Mehrere Erklärungsansätze

Was steckt hinter dem Rekord-Regen?

Sport Bilder des Tages 210803 Karsten Warholm of Norway celebrates after running on a new world record in men s 400 meter hurdle final during day 11 of the Tokyo 2020 Olympic Games, Olympische Spiele, Olympia, OS on August 3, 2021 in Tokyo. Photo: Jon Olav Nesvold / BILDBYRAN / COP 217 / JM0185 bbeng friidrott athletics friidrett olympic games olympics os ol olympiska spel olympiske leker tokyo2020 tokyo 2020 tokyo-os tokyo-ol norge norway jubel *** 210803 Karsten Warholm of Norway celebrates after running on a new world record in men s 400 meter hurdle final during day 11 of the Tokyo 2020 Olympic Games on August 3, 2021 in Tokyo Photo Jon Olav Nesvold BILDBYRAN COP 217 JM0185 bbeng athletics athletics athletics olympic games olympics os ol olympic games olympic games tokyo2020 tokyo 2020 tokyo os tokyo ol norway norway cheers, PUBLICATIONxNOTxINxSWExNORxAUT Copyright: JONxOLAVxNESVOLD BB210803JE037
Karsten Warholm nach seinem Rekordlauf über die 400 m Hürden.
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Die Leichtathletik-Wettbewerbe der Olympischen Spiele in Tokio sind Rekord-Festspiele. Eine Wahnsinns-Zeit folgt gerade der nächsten. Wie ist das möglich? Im Fokus stehen eine spezielle Superbahn, Hightech-Spikes und das Talent der Athletinnen – oder ist da noch mehr?

Wie geht das?

Dunkle Geheimnisse, hilfloses Rätselraten, triftige Erklärungen: Die fabelhaften Leichtathletik-Rekorde und -Bestzeiten am laufenden Band in den olympischen Rennen in Tokio verblüffen angesichts der Dimensionen. Sie werfen die Frage auf: Wie geht das? Es gibt drei plausible Gründe für die Leistungssprünge: Die beflügelnde, energierückführende Laufbahn im Olympiastadion, Hightech-Spikes und das Talent von Athleten. Hinzu kommt die Mutmaßung: Auch Doping!

In 45,94 Sekunden durchbrach der Norweger Karsten Warholm über 400 Meter Hürden die 46-Sekunden-Schallmauer und in seinem Sog rasten auch Rai Benjamin (46,17) und Alison dos Santos (46,72) in den absoluten Grenzbereich der Disziplin. Es sei, als wäre Warholms Sensationszeit „bei reduzierter Schwerkraft auf dem Mond“ erzielt worden, schreibt die „Neue Züricher Zeitung“.

Energierückgabe wie bei einem Trampolin

 Mandatory Credit: Photo by Dave Shopland/Shutterstock 12248465bf Great Britain win their 4 x 100m relay heat Athletics, Olympic Stadium, Tokyo Olympic Games, Olympische Spiele, Olympia, OS 2020, Japan - 05 Aug 2021 Athletics, Olympic Stadium, Tokyo Olympic Games 2020, Japan - 05 Aug 2021 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTXHUNxGRExMLTxCYPxROMxBULxUAExKSAxONLY Copyright: xDavexShopland/Shutterstockx 12248465bf
Der besondere Boden von Tokio.
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Einer leichtathletischen Mondlandung kamen auch die 51,46 Sekunden nahe, die die US-Amerikanerin Sydney McLaughlin am Mittwoch ebenfalls über 400 Meter Hürden gerast ist. Damit verbesserte die 21-Jährige ihren Ende Juni aufgestellten Weltrekord um 44 Hundertstelsekunden. Als Zweite blieb auch Ex-Weltrekordlerin Dalilah Muhammad (USA/51,58) ebenfalls klar unter der alten Bestmarke. Bronze mit dem Europarekord von 52,03 Sekunden holte die Niederländerin Femke Bol.

Statt außerirdische Kräfte ins Spiel zu bringen, muss man zunächst beim Boden bleiben - der von der italienischen Firma Mondo in dreijähriger Tüftelei entwickelten Laufbahn im Olympiastadion von Tokio. Sie soll Schubkraft wie nie zuvor geben.

Die Oberfläche besteht aus dreidimensionalen Gummikörnchen, die eine Stoßdämpfung und eine Energierückgabe ermöglichen, wie „bei einem Trampolin“, erklärte Mondo-Entwickler Andrea Vallauri der „New York Times“. Bestätigt wird das von McLaughlin: „Manche Bahnen absorbieren einfach den Aufprall und die Bewegung. Diese hier regeneriert sie und gibt sie zurück.“ Die italienische Firma hat zwölf Olympia-Bahnen konzipiert. Das Tokio-Modell ist der Renner.

Viel hätte nicht gefehlt und Elaine Thompson-Herah wäre auf dem Belag unsterblich geworden. In 10,61 Sekunden über 100 Meter kam sie dem Uralt-Weltrekord von Florence Griffith-Joyner (USA/10,49) so nahe wie keine andere zuvor. An der Bahn lag es nicht. „Ich hätte schneller laufen können, wenn ich nicht so früh auf die Ziellinie gezeigt und gefeiert hätte“, sagte die Jamaikanerin, die auch bei ihrem Sieg über 200 Meter in 21,53 Sekunden Werbung für den schnellen Untergrund machte.

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Was die Formel 1 mit den Schuhen zu tun hat

Die Schuhe von Warholm
Die Schuhe von Karsten Warholm
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„Sobald man auf der Bahn steht, lassen sie ihrer Magie freien Lauf. Das ist schon Wahnsinn“, sagte Lisa Marie Kwayie nach ihrem Aus im 200-Meter-Halbfinale über die übermächtigen Konkurrentinnen. Die Berlinerin wurde in 23,42 Sekunden Letzte.

Das Wettrennen um Rekorde und Topzeiten für die Ewigkeit wird aber auch durch modernes Hightech-Schuhwerk beschleunigt. Reaktive Schaumstoffe, Kohlenstofffasern und Karbonplatten sind die Materialien, die aus nicht mehr als 132 Gramm wiegenden Spikes mit Titan-Dornen einen Formel-1-Schuh für Sprinter machen: Mit Rückfederung und damit Vorwärtsantrieb.

Warholms Schuhe wurden mit Renningenieuren des Formel-1-Teams Mercedes Hightech-Spikes entwickelt, die neben Warholm unter anderen auch der kanadische Sprinter Andre De Grasse trägt.

Blitzschnelle Bahn, rasante Spikes: Davon profitierte auch Italiens Sprint-Olympiasieger Lamont Marcell Jacobs, der über 100 Meter aus dem Nichts in 9,80 Sekunden den Europarekord verbesserte. Unerwartetes befördert in der Leichtathletik aber auch konkrete Zweifel, ob Rekorde und Siege nur auf technischem Fortschritt, Training und Talent basieren - oder ihnen auch mit verbotenen Mitteln nachgeholfen wird.

Anti-Doping-System stand teilweise still

In der Pandemie gab es Monate, in denen das globale Anti-Doping-System stillstand. „Das hat Türen geöffnet“, betont der deutsche Athletensprecher Max Hartung. Das Internationale Olympische Komitee hat im vergangenen halben Jahr mit Hilfe der Internationalen Test-Agentur (Ita) das umfangreichste vorolympische Kontrollprogramm initiiert. Von 25.000 Empfehlungen, welcher Olympia-Starter wann, wo und wie oft getestet werden soll, seien laut Ita rund 80 Prozent umgesetzt worden.

Besonders viele Doping-Sünder wurden dabei in Nigeria ausfindig gemacht, nämlich zehn Athleten. Ein Fall wie der der Sprinterin und Weitspringerin Blessing Okagbare zeigt, wie mutmaßlich bedenkenlos alles für den illegalen Erfolg eingenommen wird. Sie wurde bei den Tokio-Spielen bei einer Dopingkontrolle positiv auf das menschliche Wachstumshormon getestet und aus dem Starterfeld genommen.

„Ich habe nach den vielen Fällen den Eindruck, dass das Wachstumshormon auf eine wissenschaftlich nicht leicht nachweisbare Weise eine Leistungssteigerung bewirkt und eine Art Ganzkörper-Doping ist“, erklärt Doping-Experte Fritz Sörgel. „Es fördert den Fettabbau, was ebenfalls vorteilhaft für die Leistung ist.“ Es fördert aber auch die Vorstellung, dass trotz aufwendiger Anti-Doping-Maßnahmen vieles im Verborgenen möglich ist. (msc/dpa)