Wann packen wir unsere Klischees endlich in die Schublade?
"Ungepflegt": Riccardo Simonetti wehrt sich gegen User-Kommentare

Sie stutzen kurz, wenn ein Mann geschminkt und mit Federn und Pailletten im TV sitzt? Dann denken Sie noch mal darüber nach. Im Jahr 2023 sollte das doch total normal sein. Oder doch nicht? Diese Erfahrung muss aktuell (mal wieder) Entertainer Riccardo Simonetti (30) machen und sich mit fiesen Kommentaren auseinandersetzen. Unsere Autorin fragt sich: Wann packen wir unsere Klischees in die Schublade – und lassen sie für immer darin? Ein Kommentar.
Riccardo Simonetti ist ein Leuchtturm für die LGBTQIA-Community

409 000 Menschen folgen ihm bei Instagram. 409 000 Menschen, die Riccardo anbeten, seinen Look feiern, sein Make-up lieben und seine Meinung schätzen. Ja, der 30-Jährige gehört zwar zu Deutschlands Internet-Elite, ist aber nicht irgendein Social-Media-Phänomen, sondern vor allem: ein Aktivist. Mit flirrenden Looks, die Geschlechtergrenzen sprengen, wehendem Haar und ehrlichen Posts. Seine Message: Sei du selbst!
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Und diese Message lebt der Entertainer! Riccardo zelebriert sein Anderssein und macht Mut, indem er seine Lebensgeschichte erzählt. Denn: Als Jugendlicher in Bad Reichenhall musste er als „schwuler Junge in der bayrischen Provinz“ hart einstecken, wurde gemobbt und sogar, ja wirklich, angezündet. Statt sich aber kleinzumachen, macht er sich für die groß, denen es genauso geht. Durch seine Reichweite ist er eine Art Leuchtturm für die LGBTQIA-Community (steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, Queer, Intersex, Asexual) geworden. Einer, der Signale sendet. So auch nach seinem Auftritt beim Eurovision Song Contest Vorentscheid, wo der 30-Jährige offensichtlich für viel Gesprächsstoff gesorgt hatte.
Mode und Politik - schließt sich das aus?
Als Riccardo am Samstagabend (4. März) neben Barbara Schöneberger, Florian Silbereisen und Ilse DeLange beim Vorentscheid des Eurovision Song Contest saß, schmückte er die Couch mit Leben. Ein rosafarbener Zweiteiler, mit Pailletten und Federn verziert. Sein Lidschatten passt perfekt zu seinem Look, die Haare – wie immer – gelockt. Ganz objektiv betrachtet: ein stimmiger Look!
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Subjektiv gesehen muss ich gestehen: Riccardo setzt mit seinem Style nicht nur ein modisches, sondern auch politisches Statement. An alle, die immer noch behaupten, dass sich diese zwei Themen ausschließen, leben nicht im Jahr 2023. Das bewiesen schon die Politikerinnen Kamala Harris (58) oder Alexandria Ocasio-Cortez (33), die mit ihren weißen Anzügen für eine modisch-politische Revolution sorgten. Denn seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Frauenrechtsbewegung der Suffragetten, die für das Frauenwahlrecht kämpfte, in Großbritannien und später in Amerika weiß als ihre Farbe reklamiert. So auch Riccardo.
Riccardo Simonetti: Es wird immer Leute geben, die sich daran stören
Für viele da draußen aber wohl ein Dorn im Auge, wie der Entertainer bei Instagram zeigte. So postete der 30-Jährige eine ganze Galerie von seinem Look – unterlegt mit lauter wichtigen Nachrichten, die wir alle lesen sollten.
Auf Kommentare wie diese: „Hey Riccardo, nicht böse gemeint, aber leider sieht dein Bart sehr ungepflegt auf. Wäre nur zu empfehlen, den vor der nächsten TV-Show etwas zu pflegen“, oder „Musst du immer so übertrieben gestylt sein? Du bist ein Mann, soweit ich weiß … weniger ist mehr … nicht böse gemeint“, reagiert der „Raffi und sein pinkes Tutu“-Autor so: „Es ist völlig egal, wie sehr man sich anstrengt, sobald man der Welt zeigt, wer man ist und sich nicht hinter Stereotypen versteckt, wird es immer Leute geben, die sich daran stören. Das ist in meinem Leben nicht anders. Deshalb – gar nicht erst versuchen alle zufriedenzustellen und einfach darauf gucken, dass man selbst happy mit sich ist. Das ist schon schwierig genug, ist aber langfristig zufriedenstellender als die Gunst deiner Hater für dich gewinnen zu wollen.“
Im Video: Riccardo Simonetti über Fetisch, Follower und schlimme Dates
Doch damit nicht genug. Riccardo ist bekannt dafür, die Dinge bei der Wurzel zu packen und steigt somit tiefer in die Materie ein und spricht dabei ein unheimlich wichtiges Thema an: „Mein Bart ist gepflegt. Mein ganzer Körper ist gepflegt. Aber egal, wie sehr ich mich pflege, das Problem ist nicht das Level an Gepflegtheit, sondern die Tatsache, dass da überhaupt ein Bart ist, der ihre Vorstellungen von Gender ins Wanken bringt. Wenn Menschen denken, mein Bart oder meine Körperbehaarung wären ungepflegt, dann passiert das ganz oft, weil sie auf mich denselben Beauty-Standard anwenden, den sie von Frauen in der Gesellschaft erwarten. So nach dem Motto ‘wenn Man(n) schon so viel Make-up trägt und so aussieht, dann dürfen da auch keine Haare und kein Bart sein’. Weil es sie bei Frauen auch stört, wenn sie nicht komplett haarlos sind. [...] Frauen haben genauso das Recht, Haare an allen möglichen Stellen wachsen zu lassen, wie Männer das Recht haben, sich zu schminken und nur weil das manchen Menschen nicht gefällt, muss die Person nichts an sich ändern.“
Ganz ehrlich? Mir machen diese Worte Mut. Mut, zu mir selbst zu stehen. Mut, mich so zu zeigen, wie ich bin. Und wenn wir nur alle ein wenig ehrlicher zu uns selbst wären, dann würden wir doch erkennen, dass wir alle mal einen Pickel, kein Bock auf eine Rasur oder gewaschene Haare haben. Genau so gibt es aber auch Tage, an denen wir Lust auf High-Heels, Glitzer und Federn haben. Und das ist beides vollkommen in Ordnung!