Patient oder Geldmaschine?

Deutsche Ärzte fordern: Stellt endlich den Menschen vor den Profit!

Ältere Frau weint vor Arzt im Krankenhaus
Profitgier vor dem Wohl des Patienten: Laut dem Ärzte-Appell eher die Regel als die Ausnahme.
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Petition soll krankes Gesundheitssystem verändern

Wer selbst schon im Krankenhaus lag, kennt es mit Sicherheit: das Gefühl, eher eine Nummer zu sein als ein Mensch. Das Pflegepersonal rotiert zwischen viel zu vielen Patienten, Ärzte bekommt man nur selten zu Gesicht – und dann höchstens wenige Minuten. Zeit für einfühlsame, aufklärende Gespräche? Fehlanzeige.

Doch Schuld daran ist nicht der Mangel an Interesse, sondern ein Gesundheitssystem, dass wirtschaftliche Interessen vor das Schicksal der Menschen stellt: Im Vordergrund steht nicht mehr die Frage, wie dem Patienten möglichst schnell und gut geholfen werden kann, sondern wie viel Geld er der Klinik bringt. Tausende Ärzte in Deutschland wollen sich diesem fatalen Druck nicht mehr beugen und fordern jetzt mit dem Ärzte-Appell der Zeitschrift „Stern“ eine radikale Reform. In der zugehörigen Petition "Mensch vor Profit" können auch Sie Ihre Stimme geltend machen.

Abrechnung nach Fallpauschalen hat fatale Folgen

Deutschlands Gesundheitssystem ist eines der teuersten und fortschrittlichsten der Welt – und doch geprägt von Missständen, die jetzt Hunderte Ärzte, Klinikdirektoren und Ethiker sowie Zehntausende Bürger auf die Barrikaden rufen. Der Grund: Die Abrechnung nach sogenannten Fallpauschalen. Diagnosen werden in Fallgruppen gruppiert und pauschal vergütet – und je höher der Aufwand dabei ist, desto mehr Geld bringt das der Klinik. Das hat fatale Folgen, denn viel zu oft ist es nicht das Ziel, den Patienten möglichst schnell wieder gesund zu bekommen, sondern so viele Behandlungen wie möglich an ihm durchzuführen.

Zeit ist Geld – aber um welchen Preis?

Zu oft sind diese Behandlungen nicht notwendig und sorgen für unnötige Qualen. So berichtet der „Stern“ etwa von einem Patienten, der wegen Harnsteinen zwei Monate lang eine schmerzhafte Schiene im Harnleiter tragen musste – obwohl das nur zwei Wochen nötig gewesen wäre. Denn ab Tag 31 gab es für seinen Fall 1.400 Euro mehr.

Auch das Leben todkranker Menschen wird auf diese Weise unnötig in die Länge gezogen. Besonders lukrativ ist dabei die künstliche Beatmung: Sie bringt laut dem Palliativmediziner Matthias Thöns bei Schwerkranken für einen Tag 25.495 Euro ein, für vier Tage 58.215 Euro. Die 71-jährige Krebspatientin Angela S. (Name geändert) wurde so über vier Monate am Leben gehalten, musste noch elf Operationen über sich ergehen lassen – obwohl ihr bevollmächtigter Sohn gefordert hatte, alle lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen.

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Fließbandarbeit statt Sorgfalt

Wie der Medizinethiker Giovanni Maio kritisiert, würden Ärzte bereits in den Notaufnahmen Patienten nicht nur danach einordnen, was für eine medizinische Behandlung sie benötigen, sondern auch danach, wie viel Gewinn in ihnen steckt. Weitverbreitete Bonusverträge versprechen laut der Stern-Reportage vor allem leitenden Ärzten umso höhere Sonderzahlungen, je mehr lukrative Fälle sie heranschaffen. Liefern Chefärzte nicht, werden Stellen gestrichen – und das Team denkt darüber nach, wie es mehr Gewinn erzielen kann, um nicht noch mehr arbeiten zu müssen. Auf diese Weise würden die Ärzte laut Maio „ideell verformt“.

„Seid blind, taub und stumm“

Auch Oberärztin Silvia Sieker sieht das so: „Man kann auch heute noch in Krankenhäusern problemlos sein Brot verdienen, aber nur unter drei Grundvoraussetzungen: Seid blind, taub und stumm", erklärt sie im „Stern“. 2018 verlor Sieker ihre Stelle am Klinikum Bayreuth, weil sie öffentlich auf Probleme mit falschen Diagnosen und Therapien in der Kinderneurologie hingewiesen hatte. In einer anonymen Befragung, die der Bremer Ethiker und Arzt Karl-Heinz Wehkamp mit Dutzenden Ärzten und Klinik-Geschäftsführern in ganz Deutschland durchführte, gab die Mehrheit zu: Wir haben bereits ohne echte Notwendigkeit Patienten aufgenommen und Operationen durchgeführt, um mehr Fälle zu bekommen.

Petition: Mensch statt Profit

Petition Mensch vor Profit
Die Petition "Mensch vor Profit" kämpft dafür, dass das Wohl des Patients immer oberste Priorität hat.
change.org/Mensch vor Profit

So kann und darf es nicht weitergehen – dafür haben sich inzwischen über 1.500 Ärzte, 52 Gesundheitsorganisationen und rund 52.000 weitere Unterstützer mit ihrer Stimme stark gemacht. Die Petition „Mensch vor Profit“ fordert eine radikale Veränderung des Gesundheitssystems: ein Ende unnötiger Behandlungen, die Abschaffung des Abrechnungssystems nach Fallpauschalen und einen hohen Versorgungsstandard überall in Deutschland – auch für Patienten mit chronischen oder seltenen Krankheiten, die wenig Gewinn versprechen. Das Ziel: ein faires System, das frei von Profitgier ist und in dem die Gesundheit des Menschen immer oberste Priorität hat.

Wenn auch Sie sich für einen grundlegenden Wandel stark machen wollen, können Sie die Petition hier unterzeichnen.