Was uns wirklich attraktiv macht
Müllmann statt Traummann? Warum wir unser Schubladendenken überdenken sollten

Haben Sie schon mal überlegt, ob es einen Unterschied in Ihrer Phantasie macht, ob ein Lokführer oder ein Pilot vor Ihnen steht? Machen Sie mal die Augen zu und stellen Sie sich einen Piloten vor. Uniform. Rollkoffer. Mütze. Genau die richtige Größe, breite Schultern, blaue Augen. Catch me if you can. Verdammt.
Pilot vs. Lokführer - wer gewinnt?
Und jetzt stellen Sie sich einen Lokführer vor. Okay. In meiner Vorstellung trägt der Lokführer eine Warnweste in Neongelb und hat ein Bäuchlein. Er hat eine Trillerpfeife im Mund und trägt eine Umhängetasche mit einem Brötchen drin.
Ich fühle mich schlecht, wenn ich solche Klischees im Kopf habe. Beide Männer haben große Verantwortung, mit hoher Geschwindigkeit steuern sie ein hoch effektives Fortbewegungsmittel. Menschen werden von ihnen transportiert und vertrauen ihnen. Beide sind absolut gleichwertig in ihrer Aufgabe und Funktion. Und trotzdem werde ich irgendwie das Gefühl nicht los, dass der eine einen superattraktiven Eindruck macht und der andere so naja… was soll ich sagen… eher nicht.
Und das Schlimme ist ja, dass ich weiß, dass ich gar nichts über ihre innere Werte sagen kann. Ob der eine oder der andere ein guter Mensch ist, ob er ein warmherziger Familienvater mit Hobbyraum ist. Vielleicht ein Frauenversteher oder doch eher ein sexy Aufreißer. Und jetzt hab ich Sie - was haben Sie denn bitte mit wem in Verbindung gebracht? Ha!
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Attraktiv oder nicht: Wie viel macht der Beruf aus?

Ich saß mal mit einer Freundin auf einem belebten Platz, wir wollten Menschen angucken und den Abend genießen. Es wurde etwas später, wir hatten Wein getrunken und beobachteten ein paar junge Kerle gegenüber auf der Bank. Der eine schaute immer wieder zu mir herüber. Konnte das sein? Ich zu der Zeit mal wieder Single und wie immer mehr oder weniger auf der Suche nach dem Traumprinzen. Auch meiner Freundin fiel auf, dass der eine Typ mich immer wieder anschaute. Zuckersüß. Er passte rein äußerlich in mein Beuteschema.
Über die Attraktivität eines Berufes hatte ich mir zur damaligen Zeit noch nie Gedanken gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt.
Der hübsche Typ kam auf mich zu. Meine Freundin begriff sofort und machte sich auf den Weg zum stillen Örtchen, um ihm die Chance zu geben, mir ohne den kritischen Blick der BFF näher kommen zu können. Er setzte sich.
"Ich bin Müllmann!", sagte er
„Ich bin Paul.“ Oh, was für ein schöner Name, dachte ich. Wir kamen ins Gespräch. Wir plauderten über den Sommer, die Wärme, das Wetter im Allgemeinen. Irgendwann fragte er mich, was ich beruflich machen würde. Ich erzählte mit Begeisterung von meiner Ausbildung, dem langen Weg zum Journalismus, von der Psychologie. Seine Augen wurden immer größer. Ich erzählte ihm, welche großen Veranstaltungen ich moderiere. Ich wollte ihn überzeugen. Ich wollte ihm zeigen: Ich bin erfolgreich, ich habe einen interessanten Beruf, ich bin nicht nur hübsch, sondern auch klug! Nach meinem egoistischen Monolog fragte ich ihn, was er beruflich mache. Seine Antwort ließ mich schockiert und mich selbst hinterfragend zurück.
„Ich bin Müllmann“, sagte er. „Ich sorge dafür, dass die Tonnen abgeholt werden. Die gelben.“ Was soll ich sagen? Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Wie riecht es hinter einem Müllauto? Trägt er eine orangefarbene Hose? Wie duftet er, wenn er von der Arbeit kommt? Verdient er genug? Was würden meine Freunde sagen? Und noch schlimmer - meine Eltern? Damals noch wesentlich jünger und unreflektierter stammelte ich rum, sagte, dass ich jetzt leider nach Hause müsse. Als er mir noch seine Nummer geben wollte, lehnte ich ab. Natürlich kam ich mir fies vor, aber ich verdrängte mein ekelhaftes Schubladendenken erfolgreich für die kommenden Jahre auf der Suche nach dem Traumprinzen - oder eben dem Piloten.
Jeder von uns denkt in Schubladen
Fazit: Im Kopf hat jeder von uns eine gewisse Erwartungshaltung, was das Gegenüber betrifft. Klassisches Schubladendenken. Werte und Charaktereigenschaften, Wesenszüge und Verhalten. Ich hatte damals andere als heute und habe daraus gelernt. Und trotzdem darf ich wählerisch sein.