Frankreich vs. Marokko

Warum dieses WM-Halbfinale so brisant ist

In der Bundesliga würde man von einem Hochrisikospiel sprechen, doch auch auf die WM ist dieser Begriff natürlich übertragbar: Wenn am heutigen Abend Frankreich und Marokko im zweiten Halbfinale aufeinander treffen, sind sowohl die sportliche Brisanz als auch das Eskalationspotenzial bei den Fans enorm. So wappnet sich die Pariser Polizei mit 2.000 Einsatzkräften für eine heiße Nacht. Die Ereignisse der vergangenen Wochen versetzen gleich mehrere Hauptstädte in Alarmbereitschaft.

Polizei in Alarmbereitschaft

Trainer Walid Regragui erblickte in Corbeil-Essonnes am Ufer der Seine das Licht der Welt. Sein Kapitän Romain Saiss und Flügelflitzer Sofiane Boufal haben ebenfalls einen französischen Geburtsort in ihrem Pass stehen. Nur zwölf Spieler des Sensations-Halbfinalisten stammen ursprünglich aus Marokko. Abdelhamid Sabiri spielte sogar in der deutschen U21-Auswahl. Doch vor dem WM-Halbfinale gegen Frankreich am Mittwoch (20 Uhr, im ZDF, bei MagentaTV und im RTL.de-Liveticker) könnte der Nationalstolz größer nicht sein.

„Niemand kann meinem Land mein Herz nehmen. Jeder Marokkaner ist ein Marokkaner“, bekannte Regragui, der aber auch betonte, dass es für ihn „eine Ehre“ sei, in Frankreich geboren zu sein. So entspannt wie der 47-Jährige geht nicht jeder mit der Situation um. Vor dem Duell im Al-Bayt-Stadion in Al-Khor ist die Polizei in Paris in erhöhter Alarmbereitschaft. Rund 2.000 Polizistinnen und Polizisten sollen Ausschreitungen zwischen den Fanlagern verhindern.

Gewalt-Exzesse bereits in vielen Städten

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Nach ihren Siegen im Viertelfinale feierten französische und marokkanische Anhänger zwar auch gemeinsam auf den Straßen, doch es gab auch reichlich Randale und Zerstörung. Im Großraum Paris wurden mehr als 100 Fans der Nordafrikaner wegen Sachbeschädigungen und Gewalt gegen Ordnungskräfte festgenommen. Auch in anderen europäischen Städten, wie etwa Mailand, Brüssel oder Amsterdam, gab es teils unschöne Szenen. „Das sollte nicht passieren. Fußball sollte ein Fest sein“, sagte Regragui in Doha.

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Doch das erste Fußball-Pflichtspiel beider Nationen birgt halt nicht nur sportliche Brisanz. 1912 verlor Marokko durch den vom Sultan unterzeichneten Protektoratsvertrag mit Frankreich seine Unabhängigkeit, die das Land 44 Jahre später zurückerlangte. Französisch wurde die offizielle Sprache in allen Verwaltungsstrukturen und politischen Instanzen, die Abneigung in der Bevölkerung gegen die Kolonialmacht war groß. Auch in Frankreich gab und gibt es Vorbehalte. Die rechtsnationale Partei Rassemblement National (RN) sammelte fleißig Wählerstimmen, indem sie Ressentiments gegen Menschen mit nordafrikanischen Wurzeln schürte.

Davon wollen die WM-Halbfinalisten nichts wissen. „Es ist ein Fußballspiel, auch wenn es eine Geschichte zwischen unseren beiden Ländern gibt“, sagte Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps. Superstar Kylian Mbappe und der Marokkaner Achraf Hakimi spielen bei Paris St. Germain - sie sind befreundet. Und Regragui machte klar: „Wenn wir es nicht schaffen, werden wir Frankreich gratulieren und im Finale unterstützen.“ (ntv.de, tno, sid, mli)