60 Jahre nach Grubenunglück in Lengede
Letzter Überlebender Adolf Herbst (80): „Für mich begann ein zweites Leben"

„Vergessen geht nicht!“
Die Erinnerung an das Grubenunglück vor 60 Jahren sitzen bei dem 80-Jährigen tief. 14 Tage lang ist Adolf Herbst unter Tage gefangen. Im Interview mit RTL spricht er darüber, wie er die Zeit erlebt hat und warum er den Tag seiner Rettung jedes Jahr feiert wie einen zweiten Geburtstag.
Herbst: „Ich war ja kein Bergmann, ich war nur Monteur"
Eigentlich sollte Adolf Herbst schon gar nicht mehr in der Grube sein, als es zu dem Unglück kommt. Der damals 20-Jährige arbeitet bei Siemens als Starkstrommonteur und soll in Lengede an einer Pumpenanlage arbeiten. „Ich brauchte nur ein bisschen länger mit der Arbeit. Und da habe ich noch einen Tag drangehängt.“ Aber auch an dem verhängnisvollen Donnerstag wird er nicht fertig und hängt noch eine Schicht hinten dran.
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Um 20.00 Uhr kommt er endlich aus dem Pumpenraum. Geschafft von seiner Doppelschicht will der junge Herbst nur noch zurück nach oben. Raus aus der Grubenarbeiter-Kluft, Duschen und etwas essen. Doch als der Monteur am Aufzug ankommt, bemerkt er, dass etwas nicht stimmt.
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Überlebender: „Keiner wusste, wo das Wasser herkommt"
„Noch kein Wasser, das kam sehr viel später erst“, erinnert sich Herbst. Stattdessen spürt er als erstes den starken Luftdruck, der ihm auf die Ohren schlägt. Beunruhigt wollen auch die Bergarbeiter zurück nach oben. Doch mit dem Fahrstuhl kommen sie nicht weit! Weil langsam Wasser in den Stollen läuft, versagt die Technik. Erschöpft nach seinem langen Arbeitstag humpelt Adolf Herbst den Männern hinterher. In dem dunklen, verzweigten Bergwerk will er nicht den Anschluss verlieren.
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Hinter der nächsten Kurve kommt ihnen plötzlich das Wasser entgegen! Und damit auch Geröll und Holzstücke, die in dem schnell fließenden Strom wie Geschosse zwischen den Beinen der Männer durchgeschossen seien, erklärt der heute 80-Jährige. Der Pegel steigt und steigt, mit 20 anderen versucht Herbst auf immer höhere Stellen in dem Schacht zu kommen. In einem versteckten Stollen, dem sogenannten „Alten Mann“, finden sie schließlich Zuflucht vor den Wassermassen.
Herbst glaubt fest an die Rettung

In dem Seitenstollen ist die Gefahr vor dem Wasser gebannt, aufatmen können die Berg-Kumpel und der Monteur aber nicht. Immer wieder brechen lockere Steinplatten und Geröll aus der Decke des ungesicherten Stollens. „Wir hatten keinen Sauerstoff, ist man bewusstlos geworden oder hat geschlafen. Alle Lampen, die wir hatten, haben wir angelassen – alle alles vergessen, nur hinschmeißen, liegen bleiben“, so Herbst. Bald haben ihre Lampen kaum noch Batterie, in der Höhle ist es stockfinster.
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Die Stunden und Tage vergehen ohne ein Zeichen auf Rettung. „Der achte Tag hat schon richtig an den Nerven gezerrt, dass man schon apathisch wurde“, so der ehemalige Monteur. Einige Männer und auch er selbst hätten angefangen zu fantasieren, sich Stimmen einzubilden, die ihnen Fluchtwege vorschlagen: „Wir holen euch nach oben raus war für mich so eine Stütze, so ein Festhalten.“ Der Satz wird für Herbst zu einem Mantra, das ihm Kraft gibt, bis nach 14 Tagen schließlich die verblieben elf Überlebenden von oben aus dem Stollen gerettet werden.
Adolf Herbst: „Das Leben anders zu sehen heißt, genauer und bewusster zu leben.“

Der 7. November ist für Adolf Herbst seitdem wie ein zweiter Geburtstag. „Für mich begann das zweite Leben. Das war jetzt das Wichtigste.“ Was in der Grube passiert ist, würde er am liebsten ganz vergessen. „In der Form ist das nicht einfach abzuhaken. Man schleppt das schon eine ganze Weile mit sich rum.“ Es sind vor allem die Nächte, die schlimm für ihn sind. Viele Erinnerung an das Unglück hat Herbst deshalb in seinem Kopf weggesperrt.
Heiraten, eine Familie gründen – Gedanken, die Herbst nach dem Unglück nach vorne bringen. Einen Monat nach seiner Rettung feiert er die Verlobung mit seiner Frau. Heute ist das Paar mit ihrem Leben zufrieden. Der Jahrestag der Rettung ist für sie mit viel Dankbarkeit verbunden. Das Unglück habe seinen Blick auf das Leben verändert, meint Herbst.