Sogar Grönemeyer "feiert" mit

Das Corona-Wunder des VfL Bochum

REIS Thomas Trainer Team VfL Bochum Jubelt nach dem Sieg seiner Mannschaft und der Deutschen Meisterschaft der 2. Fussball Bundesliga 2021 2.Bundesliga Saison 2020-2021 Spiel VfL Bochum - SV Sandhausen 3 : 1 am 23. Mai 2021 in Bochum DFL REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS as IMAGE SEQUENCES and/or QUASI-VIDEO *** REIS Thomas Trainer Team VfL Bochum Cheers after the victory of his team and the German Championship of the 2 Football Bundesliga 2021 2 Bundesliga Season 2020 2021 Match VfL Bochum SV Sandhausen 3 1 on 23 May 2021 in Bochum DFL REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS as IMAGE SEQUENCES and or QUASI VIDEO
Vater des Erfolgs: Trainer Thomas Reis.
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Elf Jahre nach dem Abstieg aus der 1. Bundesliga ist der VfL Bochum zurück. Und das dank einer beeindruckenden Reise, die nach dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr des vergangenen Jahres begann. Und dank eines Trainers, der sich vor nichts scheut.

Video: Bochum-Fans zünden Pyro und attackieren Polizei

Was ist passiert "Anne Castroper"?

Elf Jahre und 14 Tage war es her, als die Stadionregie des VfL Bochum in der Halbzeitpause des Erstliga-Spiels gegen Hannover 96 Eddy Grant bemühte. "Gimme hope Jo'ana" wurde aufgelegt und über die Lautsprecher des Ruhrstadions ausgespielt. Katja Ebsteins Wunder-Ode wäre wohl die bessere Wahl gewesen. Aber womöglich auch zu aufdringlich. Zu ironisch. Denn nach einer desolaten Leistung im Abstiegs-Endspiel stand es zur Pause bereits 0:3. Hoffnung? Keine. Eddy sang vergeblich. Hoffnung auf ein Wunder? Was ist die Steigerung von keine? Die 96er beendeten ihre Horrorsaison mit dem Selbstmord von Torwart Robert Enke mit dem Klassenerhalt. Und die Bochumer, sie stiegen ab.

Die Mär der "Unabsteigbaren", sie war längst überschrieben. Der VfL pendelte nun zwischen den Welten. Irgendwie noch nicht bereit zu akzeptieren, zweitklassig zu sein. Aber eben auch nicht kraftvoll genug, um sich in der 1. Liga zu etablieren. Die Entscheidung was er ist, sie wurde dem Klub an diesem 8. Mai 2010 abgenommen. Fast wehrlos ging es ab. Und erst jetzt, elf Jahre und 14 Tage später wieder hinauf. Nach verzweifelten Jahren. Mit zahlreichen Trainern. Und einigen Trainerpossen. Nach Jahren, die sich meistens anfühlten wie ein 0:0 im Novemberregen. Der 13. der ewigen Bundesligatabelle, er ist nun aber wieder zurück. Kraftvoll. Stolz. Ein kleines Fußball-Wunder zwischen A40, dem Sozialäquator des Ruhrgebiets, und der Krümmede, dem Knast der Stadt. Ein kleines Fußball-Wunder, das dem Ruhrpott trotz des Schalker Abstiegs das Derby Schwarzgelb (BVB) gegen Blauweiß (Bochum) erhält. Ein kleines Fußball-Wunder, dass auch ganz eng mit der Corona-Pandemie verbunden ist. Denn seit dem 16. Mai 2020, seit der Fußball aus dem Lockdown geholt wurde, sind die Bochumer die beste Zweitliga-Mannschaft.

Was genau in den zwei Monaten Pause passiert ist, das können sie sich "Anne Castroper" - also an der Castroper Straße, wo der VfL beheimatet ist- kaum selbst erklären. Aus einer verlorenen Ansammlung von durchaus begabten Fußballern, die heftig um den Klassenerhalt zitterten, ist eine verschworene Mannschaft geworden. Mit einer Idee. Mit Erfolg. Der 16. Mai 2020 weckte eine neue, eine seit Jahren vermisste Gier. Eine Gier, die sich vom ultraehrgeizigen Manuel Riemann über Kapitän Anthony Losilla in das ganze Team hineinfras. Und dort festbiss. Auch dank Trainer Thomas Reis, der einmal den Zugang zu seinen Spielern gefunden, keine Nachlässigkeiten mehr duldete. Und sofort eingriff. Wenn ihm beispielsweise die Trainingswoche des alles überragenden Robert Zulj nicht passte, dann saß er eben (am Anfang dieser Saison) auch mal auf der Bank. Er blieb nicht der einzige Star. Leistung zählt. Nicht Talent. Nicht Name.

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Als das Team seinen Trainer verstand ...

09.05.2021, Fussball, Saison 2020/2021, 2. Bundesliga, 32.Spieltag, VfL Bochum - Jahn Regensburg, Robert Tesche VfL Bochum jubelt nach dem Tor zum 1 zu 1. Tim Rehbein/RHR-FOTO DFL REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS AS IMAGE SEQUENCES AND/OR QUASI-VIDEO. Bochum Ruhrstadion NRW Deutschland xRHR-FOTO/TRx *** 09 05 2021, Football, Season 2020 2021, 2 Bundesliga, 32 Matchday, VfL Bochum Jahn Regensburg, Robert Tesche VfL Bochum cheers after goal to 1 Tim Rehbein RHR FOTO DFL REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS AS IMAGE SEQUENCES AND OR QUASI VIDEO Bochum Ruhrstadion NRW Germany xRHR FOTO TRx
Plötzlich Torjäger: Robert Tesche.
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Die Mannschaft verstand, dass ihr Trainer zwar nicht nachtragend war, aber eben sehr streng. Und als die Mannschaft das verstanden hatte, als die besten Fußballer plötzlich auch die beste Mentalität auf den Platz brachten, da lief es. Da baute sich ein Rausch auf, ein Selbstvertrauen, das mehrere kleinere und größere Heldengeschichten im legendären Ruhrstadion schrieb. Da ist natürlich die von Robert Zulj. Er kam ohne jedes Selbstvertrauen in der Winterpause der vergangenen Saison, ohne zunächst aufzufallen. Für den Kampf um den Klassenerhalt war er keine Verstärkung. Doch die Zeit nach dem Lockdown, sie wurde seine. Die Zeit ohne Zuschauer, die wurde zu seiner spektakulären Show (ob da ein Zusammenhang besteht?). In 31 Spielen erzielte er 15 Tore, manche waren technisch wundervoll. 15 Treffer bereitete er vor, oft ebenfalls wundervoll.

Eine andere Heldengeschichte schrieb Simon Zoller. In Köln nicht mehr gebrauct. In Bochum unverzichtbar. Und das nicht nur wegen seiner Tore (ebenfalls 15) und Vorlagen (zehn). Was ist dieser Zoller gerannt und gerannt? Als erster Mann im bisweilen aggressiven Pressing pumpte er alles, was er hatte und manchmal auch noch ein bisschen mehr aus sich heraus. Ein Mann aus der gleichen Kategorie ist Robert Tesche. Bei den Fans häufiger mit dem Label "jetzt war's das für ihn" versehen, feierte der alternde Abräumer in dieser Saison eine sportliche Auferstehung. Gemeinsam mit Kapitän Anthony Losilla rannte und rannte er, machte das Mittelfeld hinter Spielmacher Zulj zur sicheren Zone. Und als dem einen oder anderen Bochumer mit Blick auf die Tabelle, auf den wahrscheinlichsten Aufstieg seit Jahren etwas blümerant wurde, da erzielte er zwischen dem 29. und 32. Spieltag einfach mal fünf Tore. Unter anderem das 4:3 (nach 3:1-Führung) ausgerechnet gegen Hannover 96 in der 92. Minute, dem sehr wahrscheinlich entscheidenden Moment in der finalen Phase.

Anthony Losilla. Auch so ein Typ. Mit 35 Jahren erstmals erstklassig. Und das mit dem Verein, an den der Franzose sein Herz verloren hat. "Das ist einfach geil. Solche Geschichten kann nur der Fußball schreiben. Ich musste solange warten und schaffe es mit meinem Verein, dem VfL Bochum", stammelte er nach dem spannenden Saisonfinale, in dem Bochum die Meisterschaft mit einem phasenweise durchaus wackeligen 3:1-Erfolg gegen den SV Sandhausen klarmachte. Mit dem VfL steigt übrigens Greuther Fürth auf, die eine ähnliche Geschichte wie die Männer von der Castroper Straße geschrieben haben. Nie kleinzukriegen, kein Widerstand zu groß. So haben sich beide Vereine durch die Liga gespielt. In Bochum belegt das eine Zahl ganz besonders eindrucksvoll. Nicht einmal verlor der VfL zwei Spiele in Folge. Charaktertest bestanden.

Sogar Grönemeyer sendet Liebesgrüße

ARCHIV - 14.04.2019, Nordrhein-Westfalen, Bochum: Herbert Grönemeyer singt vor dem Spiel der 2. Bundesliga VfL Bochum gegen Greuther Fürth im Vonovia Ruhrstadion den Song «Bochum». Herbert Grönemeyer wird am 12. April 65 Jahre alt, gehört zu den Top-Stars des deutschen Rock, gilt vielen gar als Stimme der Nation und findet auch mit seinem sozialpolitischen Engagement immer wieder Gehör. (zu dpa: «Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer ist Musiker, Texter, Sänger, Produzent und Schauspieler») Foto: Guido Kirchner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Edelfan: Herbert Grönemeyer.
gki sab wa gfh, dpa, Guido Kirchner

Doch es sind nicht nur die älteren, gierigen Männer, die diese Comeback-Geschichte geschrieben haben. Da sind auch noch zwei extrem junge Innenverteidiger. Maxim Leitsch und Armel Bella-Kotschap, beide nicht frei von Fehlern, aber beide extrem talentiert, lernwillig und auch nervenstark. Und das trotz des Ausfalls von Torwart Riemann, der sich mit 32 nun endlich den Erstliga-Traum erfüllt. Dem Anleiter, dem Kämpfer, dem meistens sehr sicheren Rückhalt und dem Keeper mit der wohl spektakulärsten Spieleröffnung in 2. Bundesliga. Mindestens in der. Seine punktgenauen Abschläge auf die schnellen Außen Danny Blum oder Gerit Holtmann sind echte Waffen in der Bochumer Offensive. Dass sein Vertreter Patrick Drewes gerade in den beiden Spielen des 33. Spieltags und 34. Spieltags überragende Paraden zeigte, das letzte Teil in diesem Erfolgspuzzle, das Sport-Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz über mehrere Jahre zusammengestellt hat. In diesem Sommer unter anderem mit Holtmann und dem wuseligen Herbert (was für ein Name in Bochum!) Bockhorn. Dass sich Schindzielorz Anfang September 2019 überraschend für Reis entschied - seine wohl beste Entscheidung. Beide kannten sich. Beide waren Spieler des VfL. Reis zuvor auch Trainer (Assistent, Nachwuchs, Frauen). Auch wenn die Entscheidung für den Coach damals von vielen Fans kritisch beäugt wurde. Und sich Reis ja auch erst nach dem Corona-Lockdown als das entpuppte, was er ist: ein Glücksgriff.

Wie beseelt die Stadt von dem Aufstieg ist, das wurde am Sonntagnachmittag nach dem Schlusspfiff klar. Überall läuteten die Kirchenglocken. Feuerwerk gab's. Überall dröhnte Grönemeyers legendäre Hymne "Bochum" aus den Häusern. Durch das Zentrum schlängelte sich ein Autokorso. An manche Stellen wurden Fahrzeuge durch Fahnenmeere hindurch spaliert. Aber es gab auch heftige Ausschreitungen. Am Stadion gab es massenweise Verstöße gegen die Corona-Regeln. Und von einigen Fans auch massive Gewalt gegen Polizisten. Die zog in ihrer Bilanz am Montag ein "erschütterndes Resümee". Ein bitterer Beigeschmack in dieser Euphorie, die die Stadt seit Wochen erfasst hatte.

"Es ist eine Qual gewesen. Jetzt sind wir oben, und wir wollen noch ein bisschen länger oben bleiben", sagte Urgestein Michael "Ata" Lameck. Und auch für Edel-Fan und Hymnen-Sänger Grönemeyer, der sich nur wenige Minuten nach dem Abpfiff via WDR2 aus der Hauptstadt zu Wort meldete, ist der Aufstieg "seines" Vereins etwas ganz Besonderes: "Ich bin VfL-Fan durch und durch. Da laufen alle Auf- und Abstiege noch mal an einem vorbei." Und was nun wieder ganz besonders laut läuft: "... machst mit 'nem Doppelpass jeden Gegner nass, du und dein Vaueffell!" Bestimmt bald auch wieder im Stadion. Eddy Grant, wer war das noch einmal?

Zur Erklärung: Der Autor ist seit Jahren Fan des VfL Bochum und hat sich um kritische Distanz bemüht.