Drama-Dämonen im Traum

Shiffrin kämpft nur (noch) mit sich

 220211 -- BEIJING, Feb. 11, 2022 -- Mikaela Shiffrin of the United States competes during alpine skiing women s Super-G of Beijing 2022 Winter Olympics at National Alpine Skiing Centre in Yanqing District, Beijing, capital of China, Feb. 11, 2022.  BEIJING2022CHINA-BEIJING-OLYMPIC Winter games, Winterspiele,Spiele, Summer games ALPINE SKIING-WOMEN S SUPER-G CN ChenxYichen PUBLICATIONxNOTxINxCHN
Mikaela Shiffrin erreichte im Super-G zum ersten Mal das Ziel bei diesen Olympischen Spielen.
www.imago-images.de, imago images/Xinhua, Chen Yichen via www.imago-images.de
von Tobias Nordmann

Mikaela Shiffrin sollte bei den Olympischen Spielen in Peking eine Hauptrolle einnehmen. Mindestens zwei Goldmedaillen schienen für die Amerikanerin wahrscheinlich, mehr sogar möglich. Doch die 26-Jährige verliert plötzlich ihre Selbstverständlichkeit - auch im Super-G.

Shiffrin erreicht zum ersten Mal das Ziel

Vor den Olympischen Spielen hätte man auch nicht erwartet, dass der folgende Umstand eine Nachricht ist: Der amerikanische Ski-Superstar Mikaela Shiffrin hat im Super-G das Ziel erreicht. Im dritten alpinen Wettbewerb der Frauen beim größten Sportfest der Welt brachte die 26-Jährige ihren Lauf tatsächlich erstmals zu Ende.

Anders als im Riesenslalom und im Slalom, als sie jeweils nach wenigen Sekunden ausgeschieden war. Zwei Fehler, die zum Drama hochgeschrieben worden waren. Nicht völlig zu Unrecht. Denn Shiffrin ist seit Jahren die beste Skifahrerin der Welt. Kaum eine andere Athletin bringt das Gefühl, die Technik, die Kraft und die mentale Stärke so perfekt zusammen wie sie.

Shiffrin will "vieles in Frage stellen"

Eigentlich. In den Tagen von Yanqing ist alles anders. Die Amerikanerin, die in sechs Wettbewerben antreten wollte (und das vielleicht auch noch tut), kämpft nicht um Olympiasiege, die Amerikanerin kämpft in diesen Tagen mit sich selbst. Was sie nun an diesem Freitag fühlte, als sie endlich über die rote Linie gefahren war? Sie hob langsam den Kopf, atmete tief durch. Emotionen im Ziel? Keine. Enttäuschung? Erleichterung? Vielleicht beides. Auf der Strecke wirkte diese brillante Fahrerin verunsichert. Auf der Kampflinie war sie nicht unterwegs, zweimal rutschte ihr der Außenski aggressiv weg. Zum Glück blieb das ohne (Sturz)-Folgen.

Nach dem Doppel-Schock, und nichts anderes war es, in den Paradedisziplinen Riesenslalom und Slalom bekannte sie, dass sie nun "vieles infrage stellen" müsse. Eine Ansage, die angesichts ihrer bislang so phänomenalen Karriere eher seltsam klingt. 73 (!) Weltcup-Rennen hat die Frau aus Vail in Colorado bereits gewonnen. Nur eine Frau war in der Geschichte des alpinen Skisports erfolgreicher: die legendäre Lindsey Vonn (77 Siege).

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Ein "schreckliches Gefühl"

Was also ist los bei Mikaela Shiffrin? Diese Frage schwebt über den Olympischen Spielen. Ob sie in Peking noch beantwortet wird? Niemand weiß es. Die Amerikanerin wird von der Suche nach einem Ausweg gequält, immer und überall. "Ich hatte letzte Nacht einen Traum", begann die 26-Jährige am Freitag ihre Geschichte. "Der Traum hat sich immer wiederholt. Ich bin aufgewacht, eingeschlafen und habe dasselbe nochmal geträumt. Ich habe geträumt, dass ich das fünfte Tor verpasse - Überraschung", bekannte sie selbstironisch und sprach von einem "schrecklichen" Gefühl. Dass sie überhaupt sprach, dürfte viele überrascht haben. Denn eine Sprecherin des US-Teams hatte zuletzt angekündigt, dass die Ski-Dominatorin der vergangenen Jahre "in absehbarer Zukunft" keine weiteren Medientermine mehr wahrnehmen und sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen werde. Dieser Satz hatte wilde Spekulationen ausgelöst, manche Medien interpretierten sogar eine vorzeitige Abreise hinein.

Den Super-G beendete Shiffrin übrigens auf Rang neun. Der Sieg ging an Lara Gut-Behrami aus der Schweiz. Sie war eine der großen Favoritinnen. Neben der neuen Olympiasiegerin standen zwei Überraschungsgäste auf dem Podest: Mirjam Puchner aus Österreich und Michelle Gisin, ebenfalls eine Schweizerin. Snowboard-Königin Ester Ledecka, die vor vier Jahren in Pyeongchang sensationell auch zu Gold im Super-G gefahren war, belegte nach ihrem erneuten Olympiasieg auf einem Brett diesmal Rang fünf (+0,43). Platz neun für Shiffrin, knapp acht Zehntel Rückstand auf Gold, das ist für ihre Verhältnisse bestenfalls okay. Aber darum geht es in diesen Tagen auch nicht (mehr).

Im Zielraum lächelt sie

Shiffrin hat zwischen den Weltcups und der Reise nach China irgendwo ihr Selbstvertrauen verloren, das Gefühl, dass sich Dinge auf den Brettern wie selbstverständlich fügen. Ob das Thema Druck dabei eine Rolle spielt? Der Druck, ihrer erfolgreichen Laufbahn den nächsten Superlativ zu verpassen? Die Geschichte des Sports hat immer wieder gezeigt, wie fatal eine solche Überlastung der Erwartungen enden kann. Äußerst prominente Beispiele dafür gab es im vergangenen Jahr, als die Systeme von Tennisstar Naomi Osaka oder Turn-Legende Simone Biles plötzlich überlastet waren.

Und auch Shiffrin selbst kann davon berichten. 2014, als 18-Jährige, war sie der befreit auffahrende Super-Teenie, 2018 die (gescheiterte) Topfavoritin. Die Ausgangslage war daher in Peking anders, der Druck noch mal deutlich größer. Zu groß? "Da fragt man besser einen Psychologen", antwortete sie nach dem Fünf-Sekunden-Aus im Slalom auf eine entsprechende Frage. Nun schweigt sie. Und setzt auf die Kraft der Bilder. Im Zielraum lag sie für einen Moment in den Armen der Silber-Schweizerin Gisin, unter der Maske war ein Lächeln zu erkennen. Und es sah nicht gequält aus. Vielleicht war es ja tatsächlich auch für Shiffrin eine gute Nachricht,