Bärendienst für „Me-Too“-Bewegung

Feministin klagt an: „Unheilvolle Entwicklung“ - Amber Heard-Urteil schadet nicht nur Frauen

01.06.2022, USA, Fairfax: Die Schauspielerin Amber Heard wartet vor der Verlesung des Urteils im Fairfax County Circuit Courthouse. Im Verleumdungsprozess zwischen Hollywood-Star Johnny Depp und seiner Ex-Ehefrau Amber Heard hat sich die Jury größtenteils auf die Seite von Depp gestellt - aber auch Heard in einigen Punkten recht gegeben. Foto: Evelyn Hockstein/Pool Reuters/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Welche Folgen hat das Heard-Urteil für Gewaltopfer? Eine Aktivistin ordnet die Auswirkungen ein.
deutsche presse agentur

„Jetzt wird Gewaltopfern noch seltener geglaubt“, sagt Feministin Stefanie Ponikau im RTL-Gespräch. Die stellvertretende Vorsitzende von „MIA“ (Mütterinitiative für Alleinerziehende) hat tagtäglich mit Gewaltopfern und ihren Familien zu tun. Auch diese Frauen hätten den Prozess rund um Amber Heard aufmerksam und mit Schrecken verfolgt. Nach sechs Wochen ist der Verleumdungsprozess zwischen Hollywood-Star Johnny Depp und seiner Ex-Ehefrau nun beendet. Die Jury hat sich größtenteils auf die Seite von Depp gestellt, aber auch Heard in einigen Punkten Recht gegeben. Feministin Stefanie Ponikau schildert im RTL-Gespräch, welche Folgen das Urteil für die „Me-Too“-Bewegung in Deutschland hat und warum der Prozess nicht nur Frauen schadet.
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Amber Heard-Urteil und die Folgen: „Frauen werden sich denken, wie soll es mir dann erst gehen“

„Das, was passiert ist, hat Amber Heard mit Sicherheit nicht beabsichtigt. Die Richterin, die das Urteil gesprochen hat, ist bekannt für solche Urteile. Die Machtverhältnisse waren klar, Johnny Depp ist einfach viel bekannter und hat eine große Fan-Gemeinschaft. Es ging bei diesem Prozess in der Öffentlichkeit nie um die Wahrheit“, sagt Stefanie Ponikau. „Wenn ich teilweise lese, dass „Amber Heard brennen soll“, frage ich mich schon, in welchem Jahrhundert wir leben“, so die Aktivistin.

Egal, was man vom Urteil halten würde, in der öffentlichen Beurteilung sei sehr viel Frauenhass dabei. Das alles sei ein echter Bärendienst für die Frauenbewegung und „Me-Too“. „Den Fall nicht mitzubekommen, war unmöglich. Viele Frauen, die tatsächlich Gewalt erlebt haben, werden sich denken: Wenn das schon einer Frau wie Amber Heard passiert, wie soll es mir dann vor Gericht erst gehen“, kritisiert die Feministin.

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Wegen Amber Heard-Urteil: „Frauen werden weniger Fälle von Vergewaltigung zur Anzeige bringen“

Die Berliner Frauenrechtsaktivistin bewertet die Außenwirkung des Heard-Falls dramatisch. Es sei wieder eine Stimmung aufgekommen, die Gewaltopfern seltener glaubt. Verheerend für die alltägliche Arbeit der Aktivistin.

„Schon jetzt ist bei Vergewaltigungsfällen bei Beamten wieder der Tenor der Mitschuld vorhanden. Frauen werden bei der Polizei wieder gefragt: Was hatten sie an?“, so Ponikau. Die Kultur der Mitschuld von Frauen könnte sich insgesamt wieder verfestigen, befürchtet die Aktivistin. „Es ist leider davon auszugehen, dass deswegen weniger Fälle von Vergewaltigung zur Anzeige gebracht werden“, betont die Feministin.

Stefanie Ponikau
Stefanie Ponikau ist die Vorsitzende von MIA, der Mütterinitiative für Alleinerziehende.
MIA

Feministin: Wenn Frauen nicht geglaubt wird, sind auch ihre Kinder in Gefahr

Hinzu kommen laut des Berliner Vereins fatale Auswirkungen auf die Kinder von Familien, die von Gewalt betroffen sind. „Wir sehen hier eine unheilvolle Entwicklung. Wenn Gewaltopfern noch seltener geglaubt wird, sind auch Kinder häufiger gefährdet“, so Ponikau. In ihrer alltäglichen Arbeit hat der Verein „MIA“ immer wieder mit Frauen zu tun, die vor dem Familiengericht um ihre Kinder kämpfen. Oft sei ein Gewalthintergrund bei Vätern vorhanden, der leider in den Gerichten nicht immer ernst genug genommen werde.

„Auch diese Entwicklung könnte sich verschlimmern. Dann werden die Kinder wieder den Gewalttätern zugeführt. Das gilt es unbedingt zu verhindern“, warnt die Aktivistin. Umso wichtiger sei Aufklärungsarbeit und Frauen zu glauben. Denn: Die Falschbeschuldigungsquote sei minimal, gerade bei sexueller Gewalt. Sie liege im einstelligen Prozent-Bereich, so die Aktivistin abschließend.

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