„Fanal” gibt es nur als CD oder LPGothic-Legenden von „Das Ich” über ihr neues Album, KI und Selbstzweifel

Das Ich treten live zu dritt auf. Neben Bruno und Stefan ist dann auch Sven Hegewald mit dabei.
„Das Ich” treten live zu dritt auf. Neben Bruno (r.) und Stefan (l.) ist dann auch Sven Hegewald mit dabei.
Patrick Burkhardt

Dass es dieses Album gibt, grenzt an ein Wunder.

Schon vor vielen Jahren wollten Bruno Kramm und Stefan Ackermann mit ihrer Band „Das Ich” neue Songs präsentieren. Doch alles kam anders als geplant. Sänger Stefan brach zusammen, Hirnaneurysma - Koma. Die Musik rückte in den Hintergrund. Jetzt meldet sich die Band, die in der Schwarzen Szene als Held gefeiert wird, nach 15 Jahren mit dem Album „Fanal” zurück. Was dieses Leuchtfeuer für sie bedeutet, erzählten die beiden im Interview mit RTL.

Am 31. Oktober ist Euer neues Album Fanal erschienen. Wie fühlt es sich an, nach 15 Jahren Veröffentlichungspause wieder einem Release-Datum entgegenzufiebern?
Bruno: Ein unbeschreibliches Gefühl, denn für uns hat sich diese Zeit natürlich auch sehr lange angefühlt. 15 Jahre sind wirklich lang und als wir an den neuen Tracks gearbeitet haben, war die Angst schon sehr groß, dass ein neues Album nie fertig werden wird. Zumal ja auch einige Leute bezweifelt haben, dass wir das noch in diesem Leben hinbekommen.

Was macht das Album zu einem Fanal?
Stefan: Das Fanal als solches hat ja verschiedene Funktionen. Einmal ein warnendes Zeichen, zum Beispiel für einen Wechsel, für ein drohendes Unheil, für einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft und gleichzeitig ein Leuchtfeuer, um bestimmte Gefahren zu umschiffen. Unser Fanal, unsere Fackel, ist ganz bewusst aus Holz, sehr primitiv gewunden, nichts Modernes. Ganz im Sinne des Spruchs von Albert Einstein, dass er nicht wüsste, mit welchen Waffen im dritten Weltkrieg gekämpft wird, aber im vierten dann wieder mit Holzkeulen.

Bruno: Wir haben uns ganz bewusst auf historische Figuren bezogen und damit jeweils gesellschaftliche Kipppunkte dargestellt. Alle haben etwas mit der modernen Gesellschaft zu tun, die scheinbar an einem Wendepunkt angelangt ist. Ich erinnere mich zu gut an meine Jugendzeit. In dieser Zeit hatte man das Gefühl, als würde sich gesellschaftlich, ja, weltpolitisch alles Jahr für Jahr bessern. Mittlerweile sind wir in einem Zeitalter angekommen, in dem sich scheinbar alles zum Schlechten verkehrt, egal ob es um Kriege, gesellschaftliche Probleme, das Auseinanderbrechen der Gesellschaften im Westen, Umweltkatastrophen oder um vieles mehr handelt. Wir haben versucht, das thematisch jeweils mit Protagonisten oder Antagonisten historischer Herkunft zu verbinden, egal ob das Brutus ist, wo es um das Fanal der Lüge und den Machtmissbrauch geht, oder ob es um Dantes Hölle geht, in der soziale Medien und das Auseinanderbrechen der Gesellschaft behandelt wird. So ist jeder Song für sich ein Fanal.

Im August erschien die Single „Lazarus”.
Im August erschien die Single „Lazarus”.
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Euer Album wird nicht digital, sondern ausschließlich als CD und Schallplatte erscheinen. Warum habt Ihr euch dafür entschieden?
Bruno: Wir wollen ein Stückchen weit auch Kollegen animieren, sich zu überlegen, ob Firmen wie Spotify in Zukunft nicht nur noch für Werbeaspekte genutzt werden. Das heißt, ein, zwei Songs darauf veröffentlichen, aber jemand, der das ganze Album hören möchte, soll sich das Album dann lieber beim Künstler besorgen. Wir sprechen natürlich leicht aus einer Position einer bekannten Band, aber ich denke, als Künstler dürfen wir uns nicht alles gefallen lassen. Ein Konzern wie Spotify, der nicht nur Künstler mit mikroskopischen Beträgen bezahlt und den Großteil einstreicht, um ihn dann wie der Gründer von Spotify in Militär- und Rüstungstechnologie zu investieren, das müssen wir uns nicht gefallen lassen. Natürlich gibt es auch einige faire Portale und wir werden nach einer gewissen Verkaufszeit auch unser Album dort veröffentlichen, aber zuerst einmal nur physisch auf CD, Vinyl und Musikkassette.

Die erste Singleauskopplung „Lazarus“ ist am 15. August offiziell erschienen und wurde von den Kritikern gefeiert. Dabei war der Song für Euch gar nicht neu – Ihr habt ihn in den vergangenen Jahren schon live gespielt. Was macht das Lied für Euch zur perfekten ersten Single?
Stefan: Dieser Song ist, gerade weil er der älteste ist, ein perfektes Bindeglied der Vergangenheit, wie dem Album „Cabaret” oder „Kannibale” zum neuen Album. Da viele Menschen diesen Song auch von unseren Konzerten kennen, dachten wir uns, es wäre sinnvoll, zuerst mit etwas zurück ins Rampenlicht zu kommen, das die Menschen als vertraut empfinden. Jetzt nach dem Erfolg der zweiten Single „Brutus” hätte man natürlich auch einen anderen Song nehmen können, aber irgendwie musst du dich ja immer entscheiden.

Das neue Album „Fanal” erscheint am 31. Oktober.
Das neue Album „Fanal” erscheint an Halloween auf CD, Schallplatte und Kassette.
Patrick Burkhardt

2008 habt Ihr Eure letzte EP „Kannibale“ herausgebracht. Eigentlich habt ihr danach schon an neuer Musik gearbeitet, aber dann musstet ihr einen schweren Schlag hinnehmen: Stefan brach zusammen, lag im Koma. Wie war es für Euch vor diesem Hintergrund, jetzt wieder gemeinsam auf ein neues Album hinzuarbeiten und im Studio zu stehen?
Stefan: Einerseits ist das Gefühl, wieder Aufnahmen machen zu können, unglaublich vertraut. Andererseits ist es natürlich ein großartiges Geschenk, nach dieser langen Zeit wieder auf Bühnen stehen zu dürfen. Bruno hat mir unglaublich lange geholfen, mit viel Geduld und Kraft all das wieder zu erlernen, was mich als Mensch ausgezeichnet hat. Denn ich musste wirklich nach dem Schlaganfall von Null anfangen. So ist natürlich unser Comeback auch ein Symbol für unsere Freundschaft, die immerwährend ist und ohne die es „Das Ich” niemals geben würde.

Bruno: Natürlich entstehen in solch einer Zeit auch Selbstzweifel, ob man überhaupt noch das „Das Ich” ist in der Form, wie es die Menschen in Erinnerung haben. Aber letztendlich haben wir längst feststellen dürfen, dass unsere Band als lebendes Wesen eine Biografie hat, so wie ein Mensch und der Wandel Teil des Ganzen ist. Ich glaube, dem neuen Album kann man anhören, dass es einerseits modern klingt und neue Elemente in den alten Klangkosmos einbringt und andererseits originär ein reines und wahrhaftiges, „Das Ich”-Album ist.

Wie hat sich Eure Musik im Vergleich zu früher verändert und was daran wird sich nie ändern?
Bruno: Es sind natürlich viele neue Elemente hinzugekommen, zum Beispiel weniger digitale Surrogate klassischer Instrumente. Zum Beispiel sind ein Großteil der Streichinstrumente mit echten Instrumenten eingespielt worden, anstelle Samples zu verwenden und natürlich neigt man dazu, je älter man wird, ausschweifender zu erzählen. Das heißt wir mussten uns natürlich doch auch manchmal ein wenig beschränken, um trotzdem noch klassische Songstrukturen zu benutzen. Letztendlich hat es uns aber geholfen, immer wieder in Selbstreflexion den Wunsch Neues zu schaffen, mit dem Wunsch ein konsistentes „Das Ich”-Album zu schreiben eine Balance entwickelt hat, die dem Album nicht nur gut tut, sondern auch eine innere Spannung erzeugt, die ich glaube, man dem Album sehr anhören kann.

Bruno Kramm ist Musiker und KI-Experte.
Bruno Kramm ist Musiker und KI-Experte.
Patrick Burkhardt

Bruno, Du bist auch KI-Experte. Wie kann künstliche Intelligenz Euch als Musiker helfen?
Bruno: Zu dieser Technologie habe ich eine wirkliche Hassliebe. Einerseits natürlich rein technologisch eine tiefe Faszination für all das, was mittels KI machbar ist. Andererseits die Angst, dass unsere Gesellschaft nicht darauf vorbereitet ist, all die Verdrängungsprozesse, die durch KI entstehen, in den Griff zu bekommen. Ich finde es auch sehr traurig, dass momentan vor allem damit experimentiert wird, den schöpferischen Prozess mittels KI zu ersetzen. Gerade dieser Teil des Menschseins ist ja einer der schönsten Bereiche - warum diese Art der Arbeit durch KI ersetzen? Warum ersetzt man nicht Arbeiten, die uns Menschen weniger Spaß machen? Nichtsdestotrotz benutzen wir als Musiker selber KI in vielen technologischen Prozessen, zum Beispiel wenn es um Einstellungen von Filtern, Kompressoren und viel mehr geht. Ich finde KI auch interessant, weil sie es Menschen ermöglicht, ein Instrument zu erlernen, auch wenn sie sich sonst keinen Musikunterricht leisten könnten. KI hat wirklich zwei Seiten, wie fast alles. Und wir müssen als Gesellschaft gemeinsam herausarbeiten, was wir möchten und was nicht. Und ich glaube, wir Musiker und alle Künstler können hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen. Der letzte Song des Albums, der Ghosttrack „Genesis” befasst sich auch genau damit, wenn wir aus der Perspektive der KI die Schöpfungsgeschichte nachbilden.

Mittlerweile seht Ihr auch auf der Bühne etwas anders aus als früher. Lange kannte man Dich, Bruno, mit aus Haaren geformten Hörnern und Dich, Stefan, komplett rot bemalt. Warum habt ihr Euren Look geändert?
Stefan: Wir sind zu den starken Kontrasten zurückgekommen, da wir uns – wie in der Vergangenheit – wieder viel stärker als eine Band verstehen, die Theater und Musik verbindet. Unsere Ausflüge in eher elektrorockige Gefilde haben Spaß gemacht, aber momentan ist uns dieser theatralische Aspekt sehr wichtig.

Bruno: In der Vergangenheit haben wir mit jedem Album versucht, visuell Akzente zu setzen. Da es aber jetzt 15 Jahre kein Album gab, ist es natürlich naheliegend, dass wir uns jetzt visuell einmal wieder ein Update verpasst haben.

Welche Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Stefan: Zuerst spielen wir jetzt Konzerte in Deutschland und Europa. Wir freuen uns auch auf die Festival-Saison im Jahr 2026 mit vielen großen Festivals. Spannend wird aber auch wieder das Touren in Ländern wie den USA und Südamerika. All das ist für 2026 geplant. Wir können es kaum erwarten, hier die alten Gesichter von früher wieder zu sehen.

Bruno: Und ganz sicher wird die Wartezeit zum nächsten Album nicht zu lange dauern. Wir haben bereits zwei, drei Songs, die für das nächste Album vorbereitet sind und werden kontinuierlich weiterarbeiten. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass es nicht nur Stefans Krankheit war, die uns lange gebremst hat, sondern da war ja auch noch diese Corona-Zeit dazwischen, was alles noch mehr verlängert hat. Jetzt hoffen wir natürlich, dass wieder die Bahn frei ist für Konzerte und neue Alben und all die spannenden Erlebnisse, die uns als Band inspirieren.