Beichten oder nicht?Sex-Expertin erklärt: Warum wir fremdgehen - und was wir dann tun sollten

„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, „einmal ist keinmal“ - wenn es ums Thema Fremdgehen geht, scheiden sich die Geister. Die einen behaupten, das könne jedem mal passieren und wir wären schließlich Opfer der Natur. Andere schaffen es nicht, mit einer solchen Kränkung durch Partner oder Partnerin umzugehen, sind traumatisiert und können nie wieder Vertrauen fassen. Doch dabei muss ein Seitensprung nicht das Ende bedeuten. Sondern kann vielleicht ein Neuanfang sein.
Warum gehen wir fremd?
Obwohl wir ganz rational wissen, dass Fremdgehen ziemlich egoistisch und mies ist, machen wir es trotzdem. Der Zauber der ersten Monate der Verliebtheit ist vorbei, die rosarote Brille ist abgesetzt – und es zeigt sich nun mal der Alltag und die Realiät. Vielleicht leben wir da schon in einer gemeinsame Wohnung mit unserem Partner/unserer Partnerin. Vielleicht ist es auch schon soweit, dass jegliche Tabus gefallen und Grenzen überschritten sind. Schnell pinkeln, während er sich die Zähne putzt? An den Fußnägeln rumspielen, während sie mit einem Glas Wein auf dem Sofa neben ihm sitzt? Mhmhh… Was dem einen die Vertrautheit, ist dem anderen einfach irgendwann über. Der Reiz ist verflogen.
Ist es noch Liebe?
Nun stellt sich die Frage: Ist es Liebe? Bleibe ich bewusst bei dem Menschen, den ich in- und auswendig kenne? Genieße ich gerade das - diese Vertrautheit, diese Enge, Nähe, dieses Gefühl von „wir sind es“? Wenn Sie sich dafür entscheiden, dann kommt meist gar nicht die Gefahr auf, dass Sie sich rechts und links umschauen. Und auch, wenn Sie sich in der Beziehung wertgeschätzt und geliebt fühlen, haben Sie sicher nicht das Bedürfnis, fremdzugehen.
Und was würde Sie doch dazu verleiten? Es gibt ein paar wichtige Punkte: Ihr Partner oder Ihre Partnerin hat nicht genug Zeit für Sie, Sie fühlen sich vernachlässigt. Ebenso entscheidend: Die Fähigkeit des Partners oder der Partnerin, Konflikte anzusprechen und gemeinsam zu bearbeiten. Die Liste lässt sich weiterführen: zu wenig Hilfe im Haushalt, Bequemlichkeit, eingeschlafenes Sexleben.
Ist die Evolution schuld?
Wenn wir es ganz genau nehmen, dann könnten wir unsere Vorfahren und die Natur dafür verantwortlich machen. Wir sind natürlich nicht zu einer rein monogamen Lebensweise geschaffen. Wie im Tierreich auch ist es natürlich evolutionär bedingt unsere Aufgabe, Nachkommen zu erzeugen, und das mit möglichst vielen verschiedenen Partnern – zwecks Genpool-Durchmischung. Aber dass wir deswegen komplett auf Treue verzichten und so eine Rechtfertigung für unser flegelhaftes Verhalten finden, ist auch nicht richtig.
Zuerst einmal gibt es tatsächlich auch monogam lebende Tiere: Störche, Biber, Wölfe. Sie suchen sich einen Partner, mit dem sie ihr ganzes Leben lang zusammen sind (Ausnahmen bestätigen die Regel, und wenn einer stirbt, müssen neue Nachkommen mit neuen Partnern produziert werden – logisch!)
Und am Ende geht es eben nicht nur um Abwechslung und den Reiz des Neuen, sondern wir sind als menschliche Wesen natürlich auf der Suche nach Bindung, sie ist eins unserer Grundbedürfnisse. Ohne Bindung können wir nicht leben. Wir sind abhängig von der Anerkennung und Wärme unserer Partner. Das heißt, womöglich sind wir monogame Wesen mit einem gewissen Drang zu gelegentlichen Ausflüchten. Aber alle Erklärungsversuche sind bisher eben nur Versuche.
Was sagt die Statistik?
Obwohl die Zahlen nicht ganz eindeutig sind, lässt sich festhalten, dass laut statista.com zwischen 25 und 30 Prozent der Männer und Frauen fremdgehen. Einige mit mehreren verschiedenen Personen, andere nur ein einziges Mal; weitere 20 Prozent waren zumindest schon mal in Versuchung.
Eine längerfristige Affäre zählt für die meisten Menschen als Fremdgehen, dicht gefolgt von einem One-Night-Stand und einem Besuch im Bordell.
Interessant: Auch das Anmelden auf einem Dating-Portal, Flirten und Pornos schauen tauchen in der Liste auf. Der interessanteste Punkt: Beim Sex an jemand anderen denken ist ebenso für viele schon ein Treuebruch.
Schlimm ist außerdem, wie die Männer und Frauen vom Seitensprung des Partners/der Partnerin erfahren haben: Die meisten finden es selbst heraus, was natürlich extrem schmerzhaft sein kann. Nur ein Drittel der Fremdgehenden beichtet sein Fehlverhalten.
Also was? Beichten oder nicht?
An diesem Punkt stellt sich ja die Frage, ob Sie dem Partner den Seitensprung erzählen sollten. Und daran scheiden sich die Geister. Es gibt Experten, die sagen: Nur, wenn ich dem Partner/der Partnerin gegenübertrete und ihm/ihr in die Augen schauen kann, ehrlich und aufrichtig beichte, ist ein Neuanfang überhaupt möglich. Andere sagen, dass ein einmaliger, wirklich unbedeutender One-Night-Stand ruhig verheimlicht werden kann. Denn wenn der Seitensprung wirklich keine Bedeutung hat, warum den Partner unnötig aufregen, verwirren und verunsichern? Sollten Sie also von alleine echte Reue fühlen und selbst wissen, dass sie einen großen Fehler gemacht haben, könnten Sie durchaus auf ein Geständnis verzichten.
Die philosophische Frage, die Sie für sich beantworten sollten, wenn Sie das können: Ist Ehrlichkeit ein Zeichen der Liebe? Oder riskiere ich mit der Beichte, dass meine Beziehung quasi wegen einer Nichtigkeit auseinanderbricht?
Schlechtes Gewissen? Kein Argument!
Wenn Sie dem Partner ihren Fehltritt nämlich nur beichten, um Ihr eigenes schlechtes Gewissen zu erleichtern, können Sie sich das sparen. Dann sollten Sie sich lieber fragen: Warum habe ich das gemacht? Was hat mir gefehlt, wie konnte es so weit kommen? Wenn Sie ehrlich sind und die Tat beichten, dann setzt natürlich ein Schock ein – Wut Trauer, Ärger, Enttäuschung – der/die Betrogene fühlt sich in die Ecke gedrängt.
Aber genau aus diesen Gefühlen heraus wäre dann eben auch ein Neuanfang möglich. Denn auch als Betrogene/r haben Sie dann schließlich die Chance, die Beziehung einmal genauer zu betrachten. Es geht ja nicht nur um Sex. Sondern auch darum, was dem anderen gefehlt hat, woran es zu arbeiten gilt. Ein Seitensprung muss nicht das Ende der Liebe sein.
Wiederholungstäter
Anders sieht es aus, wenn Sie dem klassischen Wiederholungstäter auf den Leim gehen. Leider weiß man das nie nach dem ersten „Mal“. Wir sind den Taten des Gegenübers letztlich ausgeliefert. Selbst alte Sprichwörter widersprechen sich da schließlich: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…“ versus „Einmal ist keinmal.“ Nun gut. Entscheiden Sie selbst.
Aber wenn Fremdgehen quasi zur Gewohnheit wird, dann ist dem Betrogenen wohl dazu zu raten, schnell Reißaus zu nehmen. Denn so ein Verhalten verletzt natürlich und der Betrüger wird sich einfach nicht mehr ändern. Vielleicht kommt irgendwann in seinem/ihrem Leben der Punkt, wo er/sie das nicht mehr braucht, der wahren Liebe begegnet oder ein Wunder passiert. In dieser Beziehung wird sich das Verhalten der Betrügerin oder des Betrügers nicht mehr ändern; glauben Sie es einfach.
Können wir uns ändern?
Wenn Sie selbst zu den Betrügern gehören und es einfach nicht lassen können, den anderen zu hintergehen und zu verletzen, sollten Sie sich fragen, ob Sie überhaupt der Mensch sind, der eine feste monogame Beziehung eingehen möchte oder sollte. Sie werden vermutlich immer wieder ein Gefühl der Unzufriedenheit in bestimmten Bereichen fühlen; werden immer Ausschau halten nach Alternativen; vielleicht nach dem schnellen abwechslungsreichen Sex, einem Kick oder einer Selbstbestätigung suchen.
Wenn Sie sich wirklich ändern wollen, dann können Sie das. Die Entscheidung dafür müssen Sie aber bewusst treffen und klar dazu stehen. „Ich-kann-nicht wohnt in der Ich-will-nicht-Straße“, heißt es.
Alternative Beziehungsmodelle?

Und wenn Sie feststellen, dass Monogamie und Treue einfach nichts für Sie ist, ist das auch kein Problem. Es gibt mittlerweile genug alternative Beziehungsformen, die eine gewisse Freiheit lassen. Vielleicht suchen Sie sich einen Partner/eine Partnerin für eine offene Beziehung. Vielleicht sind Sie aber auch der Typ für eine Beziehung zu dritt. Oder Freundschaft plus - eine enge freundschaftliche Beziehung mit dem kleinen Sahnehäubchen des gelegentlichen Verkehrs. Und niemand ist an etwas gebunden.
Jede dieser Beziehungsformen hat am Ende seine Berechtigung, denn wir sind alle nur Menschen mit Vorlieben, Gewohnheiten, Prägungen – und sind keineswegs fehlerfrei. Es ist am Ende nur Kommunikation und eine Begegnung auf Augenhöhe, die uns dazu bringen kann, unser Liebesleben zu führen, ohne einen anderen zu verletzen.