Buchstaben spielerisch kennenlernen
Lesen lernen: Warum wir schon Babys unbedingt vorlesen sollten

Als Eltern wollen wir das Beste für unser Kind und wollen es bestmöglich fördern. Und so fragen sich viele Mütter und Väter, wann der ideale Zeitpunkt ist, um mit der Leseförderung zu beginnen. Die überraschende Antwort von Daniel Schnock von der Stiftung Lesen: „Schon ganz, ganz früh: im ersten Lebensjahr.“ Und zwar durch Vorlesen.
55 Prozent der frisch gebackenen Eltern lesen ihrem Kind nicht vor

Eine Aussage, die viele Eltern verwundert und manchmal auch erschreckt, wie Schnock berichtet. Aber sie ist durch Studien belegt, die die Stiftung Lesen jedes Jahr durchführen lässt. So fanden die Forscher etwa 2017 heraus, dass 55 Prozent der frisch gebackenen Eltern ihren Kindern im ersten Lebensjahr nicht regelmäßig vorlesen.
Gemeint ist gar nicht, dass die Eltern lange Texte vortragen sollen. „Das fängt mit ganz kleinen Geschichten an, mit Reimen, mit Liedern. Wichtig ist, dass schon eine Vorlese-Erfahrung da ist und dass eine Interaktion mit Kindern stattfindet, auf die es am Anfang auch ankommt“, erklärt Daniel Schnock. „Simple Sprachförderung auf spielerische Weise - man kann gar nicht früh genug anfangen. Man nimmt Wörter, Satzstrukturen, Satzbau, Verbformen und den Aufbau von Geschichten wahr. Das passiert unbewusst, ist dann aber der Startvorteil beim Schulbeginn.“
Das kann Angela Kluczynski, stellvertretende Schulleiterin an einer Kölner Grundschule nur bestätigen: „Durch den regelmäßigen Umgang mit Büchern von klein auf gibt es später keine Hemmschwelle, sich ein Buch zu nehmen und zu lesen.“
Hörspiele hält der Daniel Schnock hingegen für eine „Notlösung“, weil hier keine Interaktion möglich ist. „Das Kind fragt beim Vorlesen nach, reagiert, sieht die Mimik des Vorlesenden“, erläutert der Experte und ermutigt Eltern, Fragen und Unterbrechungen auch zuzulassen. „So wird ein freudiger Umgang mit Geschichten angeregt. Diese Interaktion ist ganz wichtig für die kindliche Entwicklung und die Sprachentwicklung. Es geht auch um Quality-Time zwischen Eltern und Kind.“
Und um Rituale: „Wenn kleine Kinder vorgelesen bekommen, wollen sie oft die gleiche Geschichte wieder und wieder hören. Sie verbinden mit diesem Buch eine Art Heimat. Das schafft Vertrautheit und Geborgenheit, einen Wohlfühleffekt“, erklärt Angela Kluczynski.
Nicht alle Eltern lesen gerne oder gut - aber das macht nichts
„Wenn die Eltern das nicht gut können und es aus Scham oder Unvermögen nicht machen, überträgt sich das Problem auf die Kinder“, gibt Schnock zu bedenken. Schon deshalb sollten Eltern vorlesen, selbst wenn es nicht ihre größte Stärke ist. „Ich muss ja nicht gleich die ,Unendliche Geschichte‘ vorlesen. Es gibt viele einfachere Titel, etwa Pixi-Bücher. Die haben zum Teil nur 5, 6 oder 7 Seiten“, ermutigt der Mann von der Stiftung Lesen, die auch Wimmelbücher oder großformatige Bilderbücher empfiehlt. Da muss man gar nichts lesen, sondern sich Geschichten ausdenken – und drüber sprechen. Und man kann übrigens das Lesen auch als Erwachsener noch lernen.
Infos und Hilfe gibt’s beim kostenlosen ALFA-Telefon: 0800 – 53 33 44 55.
Wie bringt man die Kinder selbst ans Lesen?

Viele Kinder lassen sich gern noch lange vorlesen, andere wollen schon vor dem Schulbeginn mit dem Selberlesen loslegen, kennen mit fünf oder sechs Jahren schon erste Buchstaben und erkennen ihren Namen oder gar den anderer Kinder auf Brotboxen und an den Kleiderhaken in der Kita. Sollten Eltern dann nachhelfen, wenn das nicht der Fall ist?
Grundschullehrerin Angela Kluczynski weiß aus jahrzehntelanger Erfahrung, dass man den Leselernprozess zwar durch gezielte Übung unterstützen kann, „aber die Kinder müssen erstmal die Reife erlangt haben, um überhaupt damit anzufangen. Sie müssen die Buchstaben dafür gut können und müssen das Zusammenziehen der einzelnen Buchstaben verstanden haben, diese Verschleifung. Sonst zwingt man sie nur zu einer Aufgabe, die einfach nicht gelingen kann.“ Das führe nur zu großer Frustration. Die Pädagogin formuliert es zugespitzt so: „Die meisten Kinder gehen abends ins Bett – morgens stehen sie auf und können lesen.“
Durch das Lesenlernen verändert sich das Gehirn
Vorher aber laufen im Gehirn intensive Veränderungsprozesse ab. Lesen ist eine Kulturtechnik, muss also erlernt werden. Sehr stark vereinfacht könnte man sagen, dass bei diesem Prozess im Gehirn Verbindungen geschaffen werden – zunächst von einem Bild mit einer Information und einem Laut, also etwa von einem Haus mit dem Wissen, was das ist und dem Klang des Wortes. Später kommt dann noch die Information dazu, welche Buchstaben zusammengesetzt diesem Bild und dieser Lautverbindung zugeordnet werden können.
Eltern merken, dass ihr Kind sich auf den Weg in Richtung Lesen macht, wenn es Interesse zeigt an Buchstaben oder Wörtern, die es zum Beispiel auf Plakaten oder Schildern sieht oder wenn es seinen Namen wiedererkennt und vielleicht auch schon ein oder zwei andere oder Fragen dazu stellt.
Bloß nicht krampfig das Lesen beibringen
Daniel Schnock rät: „Eltern sollten gerade im Vorschulalter nicht versuchen, krampfig lesen zu üben. Man kann spielerisch drangehen, einzelne Buchstaben oder auch Wörter zu erkennen. Wenn man auf ein Bild von einem Affen zeigt und fragt: „Was ist das, mit welchem Buchstaben beginnt das?“ Wichtig ist, dass die Eltern Laute benennen und nicht Buchstaben, damit das Kind weiß, wie die Buchstaben ausgesprochen werden, also sagen, dass etwa das Wort „Mama“ mit „Mm“ anfängt und nicht mit „Em“.
Einzelne Buchstaben können Kinder gut in Bilderbüchern mit wenig groß gedrucktem Text erkennen. Und das Vorlesen macht die Kinder natürlich neugierig, auch selbst auf Entdeckungsreise zu gehen. Eine gute Inspirationsquelle sind Vorschulzeitschriften. An einem Siegel der Stiftung Lesen erkennt man Publikationen, die nach pädagogischen Kriterien von Fachleuten bewertet wurden. Hier sind aber durchaus noch die Eltern als Vorleser gefragt. Themen aus der Lebenswelt der Kinder wie zum Beispiel Tiere schaffen Interesse. Oft enthalten die Hefte auch praktische Übungen, bei denen die Kinder auf spielerische Weise Buchstaben oder einfache Wörter lernen können. Woran Sie ein gutes Vorschulheft erkennen, erfahren Sie hier.
Welche Bücher die Stiftung Lesen zum frühen Vorlesen empfiehlt
Was Eltern noch vor der Einschulung tun können, um das Lesenlernen zu fördern
„Wirklich lesen lernen Kinder aber erst in der Grundschule“, ergänzt Daniel Schnock. „Die pädagogische Kompetenz liegt bei den Lehrkräften. Sonst macht man als Eltern den Weg steiniger als er sein sollte.“ Was Eltern in jedem Fall tun können: Mit ihren Kindern sprechen, um die Sprachentwicklung zu fördern, ihren Kindern ein Vorbild sein und so gut und so viel vorlesen, wie sie können und sie ermutigen, auch wenn es nicht auf Anhieb klappt. „Wir empfehlen, bis zum Ende der Grundschule vorzulesen. Ab und an können sich Kinder und Eltern abwechseln, also im Tandem lesen. Das motiviert Kinder ungemein.“
Jedes Kind ist anders in seiner Entwicklung und hat eigene Stärken. Die einen brauchen auch in der Schule noch eine Weile, bis sie flüssig lesen, sind aber gute Kletterer oder zählen wie ein kleiner Weltmeister, andere lesen sogar schon vor der Einschulung, ganz von selbst. Die sollte man auch nicht bremsen, findet Lehrerin Angela Kluczynski: „Die Kinder nehmen sich, was sie brauchen. Alles, was mit negativen Gefühlen belasten könnte, bringt uns eher nach hinten als nach vorne.“
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