Kein Ärger für Star, aber ...

Farahs Lebenslüge ist ein Fall für die Polizei

FILE - Britain's Mo Farah celebrates after winning the One Hour Men's race, at the Diamond League Memorial Van Damme athletics event where he set a new world record, at the King Baudouin stadium in Brussels on Friday, Sept. 4, 2020. It is hard to be first. Mo Farah this week went from being a gold medal-winning runner to the most prominent person ever to come forward as a victim of people trafficking. The four-time Olympic champion’s decision to tell the story of how he was exploited as a child gives a face to the often faceless victims of modern slavery, highlighting a crime that is often conflated with illegal immigration.  (AP Photo/Francisco Seco, File)
Mo Farah
VM FS, AP, Francisco Seco

Nach der Enthüllung von Lauf-Star Sir Mo Farah, jahrzehntelang seine wahre Identität geheimgehalten zu haben, prüft die Londoner Polizei den Fall. Es geht um die Behauptung, dass er Opfer des Menschenhandels wurde, nachdem seine Mutter ihn weggegeben hatte, um dem Bürgerkrieg in seinem Geburtsland Somalia zu entkommen.
Ein Sprecher der Polizei sagte: "Wir sind uns der Berichte in den Medien über Sir Mo Farah bewusst. Dem MPS (Metropolitan Police Service, Anm.d.Red.) wurde zu diesem Zeitpunkt nichts gemeldet." Spezialisierte Beamte haben eine Untersuchung eingeleitet und "werten die verfügbaren Informationen aus", so die Ermittlungsbehörde weiter.

"Das ist mein Land"

Vonseiten Großbritanniens aber hat der 39-Jährige keine Konsequenzen zu befürchten. Es werden "keinerlei Maßnahmen gegen Sir Mo ergriffen, und es ist falsch, etwas anderes zu behaupten", sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Das Land, für das er international so erfolgreich war, steht zu ihm. Das macht Farah glücklich: "Ich bin erleichtert: Das ist mein Land", sagte er dem BBC-Radio. "Kein Kind möchte in dieser Situation sein. Diese Entscheidung wurde mir abgenommen. Und ich bin einfach dankbar für jede Chance, die ich in Großbritannien bekommen habe, und stolz darauf, mein Land so zu repräsentieren, wie ich es getan habe, denn das war alles, was ich tun konnte, was in meiner Macht stand. Als ich jünger war, hatte ich keine Kontrolle."

25 Medaillen hat er bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften gewonnen, unvergessen bleibt das Double-Double, als er sowohl bei den Olympischen Spielen 2012 als auch vier Jahre später jeweils Gold über 5000 und 10.000 Meter gewann. Die Queen schlug ihn dafür 2017 zum Ritter, seitdem darf er den Titel "Sir" tragen.

"Das ist nicht die Wirklichkeit"

Jahrzehntelang hatte er erzählt, als Flüchtling mit seiner Mutter und zwei seiner Brüder aus Somalia nach Großbritannien gekommen zu sein. Dem Land, in dem sein Vater, ein IT-Berater, bereits zuvor gearbeitet habe. Sogar eine Biografie veröffentlichte der Laufheld, sie beinhaltet ebenfalls diese falsche Darstellung der Realität. Denn in einer nun veröffentlichten BBC-Dokumentation hat Farah zugegeben, dass sein ursprünglicher Name Hussein Abdi Kahin sei: "Die meisten kennen mich als Mo Farah, aber das ist nicht mein Name, das ist nicht die Wirklichkeit."

Sein Vater habe nie in Großbritannien gelebt, sondern sei im Bürgerkrieg Somalias getötet worden, als Farah vier Jahre alt war. Er sei im Alter von acht oder neun Jahren unter dem Falschnamen "Mohamed Farah" illegal nach Großbritannien geschleust worden. Er habe sich in einer Familie in sklavenähnlichen Verhältnissen um noch jüngere Kinder kümmern, habe Kochen und Putzen müssen, "um überhaupt etwas zu Essen zu bekommen". Ein Dokument mit den Kontaktinformationen seiner Verwandten habe eine Frau vor seinen Augen zerrissen. Ihm sei gedroht worden, er würde seine Familie nie wieder sehen, wenn er die Wahrheit erzählt. Die Londoner Polizei werde nun vermutlich das Ehepaar befragen, berichtet der "Daily Telegraph".

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Er hat Kontakt zu seiner Mutter

Seinem damaligen Sportlehrer, Alan Watkinson, hatte sich Farah anvertraut, ihm von der katastrophalen Situation erzählt, in der er lebte. "Ich glaube nicht, dass Alan da irgendetwas falsch gemacht hat", sagte Farah dem BBC-Radio. "Alan hat sich an den Sozialdienst gewandt", der hat ihn an eine andere Familie vermittelt, Farah ist so seinem Leben als Diener entkommen. Im Jahr 2000 war es dann so weit: Mithilfe Watkinsons erhielt Farah die britische Staatsbürgerschaft, mit dem Namen, den er bekam, als er nach Großbritannien geschleust wurde. Die Verbindung zu seinem Sportlehrer, der ihm in der Schule erst bei der Eingewöhnung und später noch so viel mehr half, hielt: 2010 war er sogar Farahs Trauzeuge bei dessen Hochzeit mit seiner Frau Tania Nell.

Farah ging jetzt mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit, weil er den Zuspruch seiner Frau und seiner Kinder bekam. "Die Familie bedeutet mir alles, und als Elternteil bringt man seinen Kindern immer bei, ehrlich zu sein, aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich nie ganz ich selbst sein und sagen konnte, was wirklich passiert ist", sagte er der BBC. "Ich habe es so lange für mich behalten, dass es schwierig war, weil man es nicht wahrhaben wollte, und meine Kinder fragen oft: 'Papa, wie kommt das?' Und man hat immer eine Antwort auf alles, aber darauf hat man keine Antwort."

Die Drohung der Familie, bei der Farah lebte, wurde übrigens nicht wahr: Der Lauf-Star steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Mutter Aisha und seinen Geschwistern in Somaliland, einer halbautonomen Region Somalias. (ntv.de/lgr)