Nach Schmäh-Plakaten gegen Leipzig-Sportdirektor Max Eberl

Psychiater Dr. Valentin Markser: "Sportler sollten sich vor Karriere Hilfe holen"

Dr, Valentin Markser
Dr. Valentin Markser spricht über Psychologie und Sport.
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von Thomas Lipke

Wann ist die Grenze des Hasses erreicht?

Seit seinem Jobantritt bei RB sieht sich Leipzig-Boss Max Eberl (49) Woche für Woche etwaigen Hass-Plakaten und irren Beleidigungen ausgesetzt. Beim 3:0-Sieg seines neuen Klubs gegen Gladbach schlug ihm der blanke Hass der Gäste-Fans entgegen. Fakt ist aber: Der ehemalige Gladbach-Boss ist gewiss kein Einzelfall. Wieso ist das so und warum immer wieder im Fußball? Vor dem 25. Spieltag der Fußball-Bundesliga sprach RTL mit Enke-Psychiater Dr. Valentin Markser (70).

In der Gruppe fühlen sich alle stärker

11.03.2023, xtgx, Fussball 1. Bundesliga, RB Leipzig - Borussia Moenchengladbach emspor, v.l. Max Eberl Leipzig Portrait, Portraet, Einzelbild enttaeuscht, schaut enttaeuscht, niedergeschlagen, disappointed DFL/DFB REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHO
Leipzig-Sportdirektor Max Eberl
www.imago-images.de, IMAGO/Jan Huebner, IMAGO/Michael Taeger

„Ich will einfach nur Max Eberl sein“ oder „Lieber Hornochse und Arschloch als ein charakterloses Bullenschwein“ sind nur zwei Beispiele einer Kurve, die von Plakaten übersät war.

Die sogenannten Fans nehmen Eberl seinen Wechsel nach Leipzig übel und werfen ihm vor, seine Krankheit nur gespielt zu haben. Der Ex-Sportchef der Borussia wehrte sich einen Tag später im „Doppelpass“ bei Sport1 und stellte noch mal klar: „Ich war krank“. Der Psychologe Dr. Valentin Markser begleitete Robert Enke durch seine Depression, der Torwart beging im November 2009 Suizid, sah keinen Ausweg mehr. Markser über das Hass-Phänomen zu RTL: „Wir identifizieren uns mit erfolgreichen Athleten, wir gewinnen Meisterschaften, wir sind Weltmeister. Das geht aber in beide Richtungen. Freude und Euphorie bei den Siegen sowie Wut und Enttäuschung bei den Niederlagen. Bei den meisten von uns hält sich das in Grenzen, wir ziehen die Trikots und Schals aus und gehen ins Büro arbeiten. In der Fangruppe und in der Südkurve sind die Emotionen stärker und länger anhaltend, weil die Gemeinschaft der Gleichgesinnten als Verstärker funktioniert.“

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Doch nicht nur dieser Aspekt spielt für Markser, der in Köln sitzt, eine Rolle- auch das Phänomen der Massenpsychologie. Der Psychologe führt aus: „Hinzukommt noch ein wesentlicher Moment: In der Gruppe schwindet die individuelle Verantwortung, weil man sich stärker geschützt und versteckter fühlt.“

Junge Sportler sollten sich schon früh Hilfe holen

Zugleich steht fest: Eberl ist kein Einzelfall. Der Hass in deutschen Stadien richtet sich auch keineswegs gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen ganze Klubs. Besonders perfide eine Aktion aus dem Jahr 2013! Vorm Niedersachsen-Derby zwischen Hannover und Braunschweig ketteten sich Braunschweig-Chaoten an die Gleise und machten dazu ein Plakat: „Follow your keeper“ mit dem Gesicht des verstorbenen Enke.

Für Markser ist klar, dass allein Gespräche langfristig nicht mehr die Lösung sein können. „Es müssen regelmäßige Gespräche mit neuen Ansätzen und Perspektiven geführt werden. Wir kommen nicht umhin, die Bedeutung der organisierten Fans nicht nur als zusätzliche Unterstützung im Spiel, sondern als einen festen Bestandteil des Vereins im Leistungssport anzuerkennen. Dementsprechend müssen wir uns mit dem Phänomen in seine gruppendynamischen und massenpsychologischen Auswirkungen beschäftigen und unseren Umgang damit danach ausrichten.“

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Bitter: Wirklich „hoffnungsvoll“ blickt er nicht in die Zukunft. Stattdessen rät er jungen Sportlerinnen und Sportlern, sich früh Hilfe zu holen. „Sportlerinnen und Sportler sollten, sich am besten schon vor ihrer Karriere Hilfe holen.“

Hoffentlich bleibt’s an diesem Spieltag auf den Tribünen ruhig...