einst die legendären Xavi und Andres Iniesta beim FC Barcelona. Sie taten es aber auf eine ganz andere Weise. Weniger elegant und filigran, als vielmehr mächtig und erdrückend für den Gegner.
Kahn: "Der Joshua ist noch ehrgeiziger als ich"

Flick hatte in seiner ersten Saison als Chef in München eine Pressing- und Dominanzmannschaft auf den Rasen gestellt, die alle Titel abgriff. Mit einer Gier und einem Selbstverständnis, angeleitet von Kimmich als Herz und Hirn. Der nun 26-Jährige verband die Abwehr-Festung um Jérôme Boateng und David Alaba (beide haben den Club mittlerweile verlassen) mit den enthemmten Offensiv-Monstern um Thomas Müller, Serge Gnabry und Robert Lewandowski. Und weil Kimmich spielt, wie er spielt. Sicher am Ball, überragend in der Spielgestaltung, stark im Duell, klar in den Ansagen, unbezwingbar in der Mentalität, ist er der wichtigste Mann im Kader. Trotz eines Manuel Neuer im Tor, trotz eines Müller als freischaffendem Künstler in der Offensive und trotz des alles überragenden Lewandowski als derzeit bestem Stürmer der Welt. "Ich habe mal zum Spaß gesagt: Der Joshua ist noch ehrgeiziger als ich. Das will ja schon einiges heißen", befand Bayern-Chef und Ex-Titan Oliver Kahn. Das ist tatsächlich sehr richtig.
Diese Erkenntnis hatten sie beim Rekordmeister schon länger. Deswegen haben sie ihre Priorität auch auf die Gespräche mit Kimmich gelegt. Sein Vertrag, der ja eigentlich erst im Sommer 2023 ausgelaufen wäre, wurde bereits jetzt bis 2025 verlängert. Die Münchner haben aus den großen Problemen der Vergangenheit gelernt. Wichtige Personalien werden jetzt frühzeitig abgearbeitet. Wieder so ein Theater wie in den gescheiterten Verhandlungen mit David Alaba möchten sie nicht noch einmal erleben. Joshua Kimmich, der sagt, was er denkt, sagt nun: "Ich habe eine Mannschaft, mit der ich alles erreichen kann, und zudem sind viele Mitspieler zu richtigen Freunden geworden. Ich sehe mich noch nicht am Ende meiner Entwicklung und bin überzeugt, dass beim FC Bayern in den nächsten Jahren viel möglich ist. Zudem fühlt sich meine Familie hier sehr wohl."
Weckruf wie einst von Philipp Lahm

Es sind Sätze ohne jede Brisanz. Aufatmen. Denn auch in München hat sich Kimmich schon mal einen Rüffel für seine forsche Art eingefangen. Nach einem überraschend wackeligen 3:2 am 6. Spieltag der Saison 2019/20 bei Aufsteiger SC Paderborn hatte er gleich die ganze Saison kritisiert. "Man muss feststellen, dass wir es noch nicht geschafft haben, ein Spiel über 90 Minuten dominant zu bestreiten", schimpfte Kimmich. "Auch die letzten Spiele, die wir deutlich gewonnen haben, waren nicht in der Art und Weise, wie wir uns das vorstellen." Gerade das Spiel bei Ballbesitz macht den Nationalspieler wütend. "Wir schaffen es nicht immer, Dominanz durch sicheren Ballbesitz auszustrahlen und dadurch signalisieren wir dem Gegner immer wieder, dass etwas möglich ist." Der Trainer war übrigens Niko Kovac, der ein paar Wochen später freigestellt worden war, zu verunsichert trat der FC Bayern auf.
Es waren Sätze, die an Philipp Lahm erinnerten. An jenen Lahm, mit dem Kimmich immer wieder verglichen wurde. Wegen seiner Größe, wegen seiner Art, wegen seines Spiels, wegen seiner Position. Lahm hatte seinen Club (den FC Bayern), der im Herbst 2009 sportlich vor sich hindümpelte und von den unerwarteten Worten seines Eigengewächses in seinem Mia-san-mia-Verständnis erschüttert wurde, heftig angegangen. Ohne Absprache mit dem Verein hatte der damals 25-Jährige der "Süddeutschen Zeitung" ein Interview gegeben. Lahm urteilte, dass der FC Bayern keine Spielphilosophie habe, dass hinter den Transfers keine Idee zu erkennen sei und dass die ständigen Trainerwechsel (Hitzfeld, Klinsmann, Heynckes) das Team verunsicherten. Die "Zeit" kommentierte die provokanten Aussagen des braven und eloquenten Burschen als imageschärfend - für den Profi Lahm. Sein Verein empfand sie als imageschädigend für den Club und verurteilte seinen Profi zu einer saftigen Geldstrafe von 50.000 Euro, der höchsten der Clubgeschichte.
Mächtiger Rüffel von Rummenigge

So recht Kimmich vor zwei Jahren mit seinem Wutausbruch hatte, so deutlich wurde er von den Bossen in den Senkel gestellt: Der damalige Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte: "Wenn man kritisch ist, muss man auch die Flagge in die Hand nehmen und nach oben halten. Und dann müssen alle demjenigen hinterherrennen. Dann muss er auch große Leistung liefern. Den Anspruch muss er jetzt auch an sich selbst haben." Verantwortung übernehmen sei ja auch keine Sache des Alters. Es hätte diese Ansage nicht gebraucht, Kimmich ist der Typ Anführer. Er war es damals schon. Nicht umsonst gilt er sicher als kommender Kapitän beim Rekordmeister und in der Nationalmannschaft. Sobald Manuel Neuer abtritt, wobei das ja noch ein wenig dauern wird. Denn Neuer hat noch Lust.
Ebenso wie Thomas Müller. Und Robert Lewandowski. Allerdings ist bei dem Stürmer nicht ganz klar, ob er diese Lust zwingend mit dem FC Bayern verbindet oder nicht doch nochmal eine ganz andere Herausforderung angehen will. In München hat er schließlich alles erreicht. Nun, ungeachtet dessen haben die großen Stars im Team allesamt eine "3" beim Alter vorne stehen. Die nahe Zukunft können sie noch prägen, aber spätestens dann steht die neue Generation um Kimmich in der vollen Verantwortung. Und Kimmich, das ist der Boss. Unbestritten. Wie sehr er das Spiel des Rekordmeisters jetzt schon beherrscht, wurde deutlich, als er mal schwächelte.
Kimmich ist der Typ, der sich weigert zu verlieren

Zum Ende der vergangenen Saison war Kimmich von der Vielspielerei müde. Ganz besonders in den beiden Viertelfinal-Duellen der Champions League gegen Paris St. Germain. Als die Münchner den dominanten Kimmich gebraucht hätten, war er ausgelaugt. Verzweifelt rang er um Kontrolle und Dominanz. Er verlor diesen Kampf. Oft passiert das nicht, denn Kimmich ist der Typ, der sich weigert zu verlieren. Wie sehr ihn Niederlagen nerven, machte er nach dem bitteren EM-Knockout klar. Via Instagram bekannte er, wie "tief die Enttäuschung sitzt" und dass "es wirklich schwierig für mich ist, das Ganze zu verarbeiten." Er versicherte, dass er "zu jeder Zeit 100 Prozent daran geglaubt" habe, "dass wir das Turnier gewinnen können." So erfolgreich er mit dem FC Bayern ist, so bitter ist seine Bilanz mit der Nationalmannschaft. WM-Desaster 2018, Debakel in der Nations League und in diesem Sommer schließlich das Ausscheiden im Achtelfinale inklusive Ende der Ära Löw.
Kimmich will das ändern. Die nächste Chance gibt es Ende des nächsten Jahres. Bei der WM 2022 in Katar. Dann mit Bundestrainer Flick. Und im Zentrum des Teams. Dort wo er das Spiel beherrscht. (tno)