Experte erklärt, wie sich kriminelle Pädophile verhaltenKindesmissbrauch in Münster: "Die Betroffenheit eines Täters schließt nicht aus, dass er wieder gefährlich sein kann"

Zwei Mal bekam Adrian V. einen Warnschuss. Der Hauptverdächtige im Missbrauchsfall von Münster wurde 2016 und 2017 wegen Besitz und Verbreitung von Kinderpornographie auf Bewährung verurteilt. Der 27-Jährige bewährte sich nicht, stattdessen missbrauchte er weiter Kinder in einer Gartenlaube, bis die Polizei ihn festnahm. Der Kriminologe und Psychologe Prof. Dr. Rudolf Egg befragt Sexualstraftäter und erstellt Gutachten für Prozesse. Was die Beschuldigten alles unternehmen, um ihn und seine Kollegen zu täuschen, sehen Sie im Video.

Wer pädophil ist, bleibt es auch

Zwischen 50.000 und 200.000 Männer in Deutschland sollen einer Studie des Psychologen Horst Vogt zufolge pädophile Neigungen haben. Auch bei Frauen sind diese Neigungen nachgewiesen, es handelt sich jedoch um Einzelfälle. Mittlerweile weiß die Wissenschaft: Weg gehen sie nie. Es handelt sich nicht um eine psychische Krankheit oder um eine Phase, die von allein wieder verschwindet. „Man kann das nicht heilen in dem Sinne, dass sich ein Pädophiler plötzlich für erwachsene Frauen interessiert“, erklärt Egg. Wer pädophil ist, bleibt es ein Leben lang und weiß, dass er seine sexuellen Verlangen nicht ausleben darf. Tut er das doch, macht er sich zu einem Straftäter. Die meisten Betroffenen kämpfen dagegen an.

„Das Einzige, was man machen kann, wenn derjenige eine Bereitschaft dazu hat, ist, daran zu arbeiten, dass der Betreffende seine Neigung nicht auslebt. So etwas ist möglich, aber es ist nicht leicht“, so Egg. „Bei einer Therapie muss der Betreffende selbst das Meiste machen.“
Seit einigen Jahren bietet das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ in ganz Deutschland Therapieplätze an – anonym und unter Schweigepflicht. Voraussetzung ist, dass die Betroffenen noch nicht straffällig geworden sind. Sind sie es doch geworden, sind Egg und seine Kollegen gefordert.

"Manche sind selbst betroffen und erschüttert"

Dr. Rudolf Egg ist Kriminalpsychologe.
Prof. Dr. Rudolf Egg ist Kriminalpsychologe.
RTL

Dabei können die Experten in einem ein bis zweistündigen Gespräch nicht herausfinden, ob jemand versucht, sie zu täuschen. Gerade am Anfang würde oft versucht, eine mildere Strafe zu erreichen und zu manipulieren. Davon gehe auch er selbst als Gutachter in solchen Gesprächen aus. „Man braucht umfangreiche Berichte von Personen, die länger mit den Tätern zusammen sind“, sagt Egg.

Wenn die Betreffenden mit ihren Taten konfrontiert werden, gehen die Täter laut dem Experten jedoch ganz unterschiedlich damit um. „Man muss nicht immer davon ausgehen, dass alle einen täuschen. Manche sind selbst auch betroffen und erschüttert, insbesondere, wenn sie erfahren, welches Leid den Kindern und deren Familien angetan wurde“, sagt Egg. „Sie sind gerne bereit, umfangreich und geständig auszusagen und weinen sogar über das, was sie getan haben. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht im nächsten Moment wieder etwas Ähnliches machen würden. Die Betroffenheit eines Täters schließt nicht aus, dass er wieder gefährlich sein kann und etwas Ähnliches machen kann, wenn er sich in einer Versuchungssituation befindet.“

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"Es gibt immer ein gewisses Risiko"

07.06.2020, Nordrhein-Westfalen, Münster: Eine Gartenlaube, einer der Tatorte des vermutlichen Haupttäters in einem Missbrauchsfall, steht in einer Kleingartenanlage. Die Ermittler informierten gestern in Münster in einem mehrere Bundesländer umfassenden Fall über elf Festnahmen und sieben Haftbefehle wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Das Ermittlungsverfahren laufe erst seit rund dreieinhalb Wochen und stehe also noch am Anfang, sagte der Staatsanwalt. Foto: Marcel Kusch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Im Missbrauchsfall von Münster ist besonders schockierend, dass Hauptverdächtiger Adrian V. für die Behörden kein Unbekannter gewesen war.
mku pat, dpa, Marcel Kusch

Zu beurteilen, ob jemand wieder in die Gesellschaft integriert werden kann, sei ein langer Prozess. „Das geht schrittweise. Hat der Betreffende an Einzel- und Gruppentherapien teilgenommen? Was sagt der Therapeut? Wie sehen die Abschlussberichte aus?“ Dann würden die Straftäter bei ersten Ausgängen von Polizeibeamten begleitet und beobachtet. Die Berichte darüber setzt Egg als Gutachter wie ein Mosaikbild zusammen. Wichtig sei, dass die Personen über längere Zeit ihr Verhalten ändern und dies auch glaubwürdig ist. „Man ist da nie auf der sicheren Seite, es gibt immer ein gewisses Risiko“, sagt Egg.

Die Therapien können dabei helfen, emotionale Defizite und Wahrnehmungsverzerrungen abzubauen und die Fähigkeit zur Selbstregulation zu stärken. Teilnehmer des Programms „Kein Täter werden“ lernen etwa, ihre sexuelle Präferenz zu akzeptieren und in ihr Selbstbild zu integrieren. Dabei lernen sie Strategien, um sexuelle Übergriffe zu verhindern, risikoreiche Situationen früh zu erkennen und ihnen auszuweichen. Gegebenenfalls können auch Medikamente dabei helfen, das sexuelle Verlangen zu dämpfen.