"Team Wallraff"-Reporter Torsten Misler über seine Erfahrungen in der Sicherheitsbranche
Holger R. ist einer der Männer, an denen wir oft einfach vorbeischauen. Der 50-Jährige ist Wachmann bei einer großen Sicherheitsfirma. Unsere Recherchen stehen ganz am Anfang, als ich ihn in einem Café in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs zum ersten Mal treffe. Er hat seinen letzten Lohnzettel mitgebracht und die Hoffnung, dass mit unserer Reportage die Zustände in einigen Bereichen der Sicherheitsbranche endlich ins Licht der Öffentlichkeit rücken.
Holger R. erzählt, dass seine Frau ihn verlassen habe: Arbeitszeiten von bis zu 300 Stunden im Monaten, die ständigen Wechsel zwischen Tag- und Nachtschichten und der Verdienst von gerade einmal rund 1300 Euro netto im Monate seien Gründe dafür gewesen. Als Wachmann habe man zwar eine Riesenverantwortung, aber kaum genug Lohn zum Leben.
Auch Günter Wallraff erreichen seit Jahren solche Hilferufe von Sicherheitsmitarbeitern. Beim ersten Treffen des Teams beschließen wir deshalb: Wir wollen dieser Branche in den folgenden Monaten auf den Zahn fühlen. Es ist Mitte August und ich telefoniere zunächst mit Gewerkschaften und Informanten, um mir ein ersten Eindruck zu verschaffen. Die meisten Gesprächspartner erzählen mir, dass sich die Situation seit Einführung eines Mindestlohnes (der je nach Bundesland variiert) zwar leicht verbessert habe, es aber trotzdem noch viele Missstände gibt: endlose Dienstzeiten, Druck durch die Chefs, die Gefahren im Dienst.
Es ist kompliziert in der Branche Undercover zu arbeiten. Ich brauche Führungszeugnisse, Zertifikate, Auszüge aus dem Melderegister, muss ein IHK-Seminar nachweisen...Deshalb beziehe ich meinen Kollegen Daniel Hartwig in die Recherchen ein. Zu zweit legen wir los und bewerben uns: Daniel bekommt sofort einen Job auf dem Oktoberfest - er wird als Ordner in einem Bierzelt eingesetzt. Was uns beide verwundert: Die eigentlich vorgeschriebene Extra-Schulung für die Wiesn gibt´s für Daniel nicht. Und das, obwohl er ja absoluter Laie in der Branche ist. Er wird einfach so an eine Tür gestellt und muss sich einiges bieten lassen. Beleidigungen wie „Du Bastard“ oder „F***** deine Mutter“ gehören offenbar zum normalen Umgangston vieler Wiesn Besucher. Ich begleite den Undercover-Einsatz die ganze Zeit, schaue mir meist abends das Material der versteckten Kameras an - nach einigen Tagen merke ich zum ersten Mal, wie sich Daniel in diesem Job verändert. Er ist ein freundlicher Typ, nett zu allen, schwer aus der Ruhe zu bekommen - der Dienst auf dem Oktoberfest macht ihn zunehmender gereizter. Er wird aufbrausend, das merke ich an seinem Tonfall.
Vermutlich weil sie frustriert sind, teilen auch die Securitys aus. In mindestens zwei Fällen sind wir dabei, wenn sie übertrieben aggressiv auch auf Unbeteiligte losgehen. Es wäre jetzt leicht zu sagen: klar, typisch! Sind ja eh Schlägertypen! Das finde ich aber zu einfach: lange Schichten, dürftige Bezahlung, lange Dienstzeiten, unzureichende Vorbereitung, pöbelnde und aggressive Gäste. Das ist die andere Seite. Für Daniel steht am Ende seines Einsatzes jedenfalls fest: „Ich bin froh, dass ich das ganze heil überstanden habe!“
"Nach der Ausstrahlung ist unsere Arbeit noch nicht zu Ende."
Auch eine meiner Bewerbungen war erfolgreich: Ich schleuse mich einen privaten Sicherheitsdienst ein, der die „Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge“ in Hamburg bewacht. Den Tipp, hier undercover zu recherchieren, hat Günter Wallraff von einem Informanten bekommen. Die Kollegen sind freundlich zu mir, aber auch hier spüre ich einen großen Frust. Ich soll mit den Kollegen für Sicherheit im Heim sorgen, aber niemand erklärt mir, was ich genau zu tun habe. Es gibt keine genaue Einweisung, keinen Chef, der mir irgendetwas erklärt, nix!
Hinzu kommt extreme Überarbeitung vieler Kollegen. Manche reißen bis zu 62 Stunden pro Woche ab. Und dass nicht nur, um mit 8,50 Euro pro Stunde in der teuren Hansestadt über die die Runden zu kommen. Die Chefs verlangen offenbar, dass man Extra-Schichten schiebt, sonst droht der Rauswurf. Viele Mitarbeiter erscheinen mir wütend, manche verzweifelt und resigniert. Leider entlädt sich der Frust immer wieder gegenüber den noch Schwächeren, den Flüchtlingen. Eine psychisch kranke Frau aus Afghanistan wird beschimpft, ausländerfeindliche Vorurteile höre ich, manche Wachleute lassen Bewohner des Heimes extra lange warten. Natürlich trifft das nicht auf alle Mitarbeiter zu, natürlich zeigen Kollegen auch Mitgefühl mit den Flüchtlingen. Aber so, wie es jetzt in der Flüchtlingsunterkunft ist, kann es nicht bleiben.
Wir gehen den nächsten Schritt und wollen herausfinden, wie schnell es geht, bis man im Dienst eine Waffe tragen darf? Daniel und ich besuchen jeweils ein Wochenendseminar von Freitagabend bis Sonntag. Zuvor hat der Kursleiter die Fragen gemailt, damit auch alle die Prüfung bestehen. Ich habe vorher noch nie geschossen und kann es bis heute nicht, aber bekomme am Ende mein Zertifikat. Erschreckend einfach, denke ich mir! Erschreckend ahnungslos ist Ralf, ein Lehrgangsteilnehmer aus Bayern. Er ist wirklich ein lieber, netter Kerl, hat aber noch weniger Ahnung als ich. Auf dem Schießstand fuchtelt er mit der ungesicherten Pistole herum - der Kursleiter, auch er wirklich engagiert, muss mehrmals eingreifen. Aber Ralf hat alle Prüfungsfragen auswendig gelernt. Er bekommt sein Zeugnis und wird mit Waffe Geld transportieren können. So sind die Vorschriften!
Mein Kollege Daniel Hartwig hat wie ich das Waffenseminar besucht und inzwischen einen Job als Geldbote bekommen. Hunderttausende Euro hat er auf der Ladefläche, sein Lohn dagegen ist miserabel. 7,25 Euro Grundlohn und eine Zulage von 80 Cent gibt es, Dienstkleidung wie schusssichere Westen dagegen nicht. Optimisten hätten an eine gründliche Einweisung und ein Fahrtraining gedacht. Nach monatelanger Recherche in der Sicherheitsbranche überrascht uns das Prinzip „Los geht's, wird schon gut gehen“ längst nicht mehr. Es gibt noch nicht mal eine Information, wie sich Daniel bei Überfällen verhalten soll. Dabei sind Kollegen schon mehrfach Opfer worden. „Das interessiert hier keine Sau“, antwortet ein Mitarbeiter auf unsere Frage, ob da nicht mit der Sicherheit gespielt werde. Der Zustand der Fahrzeuge ist in vielen Fällen erbärmlich: Rost, Schimmel, demolierte Teile und der Innenraum mit brauner Nikotin-Patina überzogen. Die älteste Karre soll – so ein Fahrer – bereits über eine Millionen Kilometer auf dem Buckel haben!
Was bleibt nach unseren Recherchen? In all den Monaten habe ich mehrfach mit Holger R., dem Wachmann aus Frankfurt, telefoniert. Er hat mir Gesprächspartner vermittelt, Kontakte geknüpft. „Wachmann ist eigentlich ein toller Beruf, aber es müsste sich wirklich einiges ändern: der Lohn, die Arbeitszeiten, die Achtung vor den Mitarbeitern...“, hatte er mir einmal gesagt. Ob sich nach unserer Reportage etwas bewegt? Das wissen wir selbstverständlich nicht, aber wir wollen sowohl mit den betroffenen Firmen, den Ämtern und Institutionen ins Gespräch kommen. Nach der Ausstrahlung, das ist Günter Wallraff und mir wichtig, ist unsere Arbeit noch nicht zu Ende. Vielleicht können wir als ersten Schritt schon erreichen, dass die Männer und Frauen an der Tür, bei der Kontrolle im Flughafen, dem Stadion oder in den Bahnen als hart arbeitende Mitbürger gesehen und mit entsprechendem Respekt behandelt werden. Sie erbringen eine sehr wichtige Dienstleistung für uns: Sicherheit!