Irre Geschichte im europäischen Supercup

Weltrekord-Missverständnis rettet Tuchel den nächsten Titel

Thomas Tuchels FC Chelsea hat mit viel Mühe und starken Nerven nach der Champions League auch den europäischen Supercup gewonnen. Mit den Nationalspielern Kai Havertz, Timo Werner und Antonio Rüdiger setzten sich die Blues in Belfast gegen den FC Villarreal im Elfmeterschießen mit 6:5 durch. Nach 120 Minuten hatte es 1:1 (1:1, 1:0) gestanden. Havertz vergab den ersten Elfmeter für Chelsea, was nach zwei von Villarreal verschossenen Versuchen keine Auswirkungen hatte. Zum Helden wird ein Torwart, der in London eigentlich eine fürchterliche Zeit erlebt.

Ein brutal teures Missverständnis

Weil Thomas Tuchel ein sehr guter Trainer ist, musste er so entscheiden. Beste Grüße übrigens nach Paris, zum dortigen Milliardenclub, den Tuchel einst erfolgreich gecoacht hat, allerdings halt nicht so erfolgreich, dass man ihn dort unbedingt behalten wollte. Was allerdings wiederum eine andere, eine wirklich eigenartige Geschichte ist. In Paris haben sie nun Mauricio Pochettino und erfreuen sich an einem der besten Coaches der Welt, sagen sie bei St. Germain. Über Tuchel sind solche Sätze nicht in Erinnerung geblieben. Man dürfte sie aber wohl aussprechen.

Denn Thomas Tuchel ist ja nicht nur amtierender Triumphator in der Champions League, seit diesem Mittwochabend ist er auch europäischer Supercup-Sieger. Und der Sieg im Elfmeterschießen gegen den FC Villarreal ist sein Sieg, ein echter Trainer-Sieg. Gegen die Spanier ging es übrigens, weil die in der vergangenen Saison die Europa League gewonnen hatten. Ende Mai hatte die Mannschaft aus dem Osten Spaniens das Finale gegen Manchester United für sich entschieden. Übrigens auch im Spiel vom Punkt. Mit 11:10 ging der Vergleich gegen die Luxus-Truppe aus England aus. Zu behaupten, dass die Spieler von Trainer Unai Emery starke Duellnerven haben, ist also durch zutreffend.

Doch in Belfast, wo diese doch eher unbedeutende Partie (für den Sieger natürlich nicht) ausgetragen wurde, da scheiterten die Spanier. Sechs Strafstöße durften (oder mussten) sie schießen, zwei davon vergaben sie. Sie wurden von Chelseas Torwart Kepa pariert. Und das ist die Geschichte des Abends. Nun ist es freilich keine Besonderheit, dass ein Mann zwischen den Pfosten zum Helden wird, wenn es ins Elfmeterschießen geht. Die Besonderheit liegt darin, dass dieser Mann halt Kepa ist. Und seine Geschichte erzählt sich auf gleich zwei Ebenen. Zum einen wurde der 26 Jahre alte Spanier erst in der letzten Minute der Verlängerung eingewechselt. Und zum anderen ist seine Zeit in London eigentlich ein Missverständnis. Ein brutales. Ein brutal teures.

"Kepa ist der Beste im Halten von Elfmetern"

 Chelsea FC v Villarreal CF UEFA Super Cup 2021 Marcos Alonso, Kepa Arrizabalaga, Cesar Azpilicueta of Chelsea lift the trophy after winning with his team the during the UEFA Super Cup Final match between Chelsea CF and Villarreal CF at Windsor Park on August 11, 2021 in Belfast, Northern Ireland. Belfast Northern Ireland breton-chelseaf210812_np0iL PUBLICATIONxNOTxINxFRA Copyright: xJosexBretonx
Der FC Chelsea feiert den Supercup-Triumph.
www.imago-images.de, imago images/NurPhoto, Jose Breton via www.imago-images.de

Dass Kepa nun zum Helden wurde, das war zwar nicht vorhersehbar, aber es war eben auch keine Blitz-Weltidee von Tuchel. Er musste so entscheiden. "Es war nicht spontan", erklärte Tuchel den durchaus überraschenden Wechsel von Stammkraft Édouard Mendy zu Kepa. "Wir waren gut vorbereitet und hatten die Statistik, dass Kepa der Beste im Halten von Elfmetern ist. Die Analysten haben mir die Daten gezeigt - und wir haben mit den Spielern gesprochen, dass das in K.-o.-Spielen passieren kann. Es ist fantastisch, wie Edou (Mendy) das akzeptiert hat."

Tatsächlich hielt Kepa, was die Daten versprachen. Den zweiten Elfmeter der Spanier, den Schuss von Aissa Mandi entschärfte er ebenso wie den sechsten Versuch von Raul Albiol. Danach entlud sich bei Kepa vieles, womöglich alles, was sich in den vergangenen Monaten, Jahren so aufgestaut hatte. Der teuerste Torhüter der Welt biss sich hart auf die Zähne, schnappte sich den Ball und hämmerte ihn in den nordirischen Abendhimmel, ehe er die Freude über den Coup aus sich herauspumpte und in den Armen seiner Mitspieler landete. Tuchel gestand: "Ich bin froh, dass es funktioniert hat."

Tatsächlich war es ganz gut, dass der Plan aufging. Denn Kepa hat beim FC Chelsea keine gute Lobby mehr. Zu viele Dinge sind vorgefallen, seit er 2018 für die noch immer bestehende Weltrekordablöse von 80 Millionen Euro von Athletic Bilbao nach London gewechselt war. Allen voran natürlich eine immer schwächere Verfassung. Vor ziemlich genau einem Jahr wurden dem Spanier seine Horror-Statistiken um die Ohren gehauen. In der Saison 2019/20 wehrte er statt 74,3 nur noch 54,5 Prozent der Schüsse auf sein Tor ab, der schlechteste Wert in der Geschichte der Liga, angeblich sogar der schlechteste in Europas fünf Topligen. Fast jeder zweite Ball auf sein Gehäuse war drin. Und wenn man sich erstmal in einen Spieler verbissen hat, dann wird wirklich alles aus der Schublade geholt. Bei Kepa wurde sogar gezählt, bei wie vielen Gegentoren er sich nicht bewegte (14 waren es).

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Absurder Eklat im Ligapokal-Finale

Chelsea v Villarreal - UEFA Super Cup - Windsor Park Chelsea manager Thomas Tuchel reacts on the touchline during the UEFA Super Cup match at Windsor Park, Belfast. Picture date: Wednesday August 11, 2021. EDITORIAL USE ONLY No use with unauthorised audio, video, data, fixture lists, club/league logos or live services. Online in-match use limited to 120 images, no video emulation. No use in betting, games or single club/league/player publications. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xNiallxCarsonx 61609732
Thomas Tuchel hatte sich was Entscheidendes überlegt.
www.imago-images.de, imago images/PA Images, Niall Carson via www.imago-images.de

Der Baske macht keine komödiantischen Fehler, er ist kein Pech-und-Pannen-Keeper. Aber er hält eben auch fast nie einen sogenannten Unhaltbaren und ist für den teuersten Torwart der Welt zu leicht zu bezwingen. Aber natürlich hat er auch gute Spiele für die "Blues" gemacht, sogar sehr gute Spiele. Aber sonderlich viele waren es eben nicht. Für eine Ära, die er prägen sollte, reichten seine Leistungen nicht. Sein Pech war: Vorgänger wie Thibaut Courtois oder Petr Cech hatte die Erwartungen an Torhüter extrem hoch gesetzt. Kepa konnte das nie erfüllen. Was durchaus spannend ist: Vor fast genau zwei Jahren, am 14. August 2019 machte er sein wohl bestes Spiel für Chelsea. Im, Obacht, europäischen Supercup. Zwar verloren die Londoner das Duell mit dem FC Liverpool knapp mit 4:5, natürlich auch im Elfmeterschießen. Aber seine Doppelparade in der 75. Minute gegen Mo Salah und Virgil van Dijk gilt bis heute als seine beste für den Club.

Eine andere Sache aber belastet das Verhältnis von Kepa und dem Club besonders. Im Ligapokal-Finale gegen Manchester City (3:4, man kann es vermutlich nicht mehr lesen, aber auch dieses Spiel wurde im Duell vom Punkt entschieden), verweigerte der Torwart seine Auswechselung. Es habe sich um ein Missverständnis gehandelt, betonten Kepa und Trainer Maurizio Sarri später. Der Keeper bekannte aber auch, er habe einen "großen Fehler im Umgang mit der Situation" gemacht. Der Coach hatte ihn mehrfach wild gestikulierend ermahnt, den Platz zu verlassen. Ersatzkeeper Willy Caballero, der im Ligapokal-Finale 2016 drei Elfmeter gehalten hatte, stand bereit. Doch Kepa, der sich zuvor wegen Krämpfen hatte behandeln lassen, blieb stur und verließ nicht das Feld. Sarri flippte daraufhin aus und musste sogar von Nationalspieler Antonio Rüdiger zurückgehalten werden.

Blackout von Kepa gegen Villarreal

Auch gegen Villarreal leistete sich Kepa wieder einen kleinen Blackout. Vor dem dritten Elfmeter bot er Pervis Estupinan den Ball an und ließ ihn dann arrogant fallen. Dafür sah er Gelb. Und dennoch schrieb er nun also die verspätete Heldengeschichte. Sonderlich nachhallen wird es wohl nicht. Denn mit Mendy hatte der FC Chelsea in der vergangenen Saison eine starke Nummer eins, dass er bei einem Abschlag gegen Villarreal patzte, wird ihm nicht schaden, er entschärfte den daraus resultierenden Angriff mit einem sensationellen Reflex. Kepa nimmt's (vorerst) gelassen: "Es ist keine typische Situation. Edouard und der Rest der Mannschaft haben einen fantastischen Job gemacht."

So sah es auch Tuchel, der nach Jürgen Klopp (FC Liverpool) und Hansi Flick (FC Bayern) als dritter deutscher Trainer in Serie den Sieg im traditionellen Kräftemessen der Europapokalsieger feierte. "Physisch war es das Schlechteste, was passieren kann", sagte Tuchel während der Pressekonferenz. "Psychologisch war es das Beste, mit einem Titel zu starten." Die Blues starten bereits an diesem Samstag gegen Crystal Palace in die neue Saison der englischen Premier League. (tno)