Jennifer Kaddatz will Wohlbefinden stärkenBody Suspension – mit Haken unter der Haut zur Selbstfindung

Jennifer Kaddatz (27) hängt in der Luft - fixiert mit Haken unter ihrer Haut
Jennifer Kaddatz (27) hängt in der Luft - fixiert mit Haken unter ihrer Haut
RTL WEST

Eine 27-Jährige aus Köln hängt für ihr Wohlbefinden buchstäblich am Haken – und ist damit nicht allein. Body Suspension heißt ihre Leidenschaft.

Body Suspension als Lebensstil

Zwei silberne Haken, vier Millimeter dick, durchstoßen die Haut direkt unterhalb der Schulterblätter. Seile, befestigt an einem Flaschenzug, spannen sich. Sekunden später hebt sich der Körper von Jennifer Kaddatz langsam in die Luft. Freischwebend. Nur gehalten von ihrer Haut. Was für Außenstehende aussieht wie eine Szene aus einem Horrorfilm, ist für Jennifer Routine – und Teil eines Lebensstils: Body Suspension. Die 27-Jährige hängt mit ihrem Körpergewicht an Haken, die unter die Haut gestochen werden. Schmerzhaft? Für sie nicht. „Es ist wie ein Piercing – nur größer”, sagt sie.

Martin Kraus (45) und Jennifer Kaddatz (27)
Martin Kraus (45) und Jennifer Kaddatz (27)
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Mit dabei auch ihr Partner Martin Kraus, 45 Jahre alt, Hygienebeauftragter, Sterilgutbeauftragter und Desinfektor. Seit Jahren begleitet er sie bei ihren Suspensionen, hat selbst schon mehr als 500 Menschen in die Luft gebracht – immer sicher, wie er betont: „Wenn etwas schiefgeht, weiß ich genau, was zu tun ist.”

Zwischen Selbstfindung und Körperkunst

Suspension habe für Jennifer nichts sexuelles, sondern sei eine Form des Körperbewusstseins. „In einer Zeit, in der ich mich leer fühlte, habe ich durch das Hängen wieder Zugang zu meinem Körper gefunden“, sagt Jennifer. Es sei ein Akt des Fühlens, des Aushaltens – und letztlich: des Über-sich-Hinauswachsens. Mit dabei: Freund und Unterstützer Martin Karmann. Gemeinsam bilden sie ein eingeschworenes Suspension-Team. Auch bei Shows treten sie auf.

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Der Weg zum Abheben

Bevor Jennifer abhebt, ist einiges zu tun: An einem abgelegenen Ort am Rhein bauen sie ein Zelt auf, in dem sie sich konzentrieren und vorbereiten kann. Dann sticht Martin Kraus mit einer sterilen Nadel die Haken – gezielt durch die oberen Hautschichten, zwischen Haut und Fettgewebe. Das Gewebe sei an diesen Stellen besonders belastbar. Blut fließt kaum. Nach dem Einhängen folgt der sogenannte „Lift-Off“ – der Moment, in dem sich der Körper vom Boden löst. „Dieser Übergang ist der schwierigste Teil“, sagt Kraus. Die Haut beginnt zu tragen, der Körper schwebt. Etwa 20 Minuten bleibt Jennifer in der Luft. „Ich bin danach total erschöpft, aber auch erfüllt“, erzählt sie.

Was sagt die Wissenschaft?

Dr. Mark Benecke zu Sonja Engelbrecht
Mark Benecke im Interview (Archiv)
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Mark Benecke, Kriminalbiologe und selbst Träger diverser Piercings, kann beruhigen: „Die Haut ist extrem belastbar. Wenn man die anatomischen Spaltlinien beachtet, reißt sie auch unter Zug nicht einfach auf.“ Er spricht von ovalen Öffnungen, die sich beim Stechen automatisch formen – und sich später wieder schließen. Natürlich nur unter professionellen Bedingungen.

Formen und Varianten der Suspension

Body Suspension ist eine eigenständige Form der Body Modification – also körperlicher Veränderung – und umfasst zahlreiche Varianten:

  • Suicide Suspension: Haken in den oberen Rücken; meistgewählt, auch von Einsteigern

  • Chest Suspension: Haken in der Brust – besonders intensiv

  • Lotus oder Superman Suspension: Der Körper hängt waagerecht, wahlweise auf dem Rücken oder Bauch

  • Knee Suspension: Die Person hängt kopfüber – belastend, aber eindrucksvoll.

Jede Variante fordert Körper und Psyche auf unterschiedliche Weise. Wichtig sind immer anatomisches Wissen, sterile Werkzeuge – und klare Kommunikation.

Zwischen Ritual und Risiko

Ursprünglich stammen Suspension-Rituale aus indigenen Kulturen, wie etwa dem O-Kee-Pa-Ritual der Mandan-Indianer. Diese distanzieren sich jedoch von der heutigen, oft zur Selbstverwirklichung praktizierten Version westlicher Subkulturen. Risiken bestehen dennoch: Von Kreislaufproblemen über Infektionen bis hin zu Geweberissen. Auch psychisch ist eine Suspension nicht zu unterschätzen – weshalb Aufklärung und mentale Vorbereitung essenziell sind.

„Es ist mein Sport“

Für Jennifer ist das Hängen am Haken längst mehr als ein Trend: „Es ist mein Sport – körperlich fordernd, mental reinigend.“ Schmerz sei dabei kein Feind, sondern ein Wegweiser. „Man spürt sich wieder“, sagt sie. Und während sie ihre letzten Schritte im Zelt macht, den Blick auf die Haken gerichtet, wird klar: Für manche beginnt wahre Freiheit dort, wo andere längst loslassen würden.