"Hätte Neuer den gehalten"

Die verquere Debatte um Yann Sommers "fehlende Zentimeter"

UEFA Champions League Quarter-Finals 1st Leg Manchester City v Bayern Munich Yann Sommer 27 of Bayern Munich is beaten by a shot from Rodri 16 of Manchester City during the UEFA Champions League Quarter-Finals 1st Leg Manchester City vs Bayern Munich at Etihad Stadium, Manchester, United Kingdom, 11th April 2023 Photo by Conor Molloy/News Images Copyright: xConorxMolloy/NewsxImagesx
Yann Sommer streckte sich beim 0:1 in Manchester vergebens
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von Chris Rohdenburg

Als Yann Sommer im Winter zum FC Bayern geholt wurde, sollte der Torwart eigentlich das Fehlen von Manuel Neuer nach dessen schwerem Ski-Unfall vergessen machen. Doch so richtig gelang das dem Schweizer Keeper bislang nicht. Doch wie viel Schuld trägt Sommer selbst eigentlich an seiner derzeit schwierigen Lage?

Sommer "heillos überfordert" - wirklich?

"Hätte Neuer den gehalten?": Diese Frage schwebt bereits seit seinem ersten Spiel für den FC Bayern über Yann Sommer.

Acht Millionen Euro überwiesen die FCB-Verantwortlichen im Januar nach Gladbach, um einen der besten Bundesliga-Keeper der letzten Spielzeiten nach München zu holen. Rund achteinhalb Jahre war der Schweizer zuvor für die Borussia aktiv gewesen, Zeit genug eigentlich, um sich über dessen Stärken und Schwächen - oder genauer: Schwachpunkte - bewusst zu sein.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Bayern-Verantwortlichen um den früheren Torwart und heutigen Vorstand Oliver Kahn sich zuletzt nicht schützend vor Sommer stellten. Als er nach einem Sonntagsschuss von Rodri bei der Hinspiel-Niederlage in der Champions League im Viertelfinale gegen Manchester City (0:3) nicht mehr an den Ball kam, stand er plötzlich im Kreuzfeuer der Kritik.

Allen voran TV-Experte Dietmar Hamann feuerte aus allen Rohren. Sommer sei "heillos überfordert" gewesen, habe "die Mannschaft maßgeblich verunsichert". Dabei hatte Sommer mit zahlreichen starken Paraden eine noch höhere Pleite verhindert (sport.de-Note 2,5). Doch da war das Kind bereits in den Brunnen gefallen.

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"Wenn Yann Sommer 30 Zentimeter größer wäre, ..."

Während eine intensive Debatte um "fehlende Zentimeter" beim 1,83 Meter großen Keeper entbrannte, nahm von offizieller Seite lediglich Trainer Thomas Tuchel Position für den 34-Jährigen ein. "Wenn Yann Sommer 30 Zentimeter größer wäre und vorher schon in der Ecke gestanden hätte, hätte er den Ball gehalten", teilte Tuchel mit einer dicken Prise Ironie mit.

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Sommers Größe kein Geheimnis

Vorstandsboss Kahn, früher selbst Keeper und ebenfalls "nur" 188 Zentimeter groß, schwieg. Ganz anders noch Mitte Februar, als Sommer mit starken Paraden gegen Paris Saint-Germain zum Viertelfinaleinzug beitrug. "Das zeichnet einen Torwart bei Bayern München aus, dass du nicht so viel zu tun bekommst, aber wenn du gebraucht wirst, da bist", lobte Kahn damals. Sportchef Hasan Salihamidzic bescheinigte dem Schweizer damals immerhin, dass er "Ruhe ausstrahlt".

In der Tat scheinen Sommer in einigen Situationen zuletzt die berühmten Zentimeter gefehlt zu haben. Sowohl Rodris von Leon Goretzka als "Traumtor" bezeichneter Treffer als auch der Freistoß von Andrej Kramaric am letzten Wochenende zum 1:1-Ausgleich der Hoffenheimer wären für einen zehn Zentimeter größeren Torwart - wie Manuel Neuer es ist - wohl zu verhindern gewesen. Doch die Realität ist eben eine andere - und Sommers Größe war noch nie ein Geheimnis.

Daten zeigen, dass der 34-Jährige schon zu Gladbacher Zeiten trotz seiner starken Reflexe und respektabler Sprungkraft den ein oder anderen Einschlag mit ein wenig Größen-Plus hätte verhindern können. Während Neuer laut Sport1 in seiner Bundesliga-Zeit bei Schalke und Bayern lediglich bei 46 Gegentoren (478 Spiele) noch mit der Hand am Ball war, sind es bei Sommer ganze 69 Male in 285 Partien für Gladbach und die Münchner. Ein klarer Fingerzeig, dass wohl mehr drin gewesen wäre.

Sommer gegen City mit starker Leistung

Dennoch: Das Hinspiel gegen Manchester City zeigte auch eindrücklich, dass Sommer genau jene Aufgaben mit Bravour meisterte, für die man ihn auch am Niederrhein schon schätzte: schnelle Reaktion auf kurze Distanz, hohe Beweglichkeit auf der Linie und Sicherheit mit dem Ball am Fuß.

Zudem war der 34-Jährige in einer zuletzt gleich an mehreren Brennpunkten kriselnden Bayern-Mannschaft - dazu noch als Neuling im Kader - keinesfalls ein Unruhefaktor, wie von Hamann behauptet. Beim Fachmagazin "kicker" heimste Sommer durchgehend solide bis gute Noten ein.

Die Statistik der abgewehrten Großchancen (31 Prozent bei Gladbach, 13 Prozent bei Bayern) zeigt im Halbserien-Vergleich aber auch, dass noch Luft nach oben besteht. Dies ist teils jedoch auch dem Umstand geschuldet, dass sich die Bayern-Abwehr löchrig zeigte.

In der Diskussion um die Frage, ob Neuer eines der jüngsten Gegentore gehalten hätte, wurde zuletzt zudem vergessen, dass der langjährige Stammkeeper vor seiner Verletzung (ebenfalls) nicht immer auf der Höhe war und eine unterdurchschnittliche WM spielte. In der traditionellen "kicker"-Rangliste der Torhüter war Neuer in den letzten Zyklen von der Kategorie "Weltklasse" auf "Internationale Klasse" heruntergestuft worden. Im Winter 2022/23 wackelte gar dieser Platz mächtig.

"Ich kann mich erinnern, dass vor gar nicht langer Zeit auch Manuel Neuer kritisiert wurde. Es hieß, er sei nicht mehr der Alte und lasse zu viele Bälle rein. Ich finde es nicht fair, Yann Sommer so zu kritisieren", betonte passend dazu Ex-Nationalspieler Torsten Frings bei ran.de.

Hamann rudert a bisserl zurück

Müßig also die Frage, ob Neuer wohl zur Stelle gewesen wäre. Chef-Kritiker Hamann ruderte unterdessen ein wenig zurück. "Wenn ich der Meinung wäre, dass der Sommer die nicht halten kann, dann würde ich ihn nicht kritisieren. Das ist doch etwas Positives. Ich denke, dass er es besser machen könnte", sagte Hamann bei den Kollegen von ntv.de.

Die nächste Chance dazu hat Sommer bereits am Mittwochabend im Rückspiel gegen ManCity (21 Uhr im RTL-Live-Ticker). Mit starken Paraden könnte er die Münchner einen deutlichen Schritt näher an das erhoffte Wunder bringen.

Um Schüsse wie den von Rodri zu halten, müsste der Schweizer aber wohl mehr als nur sprichwörtlich über sich hinauswachsen.

Quelle: sport.de