Eltern erheben schwere Vorwürfe

Schwestern (23, 25) auf Mallorca ertrunken - Notrufe in Todesnacht ignoriert?

02.09.2021, Spanien, Manacor: Ein Schild verbietet das Schwimmen am Strand von Cala Mendia in Manacor auf Mallorca. Zwei junge Urlauberinnen aus Nordrhein-Westfalen sind hier im Meer vor Mallorca ertrunken. Die beiden Schwestern waren nach ersten Erkenntnissen gegen 2.30 Uhr zusammen mit vier weiteren jungen Touristinnen und einem 30 Jahre alten Urlauber trotz roter Flagge ins Meer gegangen. Foto: Clara Margais/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ein Schild verbietet das Schwimmen am Strand von Cala Mendia in Manacor auf Mallorca.
fdt, dpa, Clara Margais

Hannah (23) und Vanessa (25) haben als Krankenschwester und Altenpflegerin viel Leid und Einsamkeit erlebt, das Coronajahr habe die beiden „fertiggemacht“, erzählt ihre Mutter. Der Urlaub auf Mallorca sei die so dringend benötigte Atempause gewesen, um Kraft zu tanken. Doch keinen Tag nach der Ankunft auf der Baleareninsel ertranken die Schwestern im Mittelmeer. Ihre Eltern sind verzweifelt – und machen den spanischen Behörden schwere Vorwürfe.

"Die Freundinnen wählten den Notruf, aber die Polizei hat immer wieder aufgelegt"

In der Nacht auf den 02. September waren die Schwestern an der Cala Mandia in Manacor im Osten der Urlaubsinsel mit vier Freundinnen und einem Bekannten am Strand unterwegs. "Hannah, Vanessa und ihre Freundin Sina liefen ins Meer, aber nicht mal bis zum Bauchnabel", erzählt Mutter Anja Paeschke (52) im Gespräch mit der „Mallorca-Zeitung“ (MZ). Der Freundin habe die Unterströmung die Beine weggerissen. "Sie ist untergegangen und hat Wasser geschluckt, aber der junge Mann konnte sie retten." Danach habe der 30-Jährige Vanessa an Land gezogen, doch da sei sie schon nicht mehr bei Bewusstsein gewesen. Hannah hingegen sei in der Schwärze der Nacht verschwunden.

"Die Freundinnen wählten den Notruf, aber die Polizei hat immer wieder aufgelegt, weil die Mädchen kein Spanisch konnten. Wie arrogant!", sagt Frau Paeschke. Eine Freundin sei dann in ein nahegelegenes Hotel geeilt und habe dort um Hilfe gebeten – doch die kam zu spät. Ein Rettungshubschrauber barg Hannah aus dem Mittelmeer, noch am Strand sei sie für tot erklärt worden. Ihre kleine Schwester starb später im Universitäts-Krankenhaus der Inselhauptstadt Palma.

"Vanessa wollte ihre Organe spenden", sagt ihre Schwester Laura (27) der MZ. "Wir wissen bis heute nicht, ob sie von selbst im Krankenhaus gestorben ist, oder ob die Maschinen abgeschaltet wurden, weil Vanessa hirntot war. In diesem Fall hätte sie ihre Organe ja noch spenden können. Aber uns hat niemand nach ihrem letzten Willen gefragt." Es ist nur eine von vielen quälenden Fragen, die Angehörige und Freunde nicht mehr loslassen.

Zwang spanische Polizei Freundin, den Eltern die Todesnachricht zu überbringen?

Daheim in Deutschland ahnte die Familie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welches Drama sich rund 1.500 Kilometer Luftlinie entfernt abspielte. "Es war mittags um 12.05 Uhr, als mein Handy klingelte. Melanie war dran und sagte, die spanische Polizei habe sie zu diesem Anruf gezwungen. Sie habe eine sehr schlimme Nachricht für uns“, erinnert sich Matthias Paeschke im MZ-Gespräch.

Der deutsche Konsul auf Mallorca, Wolfgang Engstler, schildert der MZ die Umstände in einer Stellungnahme zu dem Fall hingegen anders. Die Freundin sei keineswegs zu dem Anruf gezwungen worden. Vielmehr sei sie bei einem Telefonat mehrfach gefragt worden, ob sie sich zutraue, die Todesnachricht zu überbringen, was diese wiederholt bejaht habe. „Sind keine Angehörigen vor Ort, benachrichtigen wir in derartigen Fällen das Bundeskriminalamt, das dann die zuständige örtliche Polizeidienststelle informiert. Und von dort machen sich dann Beamte auf den Weg zu den Angehörigen“, erklärt Engstler der MZ das gängige Procedere auf der Urlaubsinsel.

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Konsulatsmitarbeiterin habe "Ernst der Lage am Telefon nicht erfasst"

Seit dem Unfalltod sei Anja Paeschke alles egal, am liebsten würde sie ihren Töchtern folgen, sagt sie mit MZ-Interview. "Aber die anderen beiden Kinder sind ja auch noch da. Und wenn Hannah und Vanessa mich hören könnten, würden sie sagen: ‘Mama, geht's noch?’" Die Familie fühle sich von den Behörden auf Mallorca im Stich gelassen, man habe von offizieller Seite keinerlei Unterstützung erfahren. "Das fing damit an, dass sich die Freundinnen unserer Töchter in Palma hilfesuchend ans deutsche Konsulat gewandt hatten, aber weggeschickt wurden“, so Matthias Paeschke.

Ein weiterer schwerer Vorwurf, den Konsul Engstler als unwahr zurückweist. “Persönlich sind sie gar nicht beim Konsulat vorstellig geworden“, sagte er der MZ. Vielmehr habe es mehrfachen telefonischen Kontakt gegeben. Das erste Telefonat sei um 5.15 Uhr morgens in der Nacht auf den 2. September eingegangen. Kurz nach dem tödlichen Badeunfall. Laut Engstler sei in diesem Gespräch jedoch nicht thematisiert worden, dass es Verletzte oder gar Tote gegeben habe. Es sei lediglich um den Wunsch nach einer sofortigen Flugumbuchung gegangen. Die Konsulatsmitarbeiterin, die Bereitschaft hatte und den Anruf entgegen nahm, habe um diese frühe Stunde „im Tiefschlaf gelegen“ und den „Ernst der Lage am Telefon nicht erfasst“. Engstler erklärt: „Wir bekommen nachts häufig Anrufe von Betrunkenen.“ Er selbst sei in einer Nacht einmal 100 Mal auf seinem Bereitschaftshandy kontaktiert worden. Der Vorfall tue im leid.

Eltern sollten angeblich 9.500 Euro zahlen, um Einäscherung zu verhindern

Anja und Matthias Paeschke hätten damals darüber nachgedacht, selbst nach Mallorca zu fliegen, diese Pläne jedoch verworfen, nachdem ihnen mitgeteilt worden sei, dass ihre Töchter in der Rechtsmedizin liegen würden und es dort keinen Zutritt gebe. "Andererseits sollten wir aber sofort 9.500 Euro überweisen, um eine Einäscherung in Spanien zu verhindern und das Verfahren zur Überführung in Gang zu setzen", sagt die Mutter der MZ. Die Überführung habe sich aufgrund von Pannen lange hingezogen – und sei zudem kostspielig gewesen.

"Als die Freundinnen unserer Töchter hörten, dass Überführungen und Bestattungen bis zu 50.000 Euro kosten könnten, haben sie einen Aufruf gestartet und viele, viele Menschen haben gespendet. Das war überwältigend“, so Frau Paeschke. Wenn Geld übrig bleibe, wolle sie es an ein Kinderhospiz spenden: "Ich hoffe, das ist im Sinne der Spender. Im Hospiz können sich Eltern von ihren sterbenden Kindern verabschieden – wir konnten das nicht."

Im Tod vereint: Schwestern haben ein gemeinsames Grab

Zehn Tage nach ihrem Tod konnten die Eltern endlich Abschied nehmen. Ein deutsches Bestattungsunternehmen habe sich um die Überführung ihrer Töchter gekümmert. Ohne deren Hilfe, sagt Anka Paeschke im Gespräch mit der MZ, hätten sie vor der spanischen Bürokratie kapituliert.

Ihre Kinder noch einmal sehen und berühren zu können, sei „irgendwie auch befreiend" gewesen, so Matthias Paeschke. "Als wir die beiden sahen, herrschte Klarheit. Hätten die Spanier Vanessa und Hannah verbrannt und uns die Urnen übergeben - wir hätten niemals unseren Frieden gefunden." Bei einem Trauergottesdienst nahmen Familie, Freunde und Bekannte Abschied. Die Urnen der Schwestern fanden in einem gemeinsamen Grab ihre letzte Ruhe. (cwa)